© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/03 30. Mai 2003

 
Die verharmloste Gefahr
Radikale Islamisten versuchen mit allen Mitteln ein Enthüllungsbuch zu stoppen
Christian Roth

Beträchtlichen Ärger hat dem Nahost- und Islamexperten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), Udo Ulfkotte, dessen neues Buch "Der Krieg in unseren Städten. Wie radikale Islamisten Deutschland unterwandern" beschert. Die Europäische Moscheebau- und Unterstützungsgemeinschaft sowie die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs wollen die Verbreitung des im Eichborn-Verlag erschienenen Buches verhindern. Ein Sprecher von Milli Görüs wirft Ulfkotte "schlampige Recherche und Unterstellungen" vor. Über dessen griffig-journalistischen Stil kann man in der Tat streiten, doch rechtfertigt dies nicht Versuche, ihn mundtot zu machen. Die Angriffe gipfeln nun in einer Klagewelle gegen Verlag und Autor, deren Ziel es ist, das Buch "vom Markt zu drücken ... damit die Inhalte nicht an die deutsche Öffentlichkeit gelangen". Ulfkotte hat recht, wenn er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT von "Zensur" und einem "Angriff auf die Pressefreiheit" spricht.

Die treibende Kraft hinter der Kampagne gegen Ulfkotte ist der Verein Milli Görüs. Milli Görüs ist ein Kind der türkischen Einwanderung in Deutschland. Die Gemeinschaft mit ihren heute rund 500 Moscheen wurde 1976 als Ableger der späteren Refah-Partei Necmettin Erbakans gegründet, jenes großen Mentors des Islamismus in der Türkei, der noch heute für die Anhänger von Milli Görüs das größte Potential an Charisma bereithält. Nicht Flüchtlinge tragen die IGMG, sondern Kinder von Immigranten, deren Heimat Deutschland ist. So wirkt Milli Görüs seit Jahren auf zwei Ebenen: Einerseits hat die Gemeinschaft als ideologische Kaderschmiede zahlreiche Protagonisten der politischen Bühne in der Türkei geschult. Andererseits emanzipiert sich die IGMG zunehmend von den Geschehnissen am Bosporus und wird deutsch. Setzen sich die Gefolgsleute Erbakans in der Türkei für eine allmähliche Re-Islamisierung der Gesellschaft ein, so engagiert sich die IGMG in Deutschland für Moslems, um ihnen ein Leben gemäß der Scharia zu ermöglichen, dem islamischen Recht. Die Folge ist eine ethnische Ghettoisierung in Deutschland.

Macht und Einfluß der IGMG auf die Straße beeindrucken. Keine andere Institution kümmert sich dermaßen beharrlich um türkische Jugendliche in den Vorstädten, organisiert Hausaufgabenhilfen und Sportkurse. Mit Erfolg: Wo die Integrationsbemühungen des Staates enden, fangen die von Milli Görüs an und setzen den "ausschweifenden" Werten der westlichen Gesellschaft "islamische" entgegen.

Auf ihrer Internetseite präsentiert sich die mitgliederstärkste Islamisten-Organisation auf deutschem Boden (26.500 Mitglieder bei etwa 3,2 Millionen Moslems bundesweit) als gemäßigt-harmlose Wohlfahrtsorganisation. "Es bestehen zu wenig islamische Altersheime in Deutschland", bedauert Generalsekretär Ücüncü. Ansonsten ist die Entwicklung der Parallelgesellschaft in vollem Gange. Während rot-grüne Politiker von Verständnis, Ausgleich und Miteinander reden und nicht selten von christdemokratischen Parteigängern unterstützt werden, ist die Ausweitung des Islams in Deutschland und Europa in vollem Gange. 3,2 Millionen Moslems leben derzeit bei uns, in Frankreich sind es schon fünf Millionen. Eine laxe Gesetzgebung von realitätsfremden Politiker in Paris hat ein Großteil der islamischen Einwanderer mit der französischen Staatsbürgerschaft versehen, ähnliche Bestrebungen gibt es bekanntermaßen auch in Deutschland.

