© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/03 18. April 2003

 
Der Pekinese und der Elefant
USA: Der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld bestreitet Patrick Buchanans These vom starken Einfluß neokonservativer und jüdischer Kräfte auf die amerikanische Außenpolitik
Martin van Creveld

Kann ein Pekinese einen Elefanten über eine Klippe schubsen? Pat Buchanan würde diese Frage wohl bejahen (JF 14/03). Buchanan zählt Menschen zu seinen konservativen Mitstreitern, die Schwerverbrecher am liebsten nicht nur einmal, sondern gleich zweimal hinrichten würden. Im außenpolitischen Bereich vertritt er die Ansicht, der Krieg gegen den Irak sei unnötig und widerspreche Amerikas wahren Interessen. Warum also hat sich Präsident Bush darauf eingelassen? Buchanan tut so, als suche er nach einer Antwort auf diese Frage, und will uns weismachen, Israel sei an allem schuld. Unter Leitung der bösen Likud-Partei und des noch böseren Ariel Scharon hat Israel eine unheilige Allianz mit der sogenannten "neokonservativen" Lobby geschmiedet, der die Republikanische Partei hörig ist. Gemeinsam haben sie den amerikanischen Elefanten von der sicheren Klippe des Isolationismus in das Meer des Krieges gestürzt. In diesem Meer könnte er ertrinken, falls der Plan, den Irak zu demokratisieren, mißlingt.

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Der Autor dieser Zeilen stimmt Buchanan zu, daß der Krieg gegen den Irak unnötig war. Seit Saddam Husseins Sturz wissen wir, wie schwach er in Wirklichkeit war. Noch bevor der Krieg begonnen hatte, fragten sich viele, warum er überhaupt notwendig war, stellte doch der Irak keinerlei Bedrohung für irgend jemanden dar. Wie immer, wenn es an auf der Hand liegenden Erklärungen mangelt, nehmen Verschwörungstheorien überhand. Manche meinen, Amerikas wahres Kriegsziel sei das irakische Erdöl. Manche glaubten, es ginge um Familienstolz - der Sohn wollte zu Ende bringen, was der Vater begonnen hatte. Andere beschuldigen die Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice. Deren Aufgabe, so lautet die Theorie, bestehe darin, den Präsidenten von den Dinosauriern Dick Cheney und Donald Rumsfeld abzuschirmen und ihm Handlungsfreiheit zu verschaffen. Statt dessen aber habe sie sich entweder mit ihnen verbündet oder sich von ihnen überrumpeln lassen. So half sie ihnen, die Kontrolle über einen Präsidenten zu übernehmen, der - egal, welche Tugenden er ansonsten haben mag - von Außenpolitik weder etwas versteht noch sich dafür interessiert.

Welche - wenn überhaupt eine - dieser Theorien zutrifft, wird wohl immer unklar bleiben. Klargestellt werden muß, daß Israel nicht für diesen Krieg verantwortlich war. Die Behauptung, der Pekinese könne den Elefanten überwältigen, ist falsch. Wer die beiden nebeneinander auf die Waage gestellt hat, müßte dies eigentlich wissen.

Beginnen wir mit einer bemerkenswerten Tatsache. Die Menschen, die am meisten Verantwortung für diesen Krieg tragen, sind Präsident George Bush, Vize-Präsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Condoleezza Rice und - vielleicht zu einem geringeren Grad - Außenminister Colin Powell. Keiner dieser fünf ist Jude, und keiner von ihnen ist für besondere Sympathien gegenüber Israel bekannt. Zwei von ihnen gehörten schon der Regierung des älteren George Bush an, die zumindest den Israelis als eine der am wenigsten pro-israelischen US-Regierungen der letzten Jahrzehnte in Erinnerung geblieben ist. Tatsächlich distanzierte sich die derzeitige Regierung unmittelbar nach ihrem Amtsantritt im Januar 2001 öffentlich von dem kuscheligen Verhältnis, das Bushs Vorgänger Bill Clinton zunächst zu Jitzak Rabin und dann zu Ehud Barak pflegte. Sowohl Bush als auch Powell machten eindeutig klar - soweit ersterer fähig ist, sich kohärent zu äußern -, daß es von nun an kein Geschmuse und keine gegenseitigen Begrüßungen als dear friend mehr geben würde. In Zukunft sollte die amerikanische Außenpolitik auf amerikanischen Interessen beruhen und auf nichts anderem.

