© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/03 11. April 2003

 
Was ist rechts?
Als Freie unter Freien: Rechte und Konservative zeichnen sich durch ihre Lebensnähe aus
Günter Zehm

Sind die sogenannten "Neokonservativen" (Neocons) in den USA, die zur Zeit den Kriegskurs der Bush-Regierung bestimmen, wirklich konservativ im herkömmlichen Sinne des Wortes? Wie soll man sich als alteuropäischer Konservativer auf diese Leute einstellen? Wie müßte eine politische Opposition von rechts her in Deutschland aussehen?

So fragen zur Zeit viele, es gibt Irritationen, streckenweise macht sich Ratlosigkeit breit. Bedeutet "konservativ" überhaupt noch etwas, wenn die gegensätzlichsten Optionen unter diesem Wort Platz finden? Stimmen die alten Relationen zwischen links und rechts noch? Was ist unter den obwaltenden Unmständen heute eigentlich rechts?

Das augenblickliche Gefüge von Parteien und Gruppierungen gibt darüber keine verläßliche Auskunft. Die größte Oppositionspartei zur linken Berliner Regierung, die CDU/CSU, will schon seit langem nicht mehr rechts sein und konservativ nur in eingeschränktestem Maße. Sie streitet sich mit der Regierung darüber, wer den Begriff der "Mitte" besetzen darf, und einen erkennbar rechten Flügel in ihren Reihen gibt es auch nicht mehr, nicht einmal einzelne erklärtermaßen rechte Persönlichkeiten.

Die Gruppen "rechts" von CDU/CSU hinterlassen ihrerseits die widersprüchlichsten Eindrücke, gerade bei der Debatte über den Irak-Krieg. Einige wirken in ihrer Rhetorik und in ihrem Benehmen ausgesprochen links, sind von linken Kräften kaum noch zu unterscheiden. Andere leben programmatisch von der Hand in den Mund, greifen nur noch gängige Parolen auf, huldigen dem puren Aktionismus; das sind dann die sogenannten "Populisten", die drauf und dran sind, dem ganzen Spektrum "rechts" von CDU/CSU den Namen zu geben.

Rechts sein und Populist sein ist in der öffentlichen Wahrnehmung beinahe schon identisch. Man bemüht das Wort "Rechtspopulismus" gar nicht mehr, hält es für überflüssig, linke Populisten kann man sich faktisch nicht vorstellen. "Rechts" - das ist im allgemeinen Sprachgebrauch heute das, was "das Volk", der "kleine Mann von der Straße", denkt, aber nicht öffentlich aussprechen darf, das politisch "Unkorrekte", das, was die herrschenden Kräfte in Politik und Medien tabuisiert und kriminalisiert haben.

Natürlich ist es ein wichtiges und richtiges politisches Anliegen, sich zum Repräsentanten derer zu machen, die schweigen müssen, obwohl sie manchmal sogar in der Mehrheit sind. Es reicht aber, allein und auf Dauer, nicht zur Politikfähigkeit. Parteien oder "Bewegungen" brauchen ein Programm, auch wenn sie in der Praxis in schnödester Weise mit ihren Programmschriften umgehen, sie als Altpapier in der Büroecke schimmeln lassen. Es geht in der Politik eben nicht nur um kurzfristige Interessen, sondern auch um langfristige Anbindung an die Geistesströme der Epochen, um Philosophie und Theologie, um das, was man generell vom Leben hält.

Was ist also rechts? Zur rechten, konservativen Lebenseinstellung (und folglich auch zur rechten Politik) gehört nach wie vor der Einsatz für das, was wirklich ist und nicht nur sein "soll", der Rechte traut realen, in ihrer Wirksamkeit unmittelbar spürbaren Tatsachen grundsätzlich mehr als bloßen Ideen und schönen Vorsätzen. Das gilt auch für sein Menschenbild. Dieses ist eingebettet in die angestammte Gemeinschaft, in die Tradition und in bewährte Institutionen, denen es vorab Loyalität zu erweisen gilt. Bei Debatten über Änderungen liegt die Beweislast nach Ansicht des Rechten stets bei dem, der für Änderung ist, und nicht bei dem, der der Änderung skeptisch gegenübersteht oder sie ablehnt.

Seine Lebensnähe und sein Gespür für das Tatsächliche belehren den Rechten darüber, daß die Menschen und die Völker verschieden sind und daß diese Verschiedenheit ein eminenter Wert ist, den es zu verteidigen gilt. Er mißtraut jeder Art von Gleichheitshobel, einerlei ob er nun im Namen der "Globalisierung" oder der "Menschenrechte" oder sonst einer abstrakten Theorie geführt wird. Gerechtigkeit sieht er als fairen Interessenausgleich, nicht als künstliche Gleichmacherei. Dem großen Gleichmacher "Geld" gegenüber wahrt er höfliche Distanz. Er akzeptiert das Geld als mächtige Lebenskraft und setzt es für seine Interessen ein, lehnt seinen Aufstieg zum allmächtigen Götzen aber vehement ab.

Vor die Alternative "Freiheit oder Gleichheit" gestellt, wird der Rechte sich stets für die Freiheit entscheiden, für die Freiheit des einzelnen wie für die Freiheit der Gemeinschaft. Er möchte frei bleiben und als Freier mit anderen Freien von gleich zu gleich verkehren, das macht ihn zum schlechten Imperialisten. Jeder Versuch, andere im Namen einer Idee oder Doktrin oder eines Gottes mit Krieg zu überziehen, sie gewaltsam zu "bekehren" oder gar alle Menschen zu einem einzigen Weltreich mit einheitlichem Glauben und einheitlichem Regime zusammenzuzwingen, ist ihm vollkommen fremd und sogar verhaßt.

Der Rechte ist kein Pazifist, er liebt das Kräftemessen, den Kampf Mann gegen Mann, und das nackte Leben ist ihm nicht der Güter höchstes. Doch wenn er etwas Gleiches liebt, dann die Gleichheit der Waffen. Die Feigheit, die darin liegt, dem Gegner schlau aus dem Weg zu gehen, solange er noch ein ernstzunehmender Gegner ist, und regelmäßig dann zuzuschlagen, wenn der andere sich faktisch nicht mehr wehren kann, nur noch niedergewalzt zu werden braucht, ist das genaue Gegenteil dessen, was ein Rechter unter Krieg versteht. Und da der moderne "Krieg" nur noch eine hochtechnische Maschine zum feigen Niederwalzen von Kleinen ist, ist der Rechte gegen den modernen Krieg.

Er ist keineswegs ein schlechter Verbündeter und durchaus kein Verächter internationaler Organisationen. Er liebt die Ratsversammlung der Zuständigen und erweist dem Stärkeren darin gern die Ehre. Es darf und muß einen primus inter pares geben, und es sind auch Situationen denkbar, da der Schwächere zum Stärkeren in ein Verhältnis des Vasallentums eintritt und wo sich dann Vasallenehre und Vasallentreue zu bewähren haben. Vasallen sind aber keine Satelliten oder Satrapen und schon gar nicht Sklaven. Ihre Stimme im Rat hat Gewicht, und der Stärkere, wenn er es denn darauf anlegt, wird sich nicht permanent über die Ratsmehrheit hinwegsetzen können, ohne dabei sich selbst und der Ordnung schwersten Schaden zuzufügen.

Sind die amerikanischen Neocons brave, wackere Konservative und Rechte, wie sie selbst von sich behaupten und wie es ihnen die Linken vom anderen Ende des Spektrums her nur allzu gern, wenn auch höhnisch, bescheinigen? Daß gerade bei alteuropäischen Rechten so viele Zweifel darüber umgehen, kommt nicht von ungefähr. Allzu viele Züge passen nicht ins Bild.

Die US-Neokonservativen wurzeln nicht in Herkünften, Traditionen, Tatsachen, sondern in abstrakten Projekten, Theorien, Wahnideen. Und sie wollen der Welt - der ganzen Welt! - diese Wahnideen aufzwingen, scheuen nicht davor zurück, fremde Länder deshalb mit Krieg zu überziehen, mit dem modernen Krieg der Maschinen gegen die Käfer. Und sie mißachten dabei voll Hohn und mit frecher Stirn den Rat und die Einrede der anderen Völkergesandten, auch und ausdrücklich die ihrer bisher treuesten Vasallen. Kein rechter, echt konservativer Politiker und Zeitgenosse kann das billigen.

Dezision: Vor die Wahl zwischen Freiheit und Gleichheit gestellt, wird der Rechte sich immer für die Freiheit entscheiden


 
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