© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/03 23. Mai 2003

 
Das Boot ist voll
Deutsche im Ausland: In Spanien wehren sich die Einheimischen gegen die wachsende Überfremdung
Hans-Ulrich Pieper

Immer mehr Deutsche wandern aus. Die Beratungsstellen für Auswanderungswillige sind voll: Junge, wagemutige, oft qualifizierte Menschen gehen unserem Land verloren. Die meistgenannten Gründe: Arbeitslosigkeit, Ausweglosigkeit, persönlicher Stillstand, Wirtschaftskrise, Schulden, nationaler Niedergang. Der Glaube an das eigene Land und seine Führung ist verlorengegangen. Eine Abstimmung mit Containern und Möbelwagen ist die Folge. Doch was kommt dann - draußen in der Fremde?

Über 60.000 Kilometer flogen die Stern-Reporter Holger Witzel und Volker Hinz, um deutsche Auswanderer aufzuspüren (Stern-Titelstory 19/2003) - von Grönland in die Südsee. Viel Mühe hatten sie nicht auf ihrer teuren Tour. Die Deutschen finden sich fast überall. Oft sind es Mitteldeutsche: gut ausgebildete, junge Menschen, die glauben, in der Ferne werden ihre Fähigkeiten mehr geschätzt als in der alten Heimat.

In Grönland fanden die Stern-Leute Uta und Ingo Wolff aus Thüringen: Sie posieren bei klirrender Kälte. Die Wäsche hängt bei 30 Grad Minus vier Wochen auf der Leine, bis sie trockengefroren ist. Sie leben vom Fleisch der Wale.

Michaela und Hans Koproch zog es mit ihren vier Kindern nach Neuseeland. Sie kommen aus dem Ruhrgebiet. Der Reporter freut sich: "Die Kinder sind komplett ausgedeutscht."

Gritt und Ingo Schleuß haben in Potsdam eine T-Shirt-Druckerei aufgegeben, um ebenfalls nach Neuseeland zu ziehen. Mit ihrer zweijährigen Tochter kommen "sie sich manchmal vor wie in der alten DDR".

Nach Samoa, unter Sonne und Palmen, hat es den Unternehmer Werner Kappus verschlagen. Einst hatte er 100 Mitarbeiter. Jetzt führt er Touristen für 60 Euro am Tag. "Deutschland ist uns völlig fremd geworden", stellt er für seine Familie fest.

Peter und Petra Ramm haben sich in Deutschland nicht abgemeldet. Sie wollten ihre Renten- und Sozialversicherung behalten. Jetzt leben sie in Australien und liegen am Strand von Perth in der Sonne. Mit der Arbeit haben sie es sich einfacher vorgestellt. "Man braucht eben auch hier Beziehungen" - und die haben sie nicht. Sie leben vom Ersparten. Zwei Jahre, glauben sie, können sie so durchhalten.

Peter Hahn, 42, hat es geschafft. Er ist in Wellington Einwanderungsberater. "Hunderte von Deutschen" habe er "reingeholt" - für umgerechnet 2.000 bis 15.000 Euro pro Person. Sie sollen nicht die Fehler machen, die er selbst leidvoll erlebte, als er vor zwölf Jahren kam. Seine Leistungen werden zunehmend in Anspruch genommen.

Die Hamburger Journalisten hätten sich den Flug in die Ferne sparen können. Insgesamt 1,1 Millionen Deutsche zogen in den letzten zehn Jahren ins Ausland, 110.000 allein im vergangenen Jahr. Und die Dunkelziffer wird vom Raphaels-Werk, einer Auswanderer-Beratung, auf ein Vielfaches geschätzt. Doch die übergroße Mehrheit bleibt in der Europäischen Union. Die meisten Deutschen ziehen nicht in die Exotik, auch klassische Einwanderungsländer wie die USA oder Kanada machen es Immigranten schwer: Wer per GreenCard in die USA will, muß mindestens die Fachhochschulreife oder eine zwölfjährige Schulbildung oder zwei Jahre Berufserfahrung in seinem Ausbildungsberuf nachweisen. Selbst dann wollen die USA nur die wenigsten: In diesem Jahr entfielen auf Deutsche ganze 850 GreenCards (Visa mit Arbeitserlaubnis). Auch Kanada schottet ab: Ohne nachgewiesenen Arbeitsplatz geht nichts. Sprachkenntnisse, mindestens 14 Jahre Ausbildung, sauberes Führungszeugnis und je nach Provinz mehrere tausend Dollar sind die Einlaß-hürden für die Einwanderung.

