© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/03 18. April 2003

 
"Der Instinkt, das Vaterland zu verteidigen"
Interview: Sir John Keegan kritisiert die europäische Friedensbewegung und prophezeit ein "schreckliches Erwachen"
Moritz Schwarz

Sir Keegan, trotz der Eroberung Bagdads geht der Krieg im Irak weiter und ebenso die Friedenskundgebungen rund um den Erdball. Sie haben die Demonstrationen kritisiert. Warum?

Keegan: Die meisten dieser Leute sind keine richtigen Pazifisten, sie mögen den Krieg nur nicht. Eigentlich eine normale Reaktion, denn der Tod erschreckt uns. Aber stellen Sie sich den Russen vor, der 1941 angesichts des deutschen Angriffs pazifistisch hätte bleiben wollen. Die Russen folgten damals dem Instinkt, ihr Vaterland zu verteidigen.

Ist unsere Gesellschaft also nur nicht mehr mutig genug, Kriege zu führen?

Keegan: Nicht unbedingt, tatsächlich sind die meisten Menschen nur gegen bestimmte Kriege, sie sind sozusagen "partielle Pazifisten". Ersetzen Sie zum Beispiel einfach nur die Frage "Sollen wir Krieg führen?", durch "Sollen wir den Terrorismus bekämpfen?" - und schon bröckelt der Pazifismus.

Also ist dieser Pazifismus eine Form von Luxus?

Keegan: In der Tat. Ganz im Gegensatz zum wahren Pazifismus, der ist eine harte Prüfung. Denn tatsächlich gehört enormer Mut dazu, sich gegen einen notwendigen Krieg aufzulehnen. Aber vor allem widerspricht der wahre, der absolute Pazifismus der menschlichen Natur. Aber das ist nun mal seine Logik.

Wie lautet also Ihre Botschaft an die Friedensdemonstranten in Europa?

Keegan: Ich habe eine vor einer britischen Kaserne demonstrierende Mutter in Erinnerung. Auf die Frage, wie Saddam sonst bestraft werden könne, wenn nicht mit einem Angriff auf seine Macht, antwortete sie nur: "Ich wünschte, meine Söhne wüßten nichts davon!" Wer kann das nicht nachempfinden? Aber diese Frau gehört offensichtlich zu der großen Zahl von Menschen, die wir in Großbritannien "wishful thinkers" nennen, also Menschen, die offenbar glauben, die üblen Dinge wichen aus der Welt, wenn man sie nur konsequent ignoriert.

Die Amerikaner sind dazu bereit, Krieg zu führen, handelt es sich also um ein europäisches Problem?

Keegan: Diese idealistische Position ist typisch für reiche, sichere Länder. Insofern wäre es "interessant" zu sehen, was passieren würde, wenn es in Europa einen Terroranschlag gäbe, vergleichbar dem vom 11. September 2001. Viele der Demonstranten verschließen ihre Augen vor der Natur des Anschlages vom 11. September. Sie bilden sich ein, es habe sich um eine Art Naturkatastrophe gehandelt. Sie können sich einfach nicht vorstellen, daß auch Europäer einmal das Ziel sein könnten. Die meisten Europäer gehen davon aus, daß wir zu freundliche Leute sind, um jemals den Zorn arabischer Extremisten auf uns zu ziehen. Aber vielleicht wird es einmal ein schreckliches Erwachen geben.

Die Europäer haben also ihr Verhältnis zum Krieg verloren?

Keegan: Ja, aber natürlich kann man dafür auch Verständnis aufbringen, besonders was Deutschland angeht, das im 20. Jahrhundert am schlimmsten von Militarismus und Krieg betroffen war. Die Deutschen sagen sich: "Das ist genug! Nie wieder Krieg!" Aber damit sind die Probleme nicht aus der Welt. Die schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges haben Eure Fähigkeit getrübt, zwischen Kriegen, die man führen kann und solchen, die man führen muß, zu unterscheiden.

Für welche Art von Krieg halten Sie den Angriff auf den Irak?

Keegan: Hätte man Saddam nicht entmachtet, wäre er eines Tages wohl ein atomarer Kriegsherr geworden.

Hätte das nicht auch ohne einen großen Krieg verhindert werden können?

Keegan: Genau das haben die USA und Großbritannien versucht, und es mißlang. Als Konsequenz waren sie gezwungen, ihre Drohung wahrzumachen, Saddam abzusetzen.

Und dafür Land und Volk mit Krieg zu überziehen.

Keegan: Ich glaube, daß die Auswirkungen schließlich eher positiv für die Region sein werden.

Sie glauben an das irakische Glück durch die Einführung der Demokratie nach amerikanischem Gusto?

Keegan: Demokratie ist eine empfindliche Pflanze, die sich in der Tat nicht einfach versetzen läßt. Aber vielleicht kann der Samen gelegt werden, aus dem später einmal ein arabisches Gewächs der Gerechtigkeit sprießt.

 

Professor Sir John Keegan, geboren 1934, ist der bedeutendste lebende Militärhistoriker Großbritanniens.

 

weitere Interview-Partner der JF


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen