© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/03 02. Mai 2003

 
Angst vor Staub und Schwerlastverkehr
Bergbau: Ein geplanter großflächiger Gipsabbau im Südharz erregt Naturschützer und die Tourismusbrache
Peter Freitag

Einmütig wie selten regt sich der Widerstand gegen die Erschließung neuer Gipsabbaugebiete im thüringischen Südharz. Kommunen, Anwohner und Umweltschutzverbände protestieren gleichermaßen gegen die Pläne der Zementindustrie in der Rüdigsdorfer Schweiz nördlich von Nordhausen auf einer fast hundert Hektar großen Fläche einen neuen Tagebau anzulegen.

Der Gipsabbau hat in dieser Region am Südrand des Harzes, wie auch im benachbarten niedersächsischen Teil um die Stadt Osterode herum, eine bis ins Mittelalter reichende Tradition. Der für die Herstellung von Mörtel benötigte Rohstoff wird seit dieser Zeit dort in Steinbrüchen abgebaut und vermarktet. Die alteingesessenen Unternehmen (beispielsweise die Südharzer Gipswerke) gehören mittlerweile allerdings fast ausnahmslos zu internationalen Zementkonzernen, deren Vorhaben im fraglichen Gebiet nun breiten Widerstand verschiedener Interessenverbände auf den Plan rufen, die sonst nicht gerade an einem Strang ziehen.

Die Befürchtungen der Umweltschützer richten sich auf die Zerstörung eines der letzten erhaltenen Gipskarstgebiete mit seiner einmaligen Artenvielfalt; Anwohner und Gemeinden sorgen sich um das Naherholungsgebiet, welches durch den Tagebau an Attraktivität verlieren würde und den Niedergang der gerade erst etablierten Fremdenverkehrseinrichtungen nach sich zöge. Der Verlust an Arbeitsplätzen in diesem Sektor träfe die strukturschwache Region, die seit dem Niedergang der dort ansässigen DDR-Industrie an hoher Arbeitslosigkeit leidet, besonders hart und könnte durch den ausgeweiteten Gipsabbau nicht aufgewogen werden. Als alternativen Wirtschaftsfaktor möchte man dort statt dessen Naturliebhaber ansprechen, da das Gebiet sich durch die reizvolle und abwechslungsreiche Landschaft besonders für Wanderurlauber eignet.

Aus diesem Grund sind in den vergangenen Jahren auch neue Pensionen und Gaststätten angesiedelt worden. Infolge des Tagebaus drohen jedoch erhebliche Staubemissionen und ein ansteigender Schwerlastverkehr, der gerade den sanften Tourismus empfindlich stören könnte. Die angrenzenden Gemeinden würden zudem von den schon vorhandenen und den neuen Abbaugebieten förmlich eingeschlossen.

Die Industrie vor Ort, vor allem der Konzern British Plaster Board Formula (BPB), begründet die Ausweitung ihres Abbaus mit einem prognostizierten Mehrbedarf von 3,8 Millionen Tonnen Gips pro Jahr in Deutschland. Ebenso wirtschaftlich orientiert argumentieren die Umweltschützer dagegen: Der Bedarf an Gips - so der BUND - geht laufend zurück (nicht zuletzt durch die Konjunkturschwäche der Bauwirtschaft), außerdem kann ein großer Teil des abzubauenden Naturgipses durch Rückstände von Rauchgasentschwefelungsanlagen kompensiert werden.

Allein beim Energiekonzern VEAG liegen nach Einschätzung des BUND bereits jetzt drei Millionen Tonnen sogenannten Rea-Gipses, der bei der Entschwefelung von Braunkohlekraftwerken entsteht und für den bisher die Abnehmer fehlten.

Die Naturschützer führen gegen den Abbau dort auch die bedrohte Artenvielfalt in der Gipskarst ins Feld, darunter seltene Orchideen und Krautarten, Trockengebüsche und Streuobstwiesen sowie Wildkatzen, Eulen, Fledermäuse und zahlreiche Schmetterlingsarten. Schon der in Niedersachsen gelegene Teil der Karst sei durch den Gipsabbau weitgehend vernichtet worden. Durch die starke Monopolisierung der Zementindustrie, die kürzlich vom Bundeskartellamt durch ein Strafverfahren mißbilligt wurde, konnte jedoch auf die Landesregierung ein erheblicher Druck ausgeübt werden, so Burkhard Vogel vom BUND Thüringen gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.

Die Firma Heidelberg-Cement AG/ Maxit, die im Bereich Nordhausen bereits Kalkabbau betreibt, ist wegen illegaler Preisabsprachen zu einer Geldstrafe von 251 Millionen Euro verurteilt worden, wodurch dem Unternehmen - außer durch die Krise der Bauwirtschaft - weiterer finanzieller Schaden droht. Um so größer scheint also das Interesse an der Erschließung neuer Abbaugebiete zu sein.

Andererseits schlossen in den vergangenen Jahren bereits mehrere vor Ort ansässige Gipsverarbeitungsfirmen in der strukturschwachen Region Nordhausen. In den Gemeinden geht also die Befürchtung um, man verliere zwar laufend Arbeitsplätze durch die darbende Baubranche, bleibe aber gleichzeitig auf den Hinterlassenschaften in Form von Kalksteinbrüchen sitzen. Mit Unterschriftenlisten, die in absehbarer Zeit dem Erfurter Umweltministerium überreicht werden sollen, versucht der BUND dagegen anzugehen. Außerdem, so Vogel, plane man Flächenaufkäufe, um den Abbau dort zu verhindern.

Die Errichtung eines Biosphärenreservats Südharz werde zwar von der Regierung Sachsen-Anhalts stark propagiert und betrieben, allerdings durch die Länder Niedersachsen und Thüringen gebremst. Nach Ansicht des BUND habe die Erfurter Landesregierung das Karstgebiet Harzfelder Holz, wo BPB Gipskalk abbauen möchte, auf Druck der Zementindustrie aus dem europäischen Naturschutzgebiet Rüdigsdorfer Schweiz herausgenommen. Das Erfurter Umweltministerium erklärte hingegen gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, daß eine Abbaugenehmigung von einer noch ausstehenden Umweltverträglichkeitsprüfung abhängig sei. Die beantragte Abbaufläche in Rüdigsdorf/Winkelberg sei lediglich 1,5 Hektar groß.


 
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