© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/03 02. Mai 2003


Politische Klasse
Wo bleibt der preußische Geist?
Dieter Stein

Deutschland befindet sich in einer Wirtschaftskrise, das wissen wir. Täglich werden wir bombardiert mit neuen Horrornachrichten über insolvente Firmen und steigende Arbeitslosenzahlen. Mit einer modisch titulierten "Agenda 2010" will nun der Bundeskanzler einige nicht mehr aufzuschiebende "Reformen" anleiern. Apropos "Reformen": Geht es Ihnen auch so auf die Nerven, daß jede rumpelige Kursänderung, jedes schlingernde Zurückrudern, dilettantische Herumdoktern und heillose Zusammenstreichen irgendwelcher aufgeblähten Haushaltsposten als "Reformen" verbrämt wird?

Jedenfalls sieht es derzeit so aus, als müsse künftig kollektiv der Gürtel noch enger geschnallt werden. Nicht, weil sich die Bikini-Saison wieder bedrohlich schnell nähert und sich verdächtig viele im Stadtpark schnaufend mit Pulsuhr vom Hüftgold befreien wollen oder zu Hause "nach Montignac" vor sich hin hungern. Nein: Die Krankenkassen sind pleite, die Rententöpfe sind leer, der Etat der Bundesanstalt für Arbeit (BA) erneut überzogen. Nichts geht mehr. Oder doch? Für einige wenige geht noch etwas.

Zum Beispiel für den Chef jener Einrichtung, die sich um bald fünf Millionen Arbeitslose (so die neuesten Prognosen für den nächsten Winter) kümmern soll. Florian Gerster (SPD), seit 2002 BA-Präsident (Bruttojahresbezüge: 250.000 Euro, Vorgänger Bernhard Jagoda, CDU, bekam nur 130.000 Euro), läßt sich dieser Tage erst einmal seine Repräsentanz ordentlich renovieren. Gerster bestätigte Zeitungsberichte, nach denen diese "Reform" in seinen Räumen 1,8 Millionen Euro kosten soll. "Ein Fünftel oder ein Sechstel dieses Betrages" sei jedoch nur für die Vorstandsetage geplant, der Rest für einen "neuen Presseraum". Es ist nicht das einzige Signal in diesen Tagen, das davon zeugt, daß Verantwortliche der politischen Klasse nicht die Zeichen der Zeit verstanden haben. Wasser predigen und Wein trinken, lautet die Devise.

So reichen die Bezüge der Gewerkschaftsbosse, wie eine konservative Bürgerinitiative dieser Tage in Zeitungsanzeigen enthüllt, mittlerweile locker an die Gehälter der Chefs großer Dax-Konzerne heran. Ein rücksichtsloses Absahnen und Abkassieren hat sich bei all denen breit gemacht, die als Interessenwahrer der Bürger und Steuerzahler angetreten sind.

So kann die aberwitzige Diätenerhöhung (um bis zu 45 Prozent!) des bankrotten Bundeslandes Schleswig-Holstein, wie jetzt bekannt wurde, nur durch eine erhöhte Netto-Neuverschuldung finanziert werden. Während die Lichter in den Partykellern der "New Economy" längst erloschen sind, wird beim politischen Establishment noch in Saus und Braus gefeiert.

Auf die Idee ist schon lange keiner mehr gekommen, sich auf das alte preußische Prinzip Friedrichs des Großen zu beziehen, der sich als "Erster Diener im Staate" verstand und damit seinen Untertanen auch viel abverlangen konnte. Niemand erwartet von Schröder und Genossen, so spartanisch wie König Friedrich zu nächtigen - doch ein Appell an die Tugenden dieses Staates täten not.


 
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