Einflüsse der Intellektuellen werden maßlos überschätzt

Natürlich weiß Pat Buchanan dies alles nur zu gut. Da er nicht beweisen kann, daß das Spitzenquintett aus Lakaien Israels besteht, richtet er seine Munition gegen deren Untergebene, vor allem gegen den stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz und den jüngst zurückgetretenen Vorsitzenden des Verteidigungspolitischen Beirates im Pentagon (Defense Policy Board), Richard Perle. Zwar stimmt es, daß beide Juden und sehr pro-israelisch eingestellt sind. Daß einer der beiden eine entscheidende Rolle in politischen Entscheidungsprozessen spielte, stimmt dagegen nicht. Wolfowitz' Aufgabe besteht hauptsächlich darin, die Befehle seines Gebieters auszuführen. Perle wurde für seine Mühe nicht einmal bezahlt und tat wenig mehr, als Arbeitspapiere zu verfassen, Reden zu halten und beim Mittagessen in teuren Washingtoner Restaurants gute Ratschläge zu erteilen. Keiner der beiden gehörte dem inneren Kreis der Entscheidungsträger an, und keiner der beiden traf oder trifft Bush regelmäßig.

Nächster Punkt: die Intellektuellen. Obwohl er sich mehrmals um die Präsidentschaft beworben hat, ist Buchanan eher ein Mann des Wortes als der Tat. Er diente als Pressesekretär in Ronald Reagans Weißem Haus; seither hat er mehrere Bücher geschrieben und veröffentlicht. So wird verständlich, warum er seine Schriftstellerkollegen derart in den Mittelpunkt stellt und ihnen eine Macht zumißt, die in keinerlei Verhältnis zu ihrem tatsächlichen politischen Einfluß steht. Ausgerechnet in der Regierung eines Mannes, der sich gerne als texanischer Cowboy gibt und, so behaupten seine Kritiker, selten ein Buch in die Hand nimmt! Männer wie Bill Bennett, Stanley Hoffman, Lawrence Kaplan, William Kristol und Norman Podhoretz geben entweder Zeitschriften heraus oder schreiben für sie. Hoffman ist Professor an einer Universität; andere, Robert Kagan zum Beispiel, haben hervorragende Bücher geschrieben. Einige von ihnen bekleideten Ämter in früheren Regierungen: Jeanne Kirkpatrick etwa als amerikanische Botschafterin bei der Uno, mein alter Bekannter Michael Ledeen als "Staatssekretär für internationale Angelegenheiten" im Außenministerium. Ansonsten hatte kaum einer von ihnen jemals ein wichtiges öffentliches Amt inne. Wenn man bedenkt, wie Politiker gewöhnlich mit Intellektuellen umspringen - nämlich wie Hunde mit Laternenpfählen, wie einer meiner Freunde sagt -, scheint es wenig wahrscheinlich, daß sich daran etwas ändern wird.

Gemeinsam ist diesen Menschen, daß sie weder "Idealisten" (eine Haltung, die Woodrow Wilson zugeschrieben wird) noch "Isolationisten" (Buchanans eigene Position) sind. Statt dessen vertreten sie eine "harte", "interventionistische" außenpolitische Linie, die sie am ehesten zu Anhängern Franklin Delano Roosevelts und Harry S. Trumans macht. Sie unterstützen Israel, das sie - nicht zu Unrecht, könnte man sagen - für die einzige Demokratie im Nahen Osten und für Amerikas zuverlässigsten Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus halten. Das führt zu einer gewissen Übereinstimmung der Interessen, bedeutet aber noch längst nicht, daß sie sich Jarmulken aufsetzen, mit obskuren Likud-Mitgliedern koscher essen gehen und Komplotte aushecken, wie Israel die Weltherrschaft ergreifen könnte. Selbst wenn sie dies täten, hätten sie nicht die Macht, diese Pläne in die Tat umzusetzen.

