© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/03 06. Juni 2003

 
Europa gegen staatliche Hehlerei
Enteignungen 1945/49: Nach einer Kette juristischer Niederlagen sehen die Alteigentümer durch die europäische Rechtsprechung noch Chancen auf Wiedergutmachung
Ekkehard Schultz

Woran liegt es, daß bei der Thematik der Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zwischen 1945 und 1949 und ihrer Wiedergutmachung noch im 13. Jahr nach der Vereinigung die Fronten zwischen West- und Mitteldeutschen oft verhärtet erscheinen? Woraus ergibt sich eine derart starke emotionale Besetzung dieses Themas bei vielen Menschen? Vordergründig sind diese Fragen zwar leicht mit dem Hinweis auf eine zum größten Teil höchst einseitige Berichtserstattung in vielen Medien erklärbar, in denen Stichworte wie "Alteigentümer geben sich mit Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes nicht zufrieden", "Rechtssicherheit weiterhin durch Alteigentümer gefährdet" oder gar die "Rückkehr der Junker" immer noch häufig anzutreffen sind. Gleichfalls darf aber auch nicht übersehen werden, daß die Diskussionen um die höchst fragwürdigen Entscheidungen der Kohl-Regierung bis heute in erster Linie auf juristischem Wege geführt werden. Dies ist aus der Sicht der Enteigneten zwar leicht verständlich, doch viele Mitteldeutsche sind gegenüber richterlichen Anordnungen - häufig wegen schlechter Erfahrungen - sehr skeptisch. So hat sich in vielen Köpfen ein Konglomerat aus Legenden, Halbwahrheiten und Wahrheiten verankert.

Der jüngste Bundeskongreß der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum e.V. (ARE), einer der größten Initiativen von Enteignungsopfern, der am 24. und 25. Mai in Germendorf bei Oranienburg tagte, hätte anwesenden Kritikern deutlich Wind aus den Segeln nehmen können - freilich nur dann, wenn eine entsprechende Begegnung auch tatsächlich stattgefunden hätte. In der unter dem Motto: "Mit voller Kraft voraus - bis die Mauer des Unrechts fällt!" stehenden Veranstaltung stellte die Behandlung jüngster Urteile hinsichtlich einer Restitution entzogenen Eigentums der Jahre von 1945 bis 1949 nur eine - wenngleich eine der jüngsten - Entscheidungen dar. Weitere wichtige Themen der Veranstaltung waren die Frage der sogenannten "Neusiedlererben" - jener Kleinbauern, die im Zuge der Bodenreform zunächst Land erhielten, dieses jedoch im Zuge der Zwangskollektivierung als genossenschaftliches Eigentum wieder abgeben mußten - und die Bestrebungen um weitere Aufhellung der Immobilien- und Grundstücksverschiebungen an treue Altkader in der Modrow-Ära (November 1989 bis März 1990) durch Einsetzung einer sogenannten "Ervuus-Kommission" gegen Rechtsbeugung und andere Straftatbestände.

Eigentumsentzug wird mit zweierlei Maß gemessen

In der Frage der Möglichkeit von Restitutionen von zwischen 1945 und 1949 entzogenen Eigentums zeichnet sich nach einer Kette von Niederlagen für die Alteigentümer erstmals ein dünner Silberstreif am Horizont ab. So erhielt erst jüngst der klagende Sohn eines Betroffenen vom Oberlandesgericht Dresden einen grundsätzlichen Rechtsanspruch auf Rückgabe des ehemaligen Eigentums anerkannt, da das Gericht die Enteignung als "personenbezogene Vermögenseinziehung" gewertet hatte. Ein vergleichbares Urteil war bereits im vergangenen Jahr in einem Fall ergangen, bei dem zuvor eine politische Rehabilitierung des Klägers erfolgt war. Er wurde in der SBZ politisch verfolgt und seines Vermögens beraubt, hatte jedoch vor der Generalanwaltschaft im heutigen Rußland einen Antrag auf Aufhebung der damaligen Urteils gestellt, dem auch entsprochen wurde. Eine personenbezogene Einziehung ist jedoch nur dann gegeben, wenn sie als unmittelbare Folge einer politischen Verurteilung erfolgte, das heißt diese die Ursache der Einziehung des Eigentums dargestellt hat und nicht lediglich allgemeine Maßnahmen unter besatzungsrechtlicher Hoheit. Letztere Fälle werden als sogenannte "gegenstandsbezogene Entziehungen" gewertet. Darunter fallen auch die Enteignungen aufgrund des Dekretes über die "Bodenreform" oder unter der Prämisse der Einzugs an "Produktionsmitteln" des städtischen "Großkapitals" in den Jahren 1946 bis 1948. Dabei zeigt sich, wie fließend die Grenzen sind, wurden diese Maßnahmen doch als Sühne der gesamten vermögenden Schicht an "Krieg und Hitlerverbrechen" verbrämt. Politische Hintergründe sind folglich auch bei der Nutzung dieser Kategorien nicht zu verleugnen.

Die Unterscheidung zwischen personen- und gegenstandsbezogenem Eigentumsentzug bewegt sich damit auf sehr dünnem Eis. Ohnehin kann die Gesamtzahl aller Fälle, in denen eine "personenbezogene" Enteignung anerkannt und daraus ein Rechtsanspruch auf Restitution abgeleitet wurde, bis heute an zwei Händen abgezählt werden. Für die Masse der Betroffenen bleibt bislang auch weiterhin alles beim Alten: Bei ihnen wird als Begründung für die Ablehnung ihrer Ansprüche immer noch penetrant auf die Feststellung in Ziffer 1 der Gemeinsamen Erklärung zum Einigungsvertrag vom 15. Juni 1990 und die Urteile zweier Verfahren vor dem Bundesgerichtshof verwiesen, welche die "Enteignungen auf besatzungshoheitlicher Grundlage" von 1945 bis 1949 als "nicht mehr rückgängig zu machen" bezeichnen. Allzu große Freude kann allerdings auch bei denjenigen, die sich Hoffnungen auf eine Anerkennung einer personenbezogenen Enteignung machen können, nicht aufkommen: Bereits im Februar des vergangenen Jahres witterte der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes das mögliche Einfallstor entgegen der bislang üblichen Rechtsprechung und fällte seinerseits ein Urteil, nach dem auch bei personenbezogenenVermögensentziehungen Restitutionen ausgeschlossen sein sollen, wenn sie politisches Verfolgungsunrecht im Sinne der Rehabilitierungsgesetze darstellten. Verständlicherweise haben die Verbände gegen dieses Urteil eine Klage angestrengt, die zur Zeit von dem Europäischen Gerichtshof auf Zulassung geprüft wird.

Ausgangspunkt des bis heute andauernden Klagemarathons war das sogenannte "Bodenreform-Urteil" des Bundesverfassungsgerichtes vom April 1991. Darin wurde die Behauptung vertreten, daß die Anerkennung der in der Sowjetischen Besatzungszone unter besatzungsrechtlicher Hoheit stattgefundenen Enteignungen zwischen 1945 und 1949 und ihre Nichtrückgängigmachung durch die Sowjetunion zur Bedingung für die Zustimmung zur deutschen Vereinigung gemacht worden sei. Weiterhin hätten die DDR-Vertreter dem Einigungsvertrag nur unter der Bedingung zugestimmt, daß die Ergebnisse der Bodenreform nicht angerührt würden. Die damalige Bundesregierung habe in der Einschätzung der politischen Situation pflichtgemäß gehandelt.

Obwohl bereits zu diesem Zeitpunkt beziehungsweise wenige Jahre später zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, daß diese Prämissen der Grundlage entbehrten, wurde die gegen das erste Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde am 26. April 1996 vom Verfassungsgerichtshof mit der gleichen Begründung abgelehnt. So fand zum Beispiel die eindeutige Aussage des ehemaligen sowjetischen Staatspräsidenten und Verhandlungsführers bei den Zwei-Plus-Vier-Verträgen Michail Gorbatschow, er habe keineswegs auf diesen Passus bestanden, keine Berücksichtigung.

Alle Hoffnungen richten sich auf ein Urteil des EuGH

Doch nicht nur die Folgen dieser problematischen Urteile, sondern auch eine weitere Kröte sollten die Alteigentümer schlucken. Am 22. Mai 1994 wurde im Bundestag das äußerst unausgewogene Entschädigungs- und Ausgleichslastengesetz (EALG) verabschiedet. Das EALG sollte nach dem Willen des Bundestages sowohl den Interessen der früheren Besitzer als auch der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und ihrer Nachfolger Rechnung tragen. Dabei begünstigte es doch letztere einseitig, indem sie als langfristige Pächter Vorrang bei einem möglichen verbilligten Flächenerwerb erhielten, dessen Kosten im Regelfall bei weit unter 50 Prozent des Verkehrswertes lagen.

Ein Erwerb seitens der Alteigentümer ist dagegen nur dann möglich, wenn die ehemaligen DDR-Landwirtschaftsbetriebe oder auch der Staat auf ihre vordergründigen Ansprüche verzichten, was eher eine Ausnahme darstellt. In der Regel müssen sich daher die Alteigentümer nach EALG mit sogenannten Ausgleichszahlungen zufriedengeben, die zunächst nur fünf Prozent des heutigen Verkehrswertes betrugen, mittlerweile allerdings leicht korrigiert wurden.

Natürlich wurde von Alteigentümern auch gegen das EALG in dieser Form Klage erhoben. Ende der neunziger Jahre erzielten sie vor der EU-Kommission in Brüssel zumindest einen Teilerfolg: Einige Verbesserungen wurden am bestehenden EALG vorgenommen. Grundsätzliche Fragen wurden davon allerdings nicht berührt. Zudem wertete die EU-Kommission die Preisnachlässe für LPG-Nachfolgebetriebe und neu eingerichtete Landwirtschaftsbetriebe nicht als Wiedergutmachung, sondern als staatliche Beihilfen, die lediglich 35 Prozent des Verkehrswertes der betreffenden Böden nicht überschreiten dürfen. Am 22. November 2000 gab zudem das Bundesverfassungsgericht sechs Jahre nach der eingereichten Klage gegen das EALG auf 133 Seiten seine Ablehnung gegen die eingebrachte Beschwerde bekannt.

Bundesregierung rechnet mit längerer Abwicklung

Da damit eine eklatante Begünstigung von LPG-Nachfolgebetrieben weiterhin gegeben ist, wurde nun von den Initiativen und ehemaligen Eigentümern der Weg vor das Gremium des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg beschritten: Nun ist Ende des vergangenen Jahres die Klage von diesem zugelassen worden, was die Betroffenen wieder hoffen läßt. Der Gerichtshof werde sich voraussichtlich im Februar mit der Enteignung und dem Flächenerwerb befassen (Rechtssache: T-114/00), teilte das Gericht in Luxemburg mit. Ein Urteil ist Ende des Jahres 2003 zu erwarten.

Scheint dieser Klageweg als einzige Möglichkeit doch noch zu einer Rechtsprechung - die in den Augen der Betroffenen diesen Namen auch verdient - zurückzukehren, so würde die Umsetzung des EALG in der Praxis noch weitaus beschämender aussehen: Selbst auf die darin vorgesehenen geringeren Ausgleichszahlungen werden viele ehemalige Eigentümer dann noch lange warten müssen. Aufgrund chronisch leerer Kassen bereiten insbesondere dem Hauptprofiteur der Flächeneigentümer - dem Staat - bereits die nach bisherigen gesetzlichen Regelungen zu leistenden Auszahlungen nach EALG-Urteil von 1994 Probleme.

