© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/03 09. Mai 2003


Arabisches Trizonesien
Irak: Politisch bevormundet und zwangsbeglückt mit der US-Marktwirtschaft
Alexander Griesbach

Der Tod von mindestens einem Dutzend Irakern, die bei gewalttätigen Auseinandersetzungen mit US-Soldaten vergangene Woche in Falludscha umkamen, löst in verschiedener Hinsicht Assoziationen zu der Lage in den palästinensischen Autonomiegebieten aus. Begonnen hatte die Auseinandersetzung, als die Einwohner der Stadt die US-Soldaten aufforderten, eine von ihnen besetzte Schule zu räumen. Was dann geschah, wird sich wohl mit letzter Sicherheit nicht mehr aufklären lassen. Das Pentagon behauptet, US-Soldaten seien beschossen worden und hätten dann das Feuer erwidert. Einige Iraker in der Menge sollen mit AK-47-Gewehren in die Luft und auch auf die US-Soldaten geschossen haben.

Beteiligte Iraker zeichneten freilich ein ganz anderes Bild der Ereignisse. Ein 18jähriger, der bei dem Zwischenfall verwundet wurde, erklärte gegenüber Associated Press, die US-Soldaten "warteten, bis wir ganz nahe herangekommen waren, und dann eröffneten sie das Feuer". US-amerikanische Soldaten bestätigten, daß sie zu schießen begonnen hätten, als die Demonstranten auf rund drei Meter an ihre Stellungen herangekommen waren. Die geringe Schußweite trug zu der hohen Zahl von Toten und Verwundeten bei. Ahmed Karim, ein 21jähriger Iraker, der Augenzeuge des Gemetzels war, erzählte der britischen Zeitung Independent: "Wir kamen zum Schulgebäude und hofften, mit den Soldaten sprechen zu können, als sie plötzlich begannen, auf uns zu schießen. Ich glaube, sie wußten, daß wir unbewaffnet waren, aber sie wollten uns ihre Macht demonstrieren, um uns von Protestaktionen abzuhalten."

Für die Version der beteiligten Iraker spricht eine AP-Meldung, wonach es keine Schußspuren an der Schule gegeben habe. Bestätigt wurde diese Meldung durch den britischen Independent-Korrespondenten Phil Reeves, der unterstrich, daß an der Vorderseite des Schulgebäudes keine Einschußlöcher zu erkennen gewesen waren, die auf einen Feuerüberfall von Irakern hindeuteten.

In Israel haben die Scharmützel im Irak eine gewisse Genugtuung ausgelöst. So berichtete die New York Times, daß Israel vorgeschlagen habe, daß die Vereinigten Staaten doch von seinen Erfahrungen lernen könnten, zum Beispiel bei der Verwendung von Panzern, Helikoptern und Bulldozern im Innern der Städte und Flüchtlingslager.

Die Vorgänge in Falludscha, die nicht die letzten dieser Art bleiben dürften, zeigen vor allem eines: die Amerikaner werden von vielen Irakern immer weniger als "Befreier" wahrgenommen, sondern in steigendem Maße als illegitime Besatzungsmacht. Und dies nicht ohne Grund. Ende letzter Woche sickerte durch, daß der Irak - Deutschland (Stichwort "Trizonesien") läßt grüßen - in drei Sektoren aufgeteilt werden soll. Es soll eine amerikanisch, eine britisch und - man höre und staune - eine polnisch kontrollierte Zone geben. Polen und Briten sollen in ihrem Sektor an der Spitze einer multinationalen Truppe stehen. Den Oberbefehl soll US-General Tommy Franks innehaben. Daß die Polen von der ihnen angetragenen Verantwortung begeistert sind, kann nicht überraschen.

In gleichem Maße, wie die Polen durch ihre Rolle im Irak international aufgewertet werden, werden die Vertreter des "alten Europa" wie Deutschland und Frankreich düpiert. Diese vertiefen durch eine ungeschickte Politik den Gegensatz zu Washington weiter, wie der unmotivierte "Vierergipfel" letzte Woche, auf dem die Frage einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ausgelotet werden sollte, eindrucksvoll zeigte (siehe Seite 2).

Unterdessen nehmen die Pläne der Amerikaner für den Wiederaufbau des Iraks konkrete Konturen an. Diese wollen in dem Land eine Wirtschaft nach US-Vorbild etablieren. So sieht es zumindest ein Plan vor, den die US-Behörde für internationale Entwicklung (AID) entwickelt hat. Dieser bisher noch als "vertraulich" eingestufte Plan sieht die Privatisierung der staatlich kontrollierten Industriesektoren sowie den Aufbau einer Börse mit elektronischem Handel und eine Steuerreform vor. Wer diesen Plan umsetzen soll, liegt auf der Hand: US-Beratungsunternehmen wie Bearing Point und andere, die sich bereits ihre Beraterdienste in Afghanistan üppig haben bezahlen lassen. Laut Handelsblatt sind allein für die Beratung im ersten Jahr 70 Milliarden Dollar budgetiert.

Vieles an diesem Plan erinnert an die "Schocktherapie", mit der die Staaten des ehemaligen "Ostblocks" nach dem Ende des Kalten Krieges beglückt worden waren. "Schocktherapie" meinte die Einführung marktwirtschaftlicher Methoden quasi über Nacht. Das Ergebnis dieser Therapie ist unter anderem die Verarmung breiter Schichten der Bevölkerung und die Heraufkunft zweifelhafter "Finanzoligarchen" gewesen, die bis heute in Rußland und anderswo ökonomisch den Ton angeben.

Aufschlußreich dürfte auch die Entwicklung in der irakischen Ölindustrie werden. Hier stehen die US-Amerikaner unter besonderer Beobachtung. Ermöglichen diese ihren Ölmultis den Zugriff auf das irakische Öl, kann der Verdacht, daß die USA den Irak vor allem wegen seiner Erdölreserven erobert haben, als erhärtete Tatsache betrachtet werden.

Dieser Verdacht gewinnt in diesen Tagen durch die nach wie vor fehlenden Beweise für irakische Massenvernichtungswaffen sowieso schon an Nahrung. Bush beteuert zwar, früher oder später würden im Irak Massenvernichtungswaffen gefunden werden: "Der Irak hat die Größe von Kalifornien", unterstrich der Präsident. "Es gibt Tunnel, Höhlen, alle Arten von Komplexen. Wir werden sie finden, und das ist nur eine Frage der Zeit." Hunderte Experten sind inzwischen ausgeschwärmt, um irgendeinen brauchbaren Beleg für den offiziellen Kriegsgrund zu finden. Vergangenes Wochenende erklärten die Behörden, daß die Zahl der US-Waffeninspekteure auf 1.500 aufgestockt werden soll. Gefunden haben diese bis heute nichts.

Mehr und mehr können sich deshalb diejenigen bestätigt sehen, die mit Blick auf die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Iraks immer schon von einem großen Bluff gesprochen haben, mit dem die "internationale Gemeinschaft" dazu gebracht werden sollte, sich hinter die Kriegspläne Bushs zu stellen.

Den scheint diese Diskussion nur noch marginal zu interessieren. Der US-Präsident betonte mittlerweile erneut seine Entschlossenheit, Bedrohungen gegen die USA notfalls durch Präventivschläge abzuwenden. Die nächsten Wahlen werden zeigen, ob die Amerikaner vor dem Hintergrund ihrer eigenen wirtschaftlichen Malaise bereit sein werden, Bushs globalen Kreuzzug weiter zu finanzieren.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen