© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/03 02. Mai 2003

 
Altlasten aus den zwanziger Jahren
Vorkriegsschulden: Der US-Amerikaner Roman Kutsky will 25.000 Dollar von Dresden zurück und könnte damit eine Kettenreaktion auslösen
Paul Leonhard

Die Ruhe war trügerisch und währte nur vier Jahre. In diesem Frühjahr pochte der Berliner Rechtsanwalt Andre Sayatz erneut an die Dresdner Rathaustür. Diesmal sorgte er mit der Kopie eines Papiers im DIN-A3-Format für Unruhe. Es geht um nicht getilgte Vorkriegsschulden. Im konkreten Fall vertritt Sayatz den Amerikaner Roman Kutsky aus der Nähe von Seattle im US-Bundesstaat Washington. Der 80jährige Kläger besitzt ein Wertpapier über 1.000 Golddollar aus den zwanziger Jahren und will dafür mindestens 25.000 US-Dollar von Dresden haben.

Das Papier gehört offenbar zu einer Schuldverschreibung über fünf Millionen US-Dollar, die Dresden 1925 aufgenommen hat und die 1945 fällig gewesen wäre. In der Weimarer Republik hatte Dresden, wie viele andere deutsche Städte auch, Kapital im Ausland gesucht. Mit den Anleihen wurde der Ausbau der Infrastruktur finanziert. Unter anderem baute die Stadt das Straßenbahnnetz aus und erweiterte die Elektrizitäts- und Wasserwerke.

Millionenbeträge plus Zins und Zinseszins seit 1933

Forderungen nach dem Begleichen von Altschulden sind für die Dresdner Stadtväter nicht neu. In den ersten zehn Jahren nach der friedlichen Revolution gingen in der Landeshauptstadt 15 Anmeldungen auf Rückforderungen ein. So forderte Anfang 1999 eine skandinavische Bank in Zusammenhang mit einer amerikanischen Anleihe - dieselbe, auf das sich das Kutsky Wertpapier bezieht - 25.000 Dollar. Ein weiterer Fall erinnerte das Rathaus an eine Schuldverschreibung über 600.000 Pfund Sterling aus dem Jahr 1927, fällig 1952. Bei der sogenannten England-Anleihe forderte Rechtsanwalt Sayatz vom Berliner Büro der US-Anwaltskanzlei Baker & McKenzie bereits damals im Namen mehrerer Inhaber einer Teilschuldverschreibung 100 Pfund Sterling plus Zinsen, was nach heutigem Stand etwa 500 Euro entsprechen würde.

Dresden weigerte sich damals in Abstimmung mit dem Bundesamt für Finanzen, den Forderungen nach der Rückzahlung von Anleihen aus der Vorkriegszeit nachzukommen. Es gebe dafür keine Rechtsanlage, argumentierte die Stadtkämmerei. Man verwies auf das Londoner Schuldenabkommen von 1953. Dieses beinhaltet unter anderem die Regelung der seit Beginn der dreißiger Jahre nicht mehr vollständig bedienten deutschen Auslandsanleihen privater oder öffentlich-rechtlicher Schuldner.

In dem Vertrag übernahm die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches die Schulden aus den Auslandsanleihen ihrer Vorgängerstaaten. Insgesamt beliefen sich die zu regelnden Schuldverhältnisse auf 13,5 Milliarden Mark, von denen knapp die Hälfte erlassen wurde. Die DDR beteiligte sich an dem Abkommen nicht, da sie sich nicht als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches betrachtete. Allerdings enthält das Londoner Schuldenabkommen den Passus: "Bei der Wiedervereinigung Deutschlands werden die Parteien dieses Abkommen einer Nachprüfung unterziehen."

Seit der Wiedervereinigung lebe eine Vielzahl von bisher unbeachtet gebliebenen Ansprüchen aus vor 1945 emittierten deutschen Auslandsanleihen auf, warnte Hans-Georg Glasemann bereits in seinem 1992 erschienenen Fachbuch "Deutschlands Auslandsanleihen 1924-1945 - Rückzahlungen nach der Wiedervereinigung von 1990" (Antik Effekten GmbH, Frankfurt/Main). Glasemann geht dabei konkret auf die US-Dollar-Anleihen der Städte Leipzig und Dresden aus den zwanziger Jahren ein. Die Schulden würden noch heute bestehen, sagte Glasemann, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für "Historische Wertpapiere" an der Industrie- und Handelskammer Frankfurt/Main, im Januar 1999 dem Nachrichtenmagazin Spiegel. Die Forderungen seien berechtigt.

Im Einigungsvertrag wurde das Thema schlicht vergessen

Betroffen wären aber auch die früheren Freistaaten Anhalt und Sachsen, die ehemaligen Landkraftwerke Leipzig Aktiengesellschaft in Kulkwitz, die ehemalige Leipziger Messe- und Ausstellungs-Aktiengesellschaft und die ehemalige Sächsische Landespfandbriefanstalt. Insgesamt besteht nach Angaben der ehemaligen englischen Wertpapier-Schutzgemeinschaft "The Council of the Corporation of Foreign Bondholders" für die insgesamt neun Emissionen dieser sächsischen Schuldner heute eine offene Kapitalschuld in Höhe von nominal etwa elf Millionen US-Dollar sowie 825.000 Pfund Sterling. Zinsen wurden meistens bereits seit 1933/1934 nicht mehr gezahlt. Eine Entschädigung von Kapital und rückständigen Zinsen gerechnet nach Maßgabe des Londoner Schuldenabkommens beliefe sich 1990 auf etwa 43 Millionen US-Dollar sowie 2,9 Millionen Pfund Sterling.

Allerdings hat die Bundesregierung bisher keine Verhandlungen zur Regelung der offenen Schulden aufgenommen. Im Einigungsvertrag war das Thema vergessen worden. Somit gebe es für Dresden keine Vertragsregelungen, argumentiert man in der sächsischen Landeshauptstadt. Überdies seien die ostdeutschen Kommunen 1990 neu gegründet worden.

Der Versuch von Rechtsanwalt Sayatz, über ein Zivilgericht für seinen Mandanten eine Rückzahlung zu erkämpfen, setzt das Thema nun erneut auf die Tagesordnung. Zwar machte das Dresdner Landgericht vergangene Woche deutlich, daß es die Klage abweisen wird: Die heutige Landeshauptstadt sei nicht Rechtsnachfolger der Stadt Dresden, die in den zwanziger Jahren die Auslandsanleihen aufgenommen hat. Als Gegenargument führen die Kläger an, daß das mit dem geborgten Geld geschaffene Anlagevermögen heute im Besitz eines städtischen Betriebs ist. Überdies habe die Stadt auch Werte eingefordert, die ihr zu Zeiten des SED-Regimes weggenommen wurden und sich so praktisch als Rechtsnachfolger legitimiert.

Das Urteil soll Mitte Mai verkündet werden. Rechtsanwalt Sayatz kündigte bereits an, den Rechtsweg auszuschöpfen. Notfalls werde er auch ein Gericht im Ausland anrufen. Damit hatte er bereits 1999 gedroht. 


 
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