Die jüdische Lobby ist nicht einflußreicher als jede andere

Kommen wir nun zur israelischen Seite der Gleichung, die Buchanan aufstellt. Weder Premierminister Scharon noch irgendein anderes Mitglied seiner Likud-Partei hat auch nur halb soviel Einfluß, wie Buchanan behauptet. Israel ist ein kleines Land im Nahen Osten; sein Bruttosozialprodukt beträgt 0,5 Prozent des amerikanischen, seine Bevölkerungszahl ungefähr ein Prozent. Wenn Amerika wollte, hätte es Israel längst zerquetschen können, wie ein Mann ein Insekt zerquetscht, indem er sich einfach im Schlaf von einer Seite auf die andere wälzt, ohne es überhaupt zu bemerken. Tatsächlich ist dies der Alptraum jeder israelischen Regierung. Ein hoher amerikanischer Offizier hat einmal zu mir gesagt: "Wenn wir morgens ins Büro kommen und einen Blick aus dem Fenster des Pentagons werfen, haben wir nicht Israel vor Augen."

Es stimmt zwar, daß Israel den Krieg gegen den Irak unterstützt hat. Diese Unterstützung ging soweit, daß Scharon den amerikanischen Außenminister bei seinem Jerusalem-Besuch im letzten Juni ausdrücklich ermunterte, sich von "dem, was hier passiert (sprich: dem palästinensischen Aufstand), nicht von Ihren dortigen Absichten abbringen zu lassen". Israels Interesse an einer Schwächung des Iraks, mit dem es sich technisch gesehen seit über fünfzig Jahren im Kriegszustand befindet, ist verständlich, und Powell war sicherlich so höflich, Scharon für seinen Rat zu danken. Das heißt aber noch nicht, daß Israel irgendeinen entscheidenden Einfluß auf die amerikanische Außenpolitik genommen hätte. Ganz im Gegenteil schmollt Israel derzeit, weil es statt der angeforderten vier Milliarden US-Dollar nur eine Milliarde Finanzhilfe aus Washington erhielt. Ganz zu schweigen von dem "Fahrplan" zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts, den Washington seinem Verbündeten voraussichtlich demnächst vorlegen wird.

Gewiß steht die jüdische Lobby hinter Israel. Schätzungsweise zwei Prozent der amerikanischen Bevölkerung sind Juden - ganz genau weiß das niemand. Allerdings sind weniger als die Hälfte von ihnen überzeugte Zionisten; und nicht einmal alle überzeugten Zionisten stimmen mit der rechtslastigen Politik der Likud-Partei, Scharons oder des amerikanischen Präsidenten überein. Eine Mehrheit lebt in Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl von Kongreßabgeordneten und Wahlmännern, und dadurch hat die jüdische Gemeinschaft mehr Einfluß, als ihr prozentualer Anteil an der Bevölkerung nahelegen würde. Trotzdem darf man nicht übertreiben. Als Gruppe zeichnen sich die amerikanischen Juden durch ihre starken Familienbande, durch die Bedeutung, die sie der Bildung zumessen, und durch ihre Fähigkeit aus, wirtschaftlich und akademisch vorwärtszukommen. Um ihren tatsächlichen Einfluß zu bemessen, muß man sie also mit anderen ähnlich erfolgreichen Gruppen vergleichen und nicht mit der Gesamtbevölkerung. Aus einem solchen Vergleich geht keineswegs hervor, daß die Juden einflußreicher wären als irgendeine andere Gruppe. Was die Behauptung angeht, sie könnten die amerikanische Regierung überlisten, entgegen ihren eigenen Interessen zu handeln, so ist sie einfach lächerlich.