"Die Schweiz hat eine ganze deutsche Kleinstadt erobert"

Hauptfavorit unter den Deutschen ist noch vor dem sonnigen Spanien - die Schweiz. Allein im letzten Jahr wurden 8.384 Deutsche zu Eidgenossen. Und diese witzeln: "Die Schweiz hat - ohne einen Schuß abzufeuern - eine ganze deutsche Kleinstadt erobert." Das Land sucht Fachkräfte, Mittelständler und junge Familien, sicher sind auch finanzkräftige Steuerflüchtlinge nicht immer unerwünscht.

Wie es Deutschen ergehen kann, die sich mit anderen Ausländern über ganze Inseln hermachen, erleben Ausländer derzeit auf den Kanarischen Inseln. "Planta un arbol - tala un extranjero" ("Pflanze einen Baum - und fälle einen Fremden") - stand bereits vor zehn Jahren im Wahlkampf auf spanischen Hauswänden. Die Saat ist aufgegangen. In der einheimischen Bevölkerung wächst der Widerstand gegen die Überfremdung, den Sittenverfall der eigenen Jugend, die Zerstörung der natürlichen Landschaft. Riesige Hotelbauten pflastern die Strände zu. EU-subventionierte Autobahnen durchziehen heute die Kanaren.

Mehr als eine Million Touristen kommen jährlich auf die Inseln, darunter 300.000 Deutsche. 9.000 von ihnen bleiben jedes Jahr hier. Als Kanzler Schröder seinen Kollegen José María Aznar kürzlich auf Fuerteventura nach den Deutschen fragte, hörte er verblüfft: "60.000 Deutsche leben allein hier auf den Kanaren." Dazu kommen Engländer, Holländer, Skandinavier, Schweizer - alle sonnenhungrig, aber wenig interessiert an der Erhaltung der einheimischen Kultur, der reizvollen Landschaft und ihrer Tradition. Der schnelllebige Tourismus überrollt alles. Dabei will jeder alles so wie zu Hause: deutsche Restaurants, Bäcker, Bars, Bistros, Supermärkte, Handwerker - die ihren deutschen Standard preisen -, verbreiten sich rapide.

Deutsche Zeitungen, Rundfunk- und TV-Sender bringen deutsche Nachrichten, Musik und Lebensgewohnheiten ins Land. So wurden die Kanaren "reich" - und viele Canarios profitierten zunächst davon. "Ohne Ausländer wären die Kanarischen Inseln wieder arm", titelt die Info Canarias, die älteste deutsche Insel-Zeitschrift warnend.

Und tatsächlich: die ausländischen Investitionen auf den Kanarischen Inseln haben sich von 1993 bis 2000 mehr als versechsfacht. Die staatliche Investitionen sind im gleichen Zeitraum nur um 20,8 Prozent angestiegen. Interessant: Im Jahr 1993 betrugen die ausländischen Investitionen nur 17,6 Prozent der staatlichen. Bereits im Jahr 2000 aber investierten Ausländer schon 93,3 Prozent soviel Geld auf dem Archipel wie staatliche Institutionen!

Wahlkampf mit Freibier, Würstchen und Paella

Dieser Anstieg belegt, daß der neue kanarische Reichtum von Ausländern, vor allem von Deutschen und Engländern, finanziert wird. So sorgt sich die deutsche Zeitschrift: "Wenn Deutsche und Engländer die Lust verlieren, hier zu investieren: Ziegen hüten und Tomaten pflücken wäre dann wieder angesagt, wie es vor vierzig Jahren noch die Regel war". Und die Insel-Deutschen haben allen Grund zur Sorge: Die massive Überfremdung hat drastische Reaktionen hervorgerufen. Zuerst waren die "Asylanten" aus Afrika dran: Die Grenzkontrollen wurden massiv verstärkt. Das Asylgesetz verschärft. Jetzt müssen Asylbewerber innerhalb von drei Tagen geprüft werden. 97 Prozent werden abgeschoben. Mit den EU-Bürgern aus Deutschland und England ist es nicht ganz so einfach.

