© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/03 23. Mai 2003


Jeder kriegt es zu spüren
Finanzkrise: Über den Kommunen in Deutschland kreist der Pleitegeier
Christian Roth

Der "Patient" liegt längst im künstlichen Koma. Und Besserung ist nicht in Sicht. Die bundesdeutschen Kommunen sind pleite. Gespart wird, wo es nur geht. Doch das reicht längst nicht mehr. Bundesweit greift ein beängstigender Trend um sich. Kulturstätten werden geschlossen, Schwimmbäder dichtgemacht und die Zuschüsse an gemeinnützige Vereine zusammengestrichen. "Wir können nicht mehr, Schluß, aus, vorbei", heißt es nahezu in allen Rathäusern übereinstimmend.

Nach Angaben des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) befinden sich die Kommunen "in der schwersten Finanzkrise seit 1949". Im laufenden Jahr wird die Summe der Defizite auf "katastrophale acht Milliarden Euro steigen", prophezeit DStGB-Chef Christian Schramm, Oberbürgermeister der Stadt Bautzen. Dadurch würden sich die Schulden der Kommunen auf knapp 94 Milliarden Euro erhöhen. "Wir leben von der Hand in den Mund. Doch in der Hand ist fast nichts mehr drin", sagt Richard Nospers (SPD), Interessenvertreter der saarländischen Kommunen, resigniert.

"Die Lage ist sehr, sehr ernst", muß auch Petra Roth (CDU) zugestehen. Die Frankfurter Oberbürgermeisterin wurde unlängst in ihrem Amt als Präsidentin des Deutschen Städtetages bestätigt. Es gibt Posten, die bereiten zweifelsohne mehr Freude. "Unsere Haushaltslage ist katastrophal: Die Kommunen stehen trotz eines harten Sparkurses vor einem bisher völlig unvorstellbaren Rekorddefizit, die Gewerbesteuer bricht in vielen Städten weiter ein, der Verfall der Investitionen hält an, die Sozialausgaben steigen deutlich. Viele Städte befinden sich am Rand des Ruins. Die Bürgerinnen und Bürger spüren die eingeschränkten Leistungsangebote und den dringenden Sanierungsbedarf bei der Infrastruktur", lautet Roths schonungslose Analyse.

Die Not ist mittlerweile so groß, daß immer mehr Stadtväter ihre Rathäuser zum Verkauf anbieten und sie dann zurückmieten. Das sei billiger, als selbst für die Instandhaltung aufkommen zu müssen, heißt es. Zudem werden Neubauten von privaten Bauherren geleast. Auch die sogenannten "Cross-Border-Geschäfte" erfreuen sich immer größerer Beliebtheit (JF 21/03). Kommunale Infrastruktur wird an US-Investoren veräußert, um wenigstens ein bißchen Geld in die leeren Kassen zu bekommen. Die Folgen dieser Praktiken sind unabsehbar. Das Gesamtdefizit der kommunalen Haushalte - die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben - belief sich 2002 auf 6,65 Milliarden Euro. Das ist ein Anstieg gegenüber 2001 um 2,7 Milliarden Euro. Immer mehr Städte können ihre Haushalte nicht ausgleichen. Weil die Einnahmen nicht ausreichen, müssen sie immer mehr laufende Ausgaben etwa für Sozialhilfe oder Personal dauerhaft über Kassenkredite finanzieren, die eigentlich nur zur Überbrückung kurzfristiger Liquiditätsengpässe erlaubt sind. Zur Jahresmitte 2002 summierten sich die kommunalen Kassenkredite auf 11,7 Milliarden Euro und waren damit mehr als zehnmal so hoch wie 1992.