Rein statistisch gesehen hätte Präsident Bush die Wahl niemals gewinnen können, wenn er sich allein auf die Stimmen der Juden verlassen hätte. Seinen solidesten Rückhalt bekommt er von den christlichen Fundamentalisten. Wenn es nach denen ginge, würden sie den Schulen verbieten, die Evolutionslehre zu unterrichten, Abtreibung strafbar machen und alle außer sich selbst wegen Unzucht vor Gericht zerren. Die Schicht der sogenannten blue-collar workers, der Arbeiter und Handwerker, bildet ein weiteres Hauptelement der republikanischen Koalition. Letztere galten seit der Depression und Roosevelts "New Deal"-Politik als Stammwähler der Demokratischen Partei, bis sie zu Beginn der 1980er Jahre feststellten, daß ihre Steuern größtenteils für Menschen draufgingen, mit denen sie nichts gemeinsam hatten: Arbeitslose, Farbige, alleinerziehende Mütter. Beide Gruppen - und erst recht beide zusammen - sind der jüdischen Wählerschaft zahlenmäßig haushoch überlegen. Keine der beiden zählt allzu viele Juden in ihren Reihen, und viele Fundamentalisten unterstützen Israel nur deswegen, weil sie hoffen, irgendwann alle Juden dorthin abschieben zu können.

Die Macht der amerikanischen Juden hält sich also in Grenzen, und das mag ein Grund dafür sein, daß in Wirklichkeit nur sehr wenige Juden wichtige Posten auf Regierungsebene innehaben. Im Außen- und Verteidigungsministerium, wo sie sich scharen müßten wie Bienen um ein Marmeladenglas, wenn Buchanan recht hätte, wird dies besonders deutlich. Noch scheint es, als seien die USA jetzt oder in naher Zukunft soweit, einen jüdischen Präsidenten zu wählen.

Ich wünsche mir manchmal, Israel hätte diese Macht

Buchanans Gegner haben ihm immer wieder vorgeworfen, Antisemit zu sein. Ich kenne ihn nicht, sondern habe ihn nur einmal reden gehört und möchte diese Anschuldigung deshalb nicht aufgreifen. Statt dessen will ich auf seine Behauptungen antworten. Es stimmt einfach nicht, daß die jüdische Wählerschaft oder die Lobby, die sie vertritt, oder Israel oder Ariel Scharon in der Lage wären, die amerikanische Politik zu bestimmen. Allenfalls können sie einen begrenzten Einfluß auf sie ausüben. Es stimmt einfach nicht, daß den amerikanischen Neokonservativen, ob sie nun Juden sind oder nicht, andere Interessen als die amerikanischen am Herzen liegen. Allerdings sehen sie diese Interessen in einem Licht, das eher die Vision eines Richard Nixon aufscheinen läßt als die des Pat Buchanan. Daß die Entscheidung, Krieg gegen den Irak zu führen, in vieler Hinsicht unerklärlich ist, heißt nicht, daß die Theorie über Israels Machenschaften richtiger wäre als jene, die in einem klassischen Fall von cherchez la femme Condoleezza Rice die Schuld in die Schuhe schiebt. Nach sorgfältiger Lektüre von Buchanans Artikel kann ich ihm nicht zustimmen, daß Israel auch nur halb soviel Macht hat, wie er zu glauben scheint. Wenn ich morgens aufwache und mir über die Lage meines Landes Gedanken mache, wünsche ich mir manchmal, es hätte diese Macht.

Foto: Überführung des verunglückten israelischen "Columbia"-Astronauten Ilan Ramon im Februar 2003: Vom kuscheligen Verhältnis distanziert

 

Prof. Dr. Martin van Creveld, geboren 1945 in Rotterdam. 1950 wanderte die Familie nach Israel aus. Seit 1971 lehrt er als Militärhistoriker an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Van Creveld gilt als einer der bedeutendsten Militärtheoretiker der Gegenwart. Er berät die Streitkräfte verschiedener Nationen, darunter auch das US-Verteidigungsministerium. Er ist Autor des Buches "The transformation of war" ("Die Zukunft des Krieges", Gerling Akademie Verlag, 1998).


 
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