Am 25. Mai finden Kommunalwahlen statt. Staatlich gemeldete Ausländer dürfen mitwählen. Auf Fuerteventura sind nur noch 30 Prozent der Wähler auf der Insel geboren, der Rest sind Ein- wanderer. Auf La Palma und La Gomera sind drei Viertel der Erstwähler keine geborenen Palmeros. So kamen die einheimischen Parteistrategen verblüfft zu der Erkenntnis: "Wahlen: Ausländerstimmen entscheiden" (Info Canarias, 1. Mai 2003). Und die Parteien beginnen, sie im Wahlkampf zu umwerben: mit Freibier, Würstchen und Paella, mit Gartenfesten und Bierhaus-Parties, deutschen Sängern und Kapellen.

Doch draußen an den Wänden stehen Parolen, die viele Deutsche noch nicht verstehen: "La Barca esta llena!" ("Das Boot ist voll") oder: "Alemanes fuera" ("Deutsche raus"). Und die größte Partei, die Coalicion Canaria, ein Wahlbündnis links- und rechtsnationaler Gruppen, fordert offen, den Zuzug von Ausländern zu begrenzen. Ein ley de residencia (Residenz-Gesetz) soll dazu her. Bereits Ende November 2001 hatte die Insel-Regierung von Lanzerote vorgeschlagen, den Immobilienerwerb für Ausländer zu beschränken. Hochkarätige Politiker unterstützten die Initiative. 400 Mandatsträger der Coalicion Canaria beschlossen auf ihrem Parteitag, dem Parlament ein Gesetz zur Zuzugsbegrenzung vorzulegen. Roman Rodriguez, der Insel-Regierungschef, reiste nach Brüssel, um bei EU-Kommissionspräsident Romano Prodi die Zustimmung der EU für eine Siedlungs- und Zuzugsbegrenzung einzuholen. Prodi soll zwar nicht erfreut gewesen sein. Doch der Hinweis auf eine "Zuspitzung der Arbeitsmarktlage für Einheimische" gäbe der EU die Möglichkeit einer Sonderregelung.

Die übergroße Mehrheit der Spanier will weniger Fremde im Land. Ihnen geht es darum, die eigene Identität zu erhalten, Natur, Küsten, Strände und Berge zu schützen. Die Priester predigen dies in den Kirchen seit langem. Politiker beginnen, des Volkes Stimme zu hören.

Für die Deutschen - Touristen und Einwanderer - wird es nicht leichter. Auch ohne Gesetz nehmen administra- tive Schikanen zu: Eine deutsche Residentin, die ein Auto kaufen wollte, mußte viermal zur zuständigen Verwaltung, bis sie eine notwendige Steuer-Nummer bekam. Früher ging das sofort. Ein Engländer klagt: 120 Euro soll er zahlen, weil er nachts im Gebirge zwei Zusatz-Scheinwerfer angeschaltet hatte, obwohl sie ihm vorher genehmigt worden waren. Ein Berliner wird mit 300 Euro bestraft, weil er mit einer amtlich beglaubigten Führerschein-Kopie fuhr. Das Original sei nötig. Es war ihm gestohlen worden. Einer Deutschen wurden gleich zwei Hunde vergiftet. In der Tierklinik gab es am selben Tag noch 15 weitere Fälle.

Von Eugen Lemberg, dem renommierten Nationalismusforscher, stammt die Erkenntnis: Wenn ein ethnischer Sättigungsgrad erreicht ist, beginnt der Widerstand. So hatten sicher auch die Stern-Reporter guten Grund, den "Traum vom Auswandern" nicht mehr in Spanien zu suchen.

Foto: Supermarkt in El Arenal, Mallorca: "Ziegen hüten und Tomaten pflücken wäre dann wieder angesagt"

 

Hans-Ulrich Pieper ist Unternehmer und in Spanien auch für deutsche Firmen als Kongreß- und Seminar-Veranstalter tätig. In Berlin organisiert er das "Dienstags-Gespräch".


 
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