© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/03 16. Mai 2003

 
Die Revolution wird noch etwas auf sich warten lassen
Wenn die neue Jugendbewegung musiziert, kann sich der Hörer auf ein Erlebnis der besonderen Art gefaßt machen
Manuel Ochsenreiter

Die Passantin konnte kaum glauben, was sie da erblickte: Sie sah einige junge Menschen in nicht mehr ganz alltäglichen Trachten mit Klampfen und vielleicht sogar einigen Fähnchen. Bei der örtlichen Polizei berichtete sie von "Uniformierten", die mit Holzgewehren "Wehrsportübungen" veranstalteten. Die Ordnungshüter konnten, wie so oft bei solchen Fehlalarmen, nur schulterzuckend feststellen, daß "keine Uniformierten" dort anzutreffen waren. Vielmehr handelte es sich bei der Ansammlung, die die Dame zum Halluzinieren brachte, um Teilnehmer des "Liedglut"-Musik- und Tanzfestes des linksnationalen Magazins wir selbst, das bereits im Herbst 2000 unter dem Motto "Freies Volk in einem freien Land" stattfand und jetzt endlich auch als Tonträger erhältlich ist.

In Anbetracht solcher wilden Geschichten um ein kleines Konzert in der westfälischen Provinz ist man besonders neugierig auf die dort dargebotenen Stücke. Schon das Begleitbuch kommt verwegen daher; es lodern Feuer in der Nacht, ein sturmgepeitschtes Mädchengesicht blickt dem Betrachter fest in die Augen. Hanno Borchert kündet in einem bemühten Vorwort gar von einer "neuen Jugendbewegung", die "längst dabei" sei, "Wirklichkeit zu werden". Man ist also gespannt, wie sich diese Jugend so anhört, wenn sie musiziert.

Das Ergebnis ist ziemlich durchwachsen. Der Liedermacher Friedrich Baunack führt engagiert durch das Programm und erzählt allerlei zu den sehr unterschiedlichen Interpreten. Vom Thüringer Duo Eichenlaub sind zwei Stücke auf der CD zu hören, die sich, zu gehörgangsfreundlichen Gitarrenakkorden, mit ihrer Heimat Thüringen sowie mit der Wiedervereinigung beschäftigen. Wer sich eine Steigerung vom Mädel-Wandervogel erhofft, wird bitter enttäuscht. Als Einführung erzählt eine Vertreterin, ihr Lied drücke das aus, was sie fühle. Man wünscht ihr nach dem Hören ihres gewiß lange geübten Stückes "Schilf bleicht", daß ihr Leben etwas aufregender werden wird.

Der Sänger Sleipnir spart offensichtlich nicht nur an Tonlagen. Sein Stück "Alles? Für's Vaterland" ist als Abrechnung mit militanten Neonazis gedacht und stellt damit die obligatorische Distanzierung im Sinne von "Wir sind nicht die Bösen - Die da sind's" dar.

Mit Dirk Bojer, der gewiß ein passabler Sänger mit der dazugehörigen musikalischen Fingerfertigkeit ist, findet die "Revolution" textlich ihren absoluten Tiefpunkt auf der "Liedg(l)ut"-CD. Bojer singt ziemlich viel von Einsamkeit und verlorenen Freunden. Was soll man dazu, bitteschön, noch sagen?

Solide hingegen klingen die Stücke, die Vertreter des Freibundes vortragen. Fast beginnt man als völlig Nichtjugendbewegter etwas von Fahrtenromantik zu verstehen. Die Birkler reißen den Hörer allerdings wieder jäh aus dem Tagtraum und stellen unter Beweis, daß man auch gänzlich unvorbereitet auf einem solchen Liederfest einige Lieder spielen darf. Wer nicht gleich zu Beginn ihres Stücks "Hexenhammer" auf "weiter" drückt, wird es bereuen. Abgesehen davon, daß es heutzutage weder frech noch mutig und schon gar nicht "revolutionär" ist, etwas gegen die Kirche zu trällern, hätten Textsicherheit und der richtige Gitarrengriff auch hierbei auf keinen Fall geschadet.

Wohltuend überraschend, weil hörbar in diesem Destillat der "volklichen Szene" (Friedrich Baunack) spielt die Gruppe Carpe Diem ihren wirklich flotten und in Ansätzen tatsächlich frechen "Staatsschutz Ska".

Insgesamt hängt die Bewertung der CD stark von der Perspektive ab, mit der man auf der Projekt blickt. Geht es um eine etwas unorthodoxe Zusammenstellung verschiedener musizierender Gruppen, die mal nicht aus dem linken Spektrum kommen, dann hat man an dieser CD sicherlich seine Freude. Begibt man sich allerdings in den Liedern auf die Suche nach einer bald auflodernden kräftigen Jugendbewegung, wie im Begleitbuch angekündigt, dann wird man von der sich durchziehenden Blutarmut der Interpreten eher enttäuscht werden.

Nur eines ist auch nach mehrmaligem Hören gewiß: Es dauert noch ewig, bis die Lieder und Gitarren der Interpreten die revolutionäre Wirkung von Gewehrläufen bekommen. Deshalb kann die Spaziergängerin garantiert nur ein paar nette und ziemlich brave Jungs und Mädels mit Instrumenten gesehen haben.


 
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