© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/03 11. April 2003

 
Sieg in der Schlacht und Desaster in den Städten
Der Nahost-Experte Peter Scholl-Latour warnt den Westen davor, das "Schwert des Islam" unnötig herauszufordern
Michael Waldherr

Wenn er etwas über Krisenregionen und Kriege schreibt oder sagt, dann weiß der vielsprachige und weitgereiste Peter Scholl-Latour, wovon er spricht. "Meine Chronistentätigkeit am Ort des Geschehens umspannt mehr als ein halbes Jahrhundert", betont der gelernte Journalist. Und Angst vor Gefahr scheint der alte, aber rüstige Haudegen nicht zu kennen: Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges kämpfte der Sohn einer elsaß-lothringischen Arztfamilie als deutscher Soldat in Europa, danach als französischer Fallschirmjäger in Indochina. "Ich verfüge über mehr Kriegserfahrung als die ehemaligen Pazifisten, die uns heute regieren!", stellt er klar.

In seinem neuesten Buch "Kampf dem Terror - Kampf dem Islam? Chronik eines unbegrenzten Krieges", analysiert Scholl-Latour den Nahost-Konflikt und den amerikanischen Afghanistan-Feldzug, um aufzuzeigen, worum es beim Irak-Krieg wirklich geht. Dabei brilliert Scholl-Latour mit einem Hintergrundwissen, das Weltpolitik treibende Politiker leider allzu oft vermissen lassen.

Der Autor führt zum ersten Golf-krieg zwischen Irak und Iran aus, daß die USA einst dem irakischen Diktator Saddam Hussein "grünes Licht für sein kriegerisches Abenteuer gaben, ja mit Hilfe ihrer Trabanten in den Golfstaaten die Finanzierung seiner immensen Waffenkäufe finanzierten", weil die Zerschlagung des schiitischen Gottesstaates Khomeinis exakt der damaligen Orient-Strategie der USA entsprach. "Die Raketen und die chemischen Kampfstoffe, die Saddam Hussein so überaus nützlich zur Eindämmung des schiitischen Fundamentalismus eingesetzt hatte, werden zur unerträglichen Bedrohung, falls sie sich eines Tages gegen den mit den USA aufs engste verknüpften Judenstaat richten sollten", erklärt Scholl-Latour den Gesinnungswandel in Washington. So prognostiziert er den nächsten Krieg zwischen Amerika und dem Irak als unausweichlich.

Der Ruf der Amerikaner in der islamischen Welt bewegt sich laut Scholl-Latour zwischen Naivität und Heimtücke. Er belegt die wenig schmeichelhafte These damit, daß die Streitkräfte des US-Generals Norman Schwarzkopf 1991 dabei zugesehen haben, wie die irakischen Republikanischen Garden jene Schiiten, die die Amerikaner zunächst zum Aufstand gegen Saddam ermuntert hatten, niedermetzelten. Zitat: "Washington hat die rebellischen Schiiten ihrem Todfeind Saddam Hussein bewußt ans Messer geliefert." Scholl-Latour bezweifelt, daß man das im Irak vergißt.

Die Terrorangriffe von Manhattan und Washington am 11. September 2001 haben die Welt und vor allem die Einstellung der Amerikaner verändert. Doch Scholl-Latour hält diese Attentate nur für überraschend, was ihre schreckliche Dimension betrifft. Ansonsten seien sie fast zwangsläufig vorherzusehen gewesen. Vor allem aber: Die USA trugen laut Scholl-Latour mit ihrer Politik im Nahen und Mittleren Osten entscheidend dazu bei, daß es so weit gekommen ist. "Jede Diplomatie ist zur Ratlosigkeit verurteilt, wenn die Bewältigung politischer Konflikte die Form eines Gottesgerichts annimmt", schreibt Scholl-Latour und macht keinen Hehl daraus, daß sich diese Erkenntnis auch auf George Bushs Aufruf zum "Kreuzzug im Kampf gegen das Böse" anwenden läßt. Auf beklemmende Weise gerät dabei der revolutionäre Islam ins Visier dieser globalen Kriegführung.

Niemand hat die Herausforderung, die vom "Schwert des Islam" ausgeht, früher erkannt und nachdrücklicher beschworen als Peter Scholl-Latour. Zugleich hat er stets auf die Zersplitterung der muslimischen Glaubensgemeinschaft von 1,3 Milliarden Menschen verwiesen. In offener Feldschlacht wären deren militante "Fundamentalisten" der geballten Macht der USA hoffnungslos unterlegen. Aber die US-Führung verstrickt sich zusehends in unberechenbare Regionalkonflikte - von Afghanistan bis Irak, von Pakistan bis zu den Philippinen.

Am US-amerikanischen Vorgehen in Afghanistan läßt Scholl-Latour kein gutes Haar. Washington habe einst die Mudschaheddin nur aus schnödem Kalkül und merkantiler Habgier gegen die sowjetische Besatzungsmacht unterstützt. Als sich diese nach dem Rückzug der Roten Armee selbst zerfleischten, hätten die Amerikaner zu einer untauglichen Strategie gegriffen: "Als Instrument zur Befriedung am Hindukusch fiel nämlich den zuständigen amerikanischen Diensten und den Öl-Multis nichts Besseres ein, als die pakistanische Armee zu beauftragen, in den Auffanglagern ihrer Nordwestregion, wo etwa zwei Millionen überwiegend paschtunische Flüchtlinge kampierten, eine Armee von jungen 'Koranschülern' oder 'Taleban' auszuheben, sie in Schnellkursen halbwegs auszubilden und mit einem reichhaltigen Waffenarsenal zu versehen." Hier schufen sich die Amerikaner wieder einmal die Freunde, die es später als Feinde zu bekämpfen gilt.

Während Bundesverteidigungsminister Peter Struck neuerdings die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch verteidigen will, kritisiert Scholl-Latour den Isaf-Einsatz offen als ein risikoreiches und sinnloses Abenteuer: "Mit einer zeitlich unbegrenzten Truppenpräsenz am Hindukusch stützt man den proamerikanischen Vasallen Karsai ab und erlaubt den Energiekonzernen der USA einen lukrativen und relativ sicheren Abtransport von Erdöl und Petroleum in Richtung Indischer Ozean. Dafür wird das Leben deutscher Soldaten aufs Spiel gesetzt."

Scholl-Latour informiert in historisch fundierten, aktuellen und spannend geschriebenen Reportagen über die Länder Afghanistan, Irak, Israel, Indien, Pakistan, Usbekistan und China. Dabei gelingt es ihm vielfach, seine persönlichen Eindrücke, Erlebnisse und Gespräche so miteinander zu vernetzen, daß sich immer wieder aufschlußreiche Querverbindungen ergeben. Der Autor weiß um die strategischen und psychologischen Unwägbarkeiten, die einer dauerhaften "Pax Americana" entgegenwirken, ganz zu schweigen von der Gefahr einer letztlich unvermeidlichen Proliferation von Massenvernichtungswaffen. Der exklusive Herrschaftsanspruch der USA wird wegen strategischer Überdehnung genauso wenig Bestand haben, wie einst das Britische Empire. Wir stehen erst am Anfang eines historischen Dramas - davon ist Scholl-Latour überzeugt. So schrecklich der Tenor seines neuesten Buches auch ist, so wichtig ist es, es zu lesen, um sich auf die Zukunft einzustellen.

Peter Scholl-Latour: Kampf dem Terror - Kampf dem Islam? Chronik eines unbegrenzten Krieges. Propyläen Verlag, München 2002, gebunden, 496 Seiten, 24,90 Euro


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen