© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/03 23. Mai 2003

 
Im Norden nichts Neues
Bremen: Die Große Koalition gilt schon als abgemacht / Ein Wahlsieg könnte der CDU die Regierungsbeteiligung kosten / Die kleinen Parteien gelten als chancenlos
Peter Freitag

Diesen Sonntag dürfen die etwa 500.000 Wahlberechtigten in Bremen und Bremerhaven über die Zusammensetzung ihrer neuen Bürgerschaft und damit über den neuen Senat befinden.

Fast hat man jedoch den Eindruck, als sei die Wahl bereits entschieden, denn von einem heftigen Wahlkampf ist weit und breit nichts zu sehen. Das mag vielleicht äußerlich damit zu tun haben, daß die beiden großen Parteien und nach ihnen auch die Grünen sowie die FDP übereinkamen, im wahrsten Sinne des Wortes "unplakativ" zu bleiben, also auf die Errichtung großer Werbeflächen zu verzichten. Und natürlich spielt auch der "Kuschelkurs" des Senatspräsidenten Henning Scherf (SPD) und seines Stellvertreters Hartmut Perschau (CDU) eine diesbezüglich mäßigende Rolle.

Die Feststellung, daß der Haushalt nicht wie geplant im Jahre 2005 saniert ist, dramatisch sinkende Steuereinnahmen (durch Bevölkerungsabwanderung ins niedersächsische Umland) und ausbleibende Bundeszuschüsse, dazu eine Arbeitslosenquote, die an mitteldeutsche Regionen erinnert (18 Prozent in Bremerhaven), und ein besonders schlechtes Abschneiden der Schulen bei der Pisa-Studie: Das alles bietet reichlich Zündstoff für Polarisierungen. Oder gerade nicht. Denn die beiden Spitzenkandidaten der großen Parteien sind sich über den Sanierungskurs und die notwendigen Einschnitte weitgehend einig. Und sie verweisen auf Anfangserfolge, wie das im Vergleich zum Bund wesentliche höhere Wirtschaftswachstum und auch auf die Investitionsquote, die nunmehr über 17 Prozent gestiegen ist.

Die beiden Koalitionäre müssen sich nicht gegeneinander, sondern jeweils gegen die kleinen Wadenbeißer zur Wehr setzen, die ihnen vorwerfen, durch eine Große Koalition ein politisch sinnvolleres Projekt in den Wind zu schlagen. Im Falle der SPD sind das die Grünen, mit 10 Sitzen die derzeit einzige innerparlamentarische Opposition (sieht man von dem einen Bremerhavener DVU-Abgeordneten in der Bremischen Bürgerschaft einmal ab). Sie wollen die Genossen auf eine rot-grüne Koalition einschwören, die ökologie- und gesellschaftspolitisch näherliegend sei. Die Grünen mit ihrer Spitzenfrau Karoline Linnert bekämpfen die Großprojekte des Senats, wie den Ausbau des Container-Terminals und den "Space-Park" mit angeschlossenem Einkaufszentrum. Um eine Abstrafung à la Hessen und Niedersachsen für seine Partei zu verhindern, vermeidet Scherf jede Assoziation mit der erfolglosen rot-grünen Bundesregierung. Damit stehen die Aussichten für eine Senatsbeteiligung der Grünen nicht gerade günstig.

Die FDP wirft der CDU "Hasenfüßigkeit" vor

Der Union rückt dagegen die FDP auf den Pelz, die das Agieren der Christdemokraten für "hasenfüßig" hält. Im Bereich Wirtschaft und Bildung - den beiden Knackpunkten in der Entwicklung des Zwei-Städte-Landes - seien Liberale und Union zusammen die geeigneteren Partner zur Problemlösung. Doch daß gerade der FDP-Spitzenkandidat Claus Jäger sich als Koalitionär für die CDU anböte, erscheint wenig plausibel. Erstens ringt die Partei um ihren Wiedereinzug nach zwei vergeblichen Versuchen und steht in den Umfragen derzeit nur bei knappen fünf Prozent; zweitens war Jäger schon einmal Bremer Wirtschaftssenator - ausgerechnet in einer rot-gelb-grünen Ampelkoalition, bis diese 1995 scheiterte. Für die CDU ist der Wahlausgang sowieso eine heikle Angelegenheit: In der Infratest-Umfrage vor gut einem Monat stand sie bei 36 Prozent, zwei Punkte hinter der SPD. Sollte sich dieses Verhältnis jedoch umkehren, schwinden paradoxerweise die Chancen der Union, am neuen Senat beteiligt zu sein. Denn die Signale aus der SPD lassen darauf schließen, daß die Partei nicht gewillt ist, als Juniorpartner der CDU weiterzuregieren; dann läge eine rot-grüne Koalition doch wieder nahe, die rechnerisch auf eine Mehrheit käme, da die Grünen laut Umfragen gut im zweistelligen Bereich liegen (12 Prozent).

Wenig Hoffnung auf Wahlerfolge können sich die kleinen Parteien machen. Zwar werden Schill-Partei und DVU ebenso wie die PDS in den Wählerbefragungen noch nicht unter "Sonstige" subsumiert, aber ihnen bleibt mit einer Zustimmung von jeweils nur zwei Prozent der Einzug in die Bürgerschaft augenscheinlich verwehrt. Im Vorfeld machte die Schill-Partei von sich reden, da sie sich in das auf Radio Bremen vor der Wahl ausgestrahlte "Wahlforum" einklagen wollte, bei dem nur die derzeit vertretenen Parteien SPD, CDU, Grüne und DVU eingeladen wurden. Schließlich, so begründete der Spitzenkandidat der Schill-Partei, Jan Timke, den Anspruch, sei man durch den übergetretenen CDU-Abgeordneten Mathias Henkel schon jetzt in der Bürgerschaft vertreten. Diese Klage wurde am Dienstag vom Verwaltungsgericht abgewiesen - auch weil Radio Bremen dem Kläger einen gesonderten Sendetermin anbot.

Die sonstigen Parteien kommen in den Umfragen zusammen auf einen Wert von drei Prozent. Dazu gehört etwa die "Unabhängige Wählervereinigung Bremerhaven", die sich für eine Direktwahl des Bürgermeisters stark macht und die Verschwendungspolitik der Großen Koalition anprangert. Außerdem treten mit Listen auch Die Grauen und die Partei Bibeltreuer Christen (PBC) an, die beide eher Thesen propagieren, die weniger auf Bremen zugeschnitten sind. Die Sozialistische Alternative (SAV) begreift ihren Wahlantritt nur symbolisch, da im Parlament sowieso nichts geändert werde, sondern nur durch Generalstreik. Optimistisch scheint dagegen die Feministische Partei ihre Chancen einzuschätzen, denn am Wahltag hat sie nach Bremen eingeladen, zur "Bundesmitfrauenkonferenz".


 
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