© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/03 18. April 2003


"Die Umerziehung frißt ihre Väter"
Friedensbewegung: Der Starnberger Friedensforscher Alfred Mechtersheimer über die Folgen und Chancen der Anti-Kriegsproteste der letzten Wochen
Manuel Ochsenreiter

Herr Dr. Mechtersheimer, das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hat eineUmfrage initiiert, wonach 83 Prozent aller Teilnehmer auf der Friedensdemonstration in Berlin am 15. Februar sich selbst als "links" oder sogar "sehr links" einstufen. Hat der Eindruck, es handle sich bei der neuen Friedensbewegung um eine ausgewogene, teils sogar bürgerlich-konservative Bewegung, getäuscht?

Mechtersheimer: Das hängt wohl mehr mit der Demonstrationsbereitschaft zusammen als mit der Einstellung zum Krieg.

Sie glauben, daß die Konservativen einfach nicht so gerne auf die Straße gehen?

Mechtersheimer: Ja, aber in Gedanken waren viele von ihnen dabei. Ich habe bei einigen Demonstrationen sehr viele Konservative gesehen. Aber das ist für diese Klientel, die traditionell sehr staatstreu ist, eine neue Qualität des politischen Engagements. Da muß man Geduld haben.

Wie erklären Sie sich das verstärkte Engagement dezidiert rechter und konservativer Gruppierungen?

Mechtersheimer: Hier gibt es zum Beispiel eine einmalige Chance, den Zweiten Weltkrieg aufzuarbeiten, denn zwischen den Bomben auf wehrlose deutsche Städte und den Schlägen auf Bagdad und andere irakische Städte gibt es eine Kontinuität.

Ist die politische Rechte in Deutschland dem Pazifismus gegenüber nicht mehr kritisch eingestellt?

Mechtersheimer: Bei diesem Thema hat sich die Rechte gespalten. Aber es gibt seit einigen Jahren eine deutlich erkennbare Tendenz, das Nationale nicht nur mit dem Ökologischen, sondern auch mit der Friedensfrage zu verknüpfen. Das ist sicher eine Veränderung, die auf der linken Seite zu Irritationen geführt hat.

Sehen Sie einen Widerspruch in einer Pazifismus-kritischen Ausrichtung und dem Anti-Kriegs-Engagement der Rechten?

Mechtersheimer: Ja, aber dieser Widerspruch löst sich auf. Antiamerikanismus ist als Anti-Kriegs-Motivation nicht auf Dauer tragfähig. Es gibt eine Wesensverwandtschaft des Nationalen, insbesondere des Deutschen, mit dem Frieden. Deutschland tendiert von seiner historischen und geistigen Entwicklung eher zu einer Zivilmacht, zu einer Friedensmacht als zu einem kriegerischen Staat. Auch die geopolitische Lage zwingt dazu.

Worin unterscheidet sich dann noch die friedensbewegte Rechte von der rot-grünen Regierung?

Mechtersheimer: Es gibt nur punktuelle Gemeinsamkeiten. Diese reichen zurück bis zum SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher, der den einstigen CDU-Kanzler Konrad Adenauer als "Kanzler der Alliierten" bezeichnet hat. Man sollte heute weniger nach "rechts" und "links", sondern nach der Frage unterscheiden: Wie stehst du zum Instrument "Krieg" und zum Weltherrschaftsanspruch der US-Administration?

Was entgegnen Sie dem Anti-Amerikanismus-Vorwurf, den man gerade in dieser Zeit vor allem auch den friedensbewegten Rechten macht?

Mechtersheimer: Wenn sich eine Staatsführung wie die US-Administration so verhält, ist die Gegnerschaft etwas Natürliches, sogar etwas Zwingendes. Die Frage ist auch, was man mit dem Begriff "Anti-Amerikanismus" verbindet. Für mich ist das vor allem die Kritik an der Administration, nicht an Amerika. Und es ist auch die Kritik an den Amerikanisten. Wir sind gegen die Amerikanisten bei uns, die wie Frau Angela Merkel sich zum Anwalt US-amerikanischer Interessen machen. Bei allen problematischen Mitteln vertreten letzten Endes die USA ihre nationalen Interessen, was prinzipiell legitim ist.

Wiegt der außenpolitische Kurs der Bundesregierung deren Versagen im Inneren auf?

Mechtersheimer: Es ist für jeden, der diese Politik von Gerhard Schröder und Joseph Fischer jahrelang kritisierte, eine zwiespältige Konstellation. Der Kanzler der einen "Aufstand der Anständigen" ohne Legitimation vom Zaun brechen wollte, ist nur ein punktueller Verbündeter in dieser Frage. Wer die Friedensfrage nur als eine außenpolitische Frage versteht und nicht die Bürgerkriegsgefahr durch Zuwanderung begreift, der ist natürlich nie ein Freund nationaler Friedenspolitik.

Worin ist Schröders Anti-Kriegs-Haltung Ihrer Meinung nach begründet? Im pazifistisch orientierten Stammklientel von Rot-Grün oder eher in einem neuen, unabhängigen nationalen Selbstverständnis der Regierung?