Etwa neun Prozent der bundesdeutschen Gesamtbevölkerung sind Ausländer. Unter den offiziell 7,5 Millionen Immigranten stellen die 2,1 Millionen Türken mit einem Anteil von 26,6 Prozent die größte Gruppe dar. Im Jahr 2050, so durchaus realistische Schätzungen, könnten die Deutschen im eigenen Land zur Minderheit werden. In der BRD leben gegenwärtig etwa drei Millionen Anhänger des Islam. Davon sind 400.000 muslimische Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien (Bosnier beziehungsweise Kosovo-Albaner), circa 350.000 Araber aus Nordafrika und den Staaten des Mittleren Ostens sowie eben jene 2,1 Millionen Türken. Die Tendenz ist weiter steigend. Gerade Türken machen häufig vom Recht auf Familiennachzug Gebrauch.

Die religiösen, kulturellen und sozialen Bedürfnisse der Anhänger des Islam sind in den letzten Jahren zu einem gesellschaftspolitischem Problem geworden, das von den Politikern aller Parteien, von den Gewerkschaften und Kirchen oft sehr kontrovers diskutiert wird. Die deutsche Bevölkerung wird sich verstärkt bewußt, daß die muslimischen Einwanderer größtenteils gläubige Menschen sind, die großen Wert darauf legen, auch in einer von der christlichen Kultur geprägten säkularen Umwelt ihren Glauben zu praktizieren - was legitim ist.

Ihre Interessen vertreten unter anderem Männer wie Mehmet Erbakan, der Deutschland-Chef von Milli Görüs. Offiziell ruft er zu Besonnenheit und Gelassenheit auf. Aber seine Wortwahl ist zweideutig. Schon vor geraumer Zeit hat er allen Ministerpräsidenten einen Brief geschrieben mit einem Angebot, das in etwa so lautete: Milli Görüs habe das Gros der islamisch-türkischen Jugendlichen im Griff, man könne in Gewaltfragen für Besonnenheit sorgen. Die andere Seite des Pakts: Die Länder gewähren die freie Entfaltung von Milli Görüs und ziehen die Beobachter des Verfassungsschutzes zurück. Geantwortet hat aber keiner: Beteuert Milli Görüs nicht ohnehin, mit ganzer Kraft den deutschen Gesetzen zu folgen? Wir alle wollen nur eins, versichert Erbakan: nach den Gesetzen des Koran in Deutschland leben.

Während gerade in der Türkei der Einfluß religiöser Fundamentalisten im öffentlichen Erscheinungsbild abnimmt, werden der Islamisierung Deutschlands Tor und Tür geöffnet. In der Türkei ist das Tragen von Kopftüchern im öffentlichen Dienst oder an Universitäten verboten. In der Bundesrepublik aber wird es als "Zeichen religiöser Toleranz" akzeptiert. Auch die Ausbreitung der Gotteshäuser ist unübersehbar. 1970 gab es in Deutschland drei Moscheen. Heute sind es 2.700 Moscheen oder "Moschee-Häuser", manchmal auch gemietete Moschee-Räume in normalen Gebäuden.

In den Reihen von Milli Görüs distanziert man sich von verbalen Kraftmeiereien. Doch auch die Aussage von Deutschland-Chef Erbakan ist deutlich: "Solange die deutschen Gesetze nichts vom Gläubigen des Islam verlangen, was der Koran verbietet. Solange die deutschen Gesetze alles erlauben, was der Koran vorschreibt - solange", sagt Erbakan, stehe dem kulturellen, gesetzlichen, religiösen Nebeneinander der türkischen und deutschen Bürger in der Bundesrepublik nichts, gar nichts im Wege. Der Fall Ulfkotte spricht eine andere Sprache.


 
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