© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/03 23. Mai 2003


17. Juni 1953
Ein merkwürdiges Land
Dieter Stein

Wir Deutschen sind doch ein merkwürdiges Volk. Oder sagen wir besser: Haben wir nicht eine merkwürdige geistig-politische Klasse? Nun nähern wir uns dem 50. Jahrestag des 17. Juni 1953: dem 50. Jahrestag des niedergeschlagenen Volksaufstandes in der DDR für freie Wahlen und deutsche Einheit. Neben dem 20. Juli 1944 und dem 9. November 1989 das herausragende, identitätsstiftende Datum für ein neues deutsches Nationalbewußtsein.

Und was tut sich? Was sehen Sie, wenn Sie von zu Hause auf dem Weg zur Arbeit sind? An den Bushaltestellen? In der U-Bahn an den Plakatwänden? In den Zeitungen? Sehen Sie irgendwo Aufrufe oder Werbetafeln? Was sehen Sie abends im Fernsehen, welche Vorankündigungen werden dort gesendet? Und was beschäftigt die Kinder an den Schulen? Welche Projekte werden vorbereitet? Welche Aufsatzthemen werden ausgelobt?

Nichts, so gut wie gar nichts tut sich. Zwei, drei Zeitungen haben ihre Leser aufgefordert, ihre Erinnerungen zu schreiben. Wenigstens das (auch wir haben dazu aufgerufen). Das Fernsehen sendet schamhaft billig produzierte Filme, die über ein mittelmäßiges Fernsehspiel nicht hinausragen (siehe ausführlicher Bericht auf Seite 11) und die patriotische Komponente des 17. Juni komplett unterschlagen - keine schwarz-rot-goldene Fahne! Die deutsche Jugend fiebert so im Kino nicht etwa einem Epos über die über 50 gefallenen und 15.000 inhaftierten Helden des 17. Juni entgegen, sondern sehnsüchtig erwartet wird der mit allem nur denkbaren Pomp Hollywoods beworbene Megakassenschlager "Matrix Reloaded". Kennen Sie nicht? Egal, diesen Film werden sie sehen, die deutschen Kids des Jahres 2003.

Woran liegt es, daß kitschige Schmonzetten vor dem Panorama eines Unabhängigkeits- oder Bürgerkrieges entlegener britischer Überseekolonien ("Der Patriot", "Vom Winde verweht", "Fackeln im Sturm") einen durchschnittlichen Zuschauer zwischen Pasewalk und Blaubeuren mehr bewegen als der tragische Kampf einer Million mitteldeutscher Landsleute 1953 um Freiheit und Einheit ihrer Nation?

Weil die deutschen Filme so schlecht sind? Das ist ein gutes Argument, denn es stimmt. International erfolgreiche deutsche Produzenten und Regisseure wie Bernd Eichinger oder Roland Emmerich machen lieber weltweit zu vermarktende US-patriotische Streifen wie "Independence Day" oder "Der mit dem Wolf tanzt", als daß sie Millionen in einem von der deutschen Medien-Öffentlichkeit nicht unterstützten Film über den 17. Juni 1953 versenken. Zuletzt erst hatten die unpatriotischen Medienverantwortlichen 2001 dafür gesorgt, daß sich der mutige Filmemacher Bastian Cleve mit dem aufwendigen Film "So weit die Füße tragen" eine blutige Nase geholt hat.

Es fehlt das öffentliche Interesse an einer Würdigung positiver deutscher Geschichte. Die tonangebende politische Klasse will keinen deutschen Patriotismus - schon gar nicht im Kino. Rund-um-die-Uhr-Bewältigung wird hingegen an 365 Tagen im Jahr überreich belohnt.


 
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