Seit 2000 sind 3,8 Milliarden Euro von der Gewerbesteuer weggebrochen. In vielen Städten war der Rückgang zwischen 2000 und 2002 überdurchschnittlich, in 23 Städten betrug er mehr als 30 Prozent. "Ohne rasche Hilfe von Bund und Ländern können wir die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland bald zu Grabe tragen", sagt Roth resigniert. "Es ist gut, daß an einer Reform der Gemeindefinanzen gearbeitet wird. Aber sie wird nicht so rasch kommen, wie das angesichts der dramatischen Lage vieler Städte nötig wäre: Wir fordern vor allem, daß der Bund seine ablehnende Haltung gegen den Antrag der Bundesratsmehrheit aufgibt und gemeinsam mit den Ländern den Kommunen ab sofort weniger von der Gewerbesteuer wegnimmt", fordert die Präsidentin des Deutschen Städtetages. Doch das ist ein frommer Wunsch. Und die Hoffnung auf wieder steigende Steuereinnahmen haben die Kämmerer mit Blick auf die anhaltend schwache Konjunktur begraben.

Die Lage ist ernst. Doch offenbar immer noch nicht ernst genug. Denn wie der Bund der Steuerzahler (BdSt) kritisiert, werden von Bund, Ländern und Kommunen nach wie vor etwa 30 Milliarden Euro pro Jahr buchstäblich aus dem Fenster rausgeschmissen. "Damit muß Schluß sein", fordert Verbandschef Karl Heinz Däke. Weitere zig Millionen ließen sich durch die Privatisierung kommunaler Dienstleistungen sparen. Stichwort: Schlanker Staat. Nach Angaben des Karl-Bräuer-Institutes des Steuerzahlerbundes übernehmen beispielsweise noch immer dreißig Prozent der Kommunen die Straßenreinigung selbst. Dabei sind sich Experten einig, daß sie diese in der Regel "nicht so günstig durchführen können wie private Dritte", weil diese unter anderem mit weit weniger Personal auskommen.

In den letzten zwei Jahrzehnten sind die Sozialhilfeausgaben auf das Achtfache gestiegen. Mehr als drei Millionen Menschen, etwa vier Prozent der Bevölkerung, leben aus den öffentlichen Kassen. Zirka ein Drittel davon sind Ausländer. Von den 18- bis 24jährigen Sozialhilfe erhaltenden Männern sind inzwischen 65 Prozent Ausländer. Der Migrationsexperte Professor Herwig Birg schätzt die Kosten auf "deutlich über fünf Milliarden Euro pro Jahr", die durch die Masseneinwanderung entstehen. Instandhaltung von Asylbewerberheimen, Hotelkosten für Kriegsflüchtlingen - all dies fällt in den Verantwortungsbereich der kommunalen Selbstverwaltung. Rund zwei Drittel der Asylbewerber erscheint gar nicht erst zur Anhörung und solange sich die Gerichte mit Einspruchsfristen und Abschiebe-Widersprüchen auseinandersetzen, versiegen weitere Geldquellen im Milliarden-Loch "Asylbetrug". Doch über diese Problematik wird in Deutschland nicht gesprochen.

Angesichts der katastrophalen Situation wirken die Einsparbemühungen einzelner Kommunen beinahe grotesk. So wird in den Außenbezirken Braunschweigs zwischen ein und fünf Uhr morgens die Straßenbeleuchtung abgeschaltet. In Offenbach sah sich der Stadtrat unter anderem gezwungen, das städtische Theater, zwei Jugendzentren und drei der vier Schwimmbäder dichtzumachen. In Essen schlossen zwei Freibäder und vier Bibliotheken. Im niedersächsischen Oldenburg fielen ein Jugendzentrum und eine Realschule dem Rotstift zum Opfer. Leipzig strich die Kulturförderung zusammen. In München steht die Zukunft des Deutschen Theaters auf dem Spiel.

"2003 wird ein Schicksalsjahr für die Kommunen", sagt Roth düster und spricht ein Hauptproblem der Gemeinden an. "Wir hoffen sehr, daß es zu einer Reform der Gewerbesteuer kommt. Außerdem brauchen wir dringend eine Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die gleichzeitig die Kommunen deutlich von Sozialausgaben entlastet." Deutschland am Nullpunkt.

Foto: Geschlossenes Metropol-Theater in Berlin: 2003 wird ein Schicksalsjahr für die Kommunen


 
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