Mechtersheimer: Das Zweite ist sicherlich das Entscheidende. Schröder hat wiederholt vorsichtige Ansätze einer Renationalisierung gezeigt, auch schon bei der Debatte um den Euro. Es hängt sicher mit dem Instinkt zusammen, daß er früher als andere im Bereich von Rot-Grün begriffen hat, daß alle supranationalen Projekte zum Scheitern verurteilt sind. Schröder hat rechtzeitig erkannt, daß die Rückbesinnung auf die Friedensfähigkeit von Nationalstaaten in Europa die Zukunft bedeutet, dieses gespürt und machtpolitisch skrupellos ausgenutzt.

Das eingangs zitierte WZB kommt ebenfalls zum Schluß, es gäbe keine politisierte und protestwillige "Generation Golfkrieg", die aus den Anti-Kriegs-Aktionen herauswachse. Können Sie das aus Ihren eigenen Erfahrungen bestätigen?

Mechtersheimer: Da stimme ich weitgehend zu. Das war praktisch eine Explosion von Gefühlen und politischem Willen, die sich vorher nicht abgezeichnet hatte. Das war eine theorielose spontane Reaktion. Diese wird so schnell wieder vergehen, wie sie gekommen ist. Das zeigt sich ja auch bereits, daß die Demonstrationszahlen schon während des Krieges als die Menschen im Irak verstümmelt wurden, rapide zurückgegangen sind. Allerdings sind die Folgen dieses schlagartigen Aufbegehrens sehr weitreichend, weil hier eine grundsätzliche Neukonstellation zwischen Europa und den USA sichtbar geworden ist. Die Nachkriegsstatik in Europa ist damit aufgekündigt worden. Die Demonstranten waren unfreiwillige Helfer unseres national-pazifistischen Ansatzes und haben dem nationalen Widerstand gegen eine Supermacht geholfen. Das Ganze ist so widersprüchlich, daß es gar keinen Bestand haben kann. Deswegen haben auch die Leser der linken Zeitung Jungle World entschieden, sich nicht an diesen "deutschnationalen" Friedensdemos zu beteiligen. Das halte ich für eine aufschlußreiche Feststellung.

Können Sie diese Folgen, die Sie vorhin angedacht haben, kurz skizzieren?

Mechtersheimer: Die USA sind dabei, durch ihre Politik der Kooperationsverweigerung ihre territorialen Gewinne des Zweiten Weltkrieges in Europa zu verlieren. Das bedeutet: Es wird ein Zustand, der über ein halbes Jahrhundert angedauert hat, nicht mehr so fortgesetzt werden können. Wenn die Amerikaner ihre Truppen in Deutschland abziehen wollen, um uns zu bestrafen, können wir uns nur bedanken.

Inwieweit erwachsen daraus gerade für Rechte neue Möglichkeiten?

Mechtersheimer: Alles, was zu einer Renationalisierung der internationalen Staatenwelt beiträgt, hilft den patriotisch-nationalen rechten Kräften, wenn sie diese Chance ergreifen.

Wie beurteilen Sie das Anti-Kriegs-Engagement der NPD?

Mechtersheimer: Das ist damit zu erklären, daß sich hier nach dem Hufeisenbild die Extreme schon sehr stark berühren. Da verbindet sich innerhalb der NPD offenkundig die Amerikakritik mit ideologischen, antiimperialistischen Attitüden. Wahrscheinlich hängt es aber auch damit zusammen - das gilt ja für alle im patriotischen rechten Bereich - daß es mal ganz gut tut, sich nicht in einer Minderheit zu befinden, sondern zusammen mit der überwältigenden Mehrheit des Volkes und der Regierung für ein Ziel einzustehen. Das hat natürlich seine Verlockungen.

Halten Sie das friedenspolitische Engagement von Rechten insgesamt für authentisch oder rein aktionistisch?

Mechtersheimer: Für aktionistisch halte ich es deshalb nicht, weil schon in den neunziger Jahren sich die Tendenz verstärkte, die Kritik an der US-Politik mit dem positiven Wert "Frieden" zu untermauern, weil die Ablehnung fast aller UN-Schutzabkommen, das Kyoto-Protokoll und vieles mehr, die USA als idealtypisches Gegenstück zum Weltfrieden erscheinen lassen. Hier wächst eine eigenständige, politisch-patriotische Grundhaltung heran, die es auch erleichtert, zwischen Freunden und Gegnern einer aufgeklärten nationalen Politik zu unterscheiden. Es macht Hoffnung, daß so viele Menschen in Europa jetzt die von den USA propagierten Ziele wie Antimilitarismus und Antinationalismus einklagen. Die Umerziehung frißt ihre Väter. Deswegen protestiert eine total amerikanisierte Jugend gegen die US-Politik.

 

Dr. Alfred Mechtersheimer ist Gründer und Leiter des Friedenskomitee 2000 in Starnberg sowie Initiator der Deutschland-Bewegung.

 

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