© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/03 04. April 2003

 
BLICK NACH OSTEN
Die alten Zeiten kehren nicht zurück
Carl Gustaf Ströhm

Für die sieben ehemals kommunistischen Staaten, die nun in die Nato aufgenommen werden, geht damit ein Herzens- und Verstandeswunsch in Erfüllung. Fast alle diese Staaten - vielleicht am wenigsten das "westliche" Slowenien, am meisten aber die Balten, fühlen sich nach wie vor von Moskau bedroht. Auch den Rumänen und Bulgaren ist der "russische Bär" nicht geheuer - und die Polen, die seit 1999 in der Nato sind, werden nicht müde, potentielle Gefahr aus dem Osten zu betonen.

Allerdings geraten diese Länder in eine delikate Situation - denn in den letzten Jahren hat sich das Bedrohungsbild der Europäer radikal geändert. Westlich von Oder und Elbe ist kaum ein Land mehr geneigt, die Russische Föderation auf absehbare Zeit als Bedrohung zu empfinden. Selbst Tausende von Atomsprengköpfen, über die Rußland als "Erbe" der Sowjetunion verfügt, können den Strategen im Brüsseler Nato-Hauptquartier nicht imponieren. Wenn bei Gesprächen in Bukarest hochrangige Rumänen das Thema der möglichen russischen Bedrohung anschneiden, stoßen sie auf Unverständnis. Gewiß, Rußland hat die Partie am Schwarzen Meer undauf dem Balkan noch lange nicht aufgegeben. Aber im Ernstfall werde es Moskau doch nicht wagen, sich auf eine Konfrontation mit George W. Bush, etwa im Fall Irak, einzulassen und das Veto einzusetzen. So jedenfalls glaubte man noch vor wenigen Tagen. Inzwischen ist da eine gewisse Ernüchterung eingetreten.

Wenn aber das "Sicherheitsbild" zwischen Neu- und Altmitgliedern zu sehr auseinanderklafft, könnten etwa Balten oder Rumänen in eine Art Außenseiterposition geraten. Hinzu kommt eine zweite Frage: Wofür steht die Nato noch, ist das Bündnis noch "zeitgemäß"? Neuerdings hört man, daß sogar im Pentagon die Frage auftaucht, ob die Nato sich inzwischen nicht überlebt habe - ob sie also "obsolet" geworden sei. Darin liegt eine gewisse Tragik der Mittelosteuropäer: daß der große Wunsch im Augenblick, da er verwirklicht wird, deshalb an Bedeutung verliert, weil eine Nato ohne die Sowjetunion nicht mehr das ist, was sie eigentlich sein sollte. Rußlands Präsident Putin hat seine Haltung insofern geändert, als er nicht mehr mit russischem Widerstand gegen eine Nato-Aufnahme der Ostkandidaten droht. Im Gegenteil: Je mehr Mitglieder die Nato habe, meinte unlängst der Kreml-Chef, desto harmloser und ungefährlicher werde sie für Rußland. Zu viele Mitglieder führen bei allen Organisationen dieser Art zu "Überdehnung". Außerdem haben auch die Russen längst begriffen, daß Bush nicht viel von "Multilateralismus" hält - nach dem bekannten Dichterwort: "Der Starke ist am mächtigsten allein."

Das alles droht die kleineren Staaten in eine Sinnkrise zu stürzen. In der Irak-Frage und in Afghanistan wurde die Nato gar nicht erst gefragt. Was ist ein Militärbündnis wert, das kein "Feindbild" mehr präsentieren kann? Gerade bei den Balten hört man immer wieder die Befürchtung, die Russen könnten - ganz im Geiste Putins - die Nato in eine "zweite OSZE" verwandeln. Das aber wollen die neuen Kandidaten auf keinen Fall: Ein einziger solcher "Debattierklub" sei schon genug.

Wieder einmal bestätigt sich: nichts ist so frustrierend, wie die Verweigerung von Wünschen. Manchmal aber kann auch die Verwirklichung von Wünschen frustrierend sein - dann, wenn sie kleiner ausfällt als erhofft. Gewiß, die Nato wird nicht direkt "untergehen". Sie wird weiter existieren und ihre Stäbe und Planungen unterhalten. Aber die alten Zeiten kehren nicht mehr zurück.


 
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