Erst kürzlich wurde die Entscheidung bekanntgegeben, daß die Bundesregierung mit einer erheblich längeren Abwicklung bis über das Jahr 2020 hinaus rechnet. Damit die Zinszahlungen die öffentlichen Kassen nicht allzu sehr belasten, sollen alle Entschädigungsleistungen ab 2008 nicht mehr mit sechs, sondern nur noch mit vier Prozent pro Jahr verzinst werden. Insgesamt rechnet die Bundesregierung mit bis zu 700.000 Entschädigungsfällen mit einem Gesamtvolumen von etwa sechs Milliarden Euro. Bislang wurden ganze sechs Prozent der gesamten Entschädigungssumme ausgezahlt.

Trotzdem wird die Verzögerung bei der Bearbeitung der Anträge und der Auszahlung der Anspruchsberechtigten eher noch eine erhebliche Mehrbelastung für den Bundeshaushalt mit sich bringen: Nach Berechnungen der Status Vermögensverwaltung Hamburg summieren sich die Säumniszinsen bei einer Verzögerung von zwanzig Jahren und einem Zinssatz von vier Prozent auf annähernd 1,5 Milliarden Euro.

Es sind folglich in erster Linie die gravierenden rechtlichen Ungleichbehandlungen, die derzeit Initiativen und Verbände wie die ARE intensiv beschäftigen. Von der Vorbereitung einer Massenenteignung ehemaliger DDR-Bürger, die in gutem Glauben Eigentum erworben haben, kann dabei überhaupt keine Rede sein. Schließlich müßte die (Wieder-) Herstellung gleicher Rechtsgrundsätze - somit also letztlich auch von Rechtssicherheit - ebenso im Interesse heutiger Eigentümer liegen. Nicht zuletzt geht es um den Kampf gegen historische Legenden und Mythen, die von interessierter staatlicher Seite über den deutschen Einigungsprozeß verbreitet wurden.

Natürlich kann dies nur eine Teilantwort auf die eingangs gestellten Fragen darstellen. Somit muß auch von seiten der Verbände und Alteigentümer dringend darüber nachgedacht werden, welche Gründe dafür ausschlaggebend sind, daß ihre Bestrebungen auch heute noch in Mitteldeutschland auf wenig Unterstützung, jedoch um so größeren Widerstand stoßen - und dies bei weitem nicht nur bei möglichen "Opfern" oder Personen mit starker ideologischer Verblendung. Es ist eben auch ein Image- und Kommunikationsproblem, welches dazu führt, daß die Forderungen der Verbände vielfach auf wenig Interesse, aber große Ängste stoßen, obwohl ihre Forderungen weit weniger Personen betreffen als jeder noch so geringe staatliche Eingriff.

Kampf ums Recht und gegen die Allianz des Schweigens

Es wird daher dringend notwendig sein, in den kommenden Jahren neben dem Kampf um das Recht dem Ringen um stärkeres Verständnis in der mitteldeutschen Bevölkerung mehr Beachtung als bislang zu schenken. Gute Anwälte, der berechtigte Kampf gegen Geschichtslügen und das Festhalten an einer tiefen Rechtsüberzeugung ersetzen noch lange nicht ein planmäßiges Werben um Köpfe.

Was die Verbände stärker in den Vordergrund ihrer Präsentation rücken sollten, ist ihr geleistetes Bemühen um die Stärkung des privaten Eigentums sowohl kleiner als auch größerer Besitzer gegen unberechtigte Eingriffe des Staates und damit auch gegen dessen Hehlergebaren. Vielleicht ließe sich so das Heer gegen die gesellschaftspolitische "Allianz des Schweigens" effektiv vergrößern.

Foto: Bauern protestieren gegen die Benachteiligung bei der Verpachtung von Ackerland der Treuhandnachfolgerin BVVG: Eklatante Begünstigung der LPG und des Staates als Hauptnutznießer


 
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