© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/03 13. Juni 2003

 
Im Versuchslabor
Nordrhein-Westfalen: Die Koalitionskrise zwischen SPD und Grünen schwelt weiter / Auswirkungen auf die Bundespolitik sind garantiert
Paul Rosen

Politiker interessieren sich in erster Linie für die nächste Wahl. Das wird in der öffentlichen Diskussion gerne vergessen, ist jedoch der Hauptgrund für die trotz aller Sondierungsgespräche weiter schwelende Koalitionskrise von SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen. Das rot-grüne Projekt scheint im Land zwischen Rhein und Weser am Ende zu sein, auch wenn die Mehrheit der SPD-Unterbezirksgeschäftsführer das anders sehen mag. Aktuelle Umfragen wie die des Instituts Forsa geben den Sozialdemokraten noch 37 Prozent gegenüber 42,8 Prozent bei der Landtagswahl 2000. Ein Koalitionsbruchs in Düsseldorf könnte jedoch ungeahnte Folgen für Berlin haben, wo Kanzler Gerhard Schröder auch um seine Mehrheit bangen muß.

NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück konnte bisher in die großen Schuhe seines nach Berlin gewechselten Vorgängers Wolfgang Clement nicht hineinwachsen. Clement und Steinbrück vereint die gemeinsame Abneigung gegen den grünen Koalitionspartner, der schon bei Clements Vorgänger Johannes Rau auf wenig Begeisterung stieß. Aber damals wie heute war Nordrhein-Westfalen eine Art Mikrokosmos für den Bund. In Düsseldorf startete das rot-grüne Projekt nach verschiedenen Versuchen in kleineren Bundesländern erstmals richtig durch. Und in Düsseldorf könnte es wieder zu Ende gehen.

Das Ende von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen hatte schon 2000 auf der Wunschliste der Wähler ziemlich weit oben gestanden. Doch die CDU wurde von ihrer Spendenaffäre gequält, und viele Wähler hatten kein Vertrauen in die am Abgrund stehende Partei. Hinzu kam, daß Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers nicht als die erste und beste Wahl erschien. Die bürgerlichen Wähler trauten der CDU kein ordentliches Ergebnis zu, und tatsächlich landeten die Christdemokraten bei nur 37 Prozent. Auftrumpfen konnte die damals von Jürgen Möllemann (Motto: "Guten Landtag") geführte FDP. Die Liberalen holten 9,8 Prozent. Darunter waren viele Leihstimmen von CDU-Wählern, die die Hoffnung hatten, daß die FDP stark genug werden könnte, um eine Neuauflage der bei vielen verhaßten rot-grünen Koalition zu verhindern. Die Grünen wurden mit 7,1 Prozent nur vierte Kraft.

Auf Bundesebene reicht es nicht für Rot-Gelb

Doch Clement spielte nur mit Möllemann, regiert wurde nicht zuletzt aufgrund des Drucks aus der Berliner SPD-Zentrale wieder mit den Grünen. In zentralen Fragen, besonders beim Ausbau der Verkehrswege, kam das Kabinett nicht voran. Nach wie vor steht Nordrhein-Westfalen regelmäßig im Stau, weil der Bau wichtiger Entlastungsstrecken versäumt wurde.

Clement konzentrierte sich in der Landespolitik auf wichtige Prestigeprojekte wie den Metrorapid. Die Magnetschwebebahn, die mit vielen Haltepunkten Düsseldorf mit dem Ruhrgebiet verbinden soll, gilt für Kritiker als die schnellste Straßenbahn Deutschlands.

Die geringen Zeitgewinne stünden in keinem Verhältnis zu den Kosten des Milliarden-Projekts. Derweil gehen in Nordrhein-Westfalen ganze Industriebereiche zugrunde - eine Entwicklung, die auch Steinbrück nicht aufhalten konnte. Die finanzielle Lage des Landes ist fatal. Mit einer Neuverschuldung von 5,6 Milliarden Euro ist NRW inzwischen der größte Schuldensünder unter den deutschen Ländern.

Für die CDU ist der jetzt vorgelegte Nachtragshaushalt ein "beispielloses Dokument des politischen Versagens dieser Landesregierung". Steinbrück weiß längst, daß er sich bei unveränderter Entwicklung 2005 in der Opposition wiederfinden wird. Die CDU liegt in den Umfragen trotz Rüttgers mit 47 Prozent derzeit knapp unter der absoluten Mehrheit. Noch hätte Steinbrück die Möglichkeit, die Weichen anders zu stellen. Die Sitzverteilung im Landtag ermöglicht es, daß die SPD mit jeder anderen Partei koalieren könnte. Wollten die Genossen die Grünen nicht mehr, könnten sie sowohl mit der FDP als auch mit der CDU ein Regierungsbündnis eingehen. Im Berliner Bundestag gibt es keine vergleichbare Situation: Wollte Schröder die Grünen loswerden, könnte er nur mit der Union eine Große Koalition eingehen - für Rot-Gelb reicht es auf Bundesebene vorerst nicht.

Steinbrück versucht alles, um die Sollbruchstellen der Koalition herauszufinden. In einem Papier forderte er massiven Straßen- und Flughafenausbau. Für die Grünen war das angeblich gar nicht so schlimm. "Ich gehe davon aus, daß die Koalition hält", sagte die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn, nachdem sie Steinbrücks Forderungskatalog gelesen und die ersten Gespräche mit der SPD geführt hatte. In der Tat haben die Grünen der SPD bisher in allen zentralen Fragen nachgegeben. Bestes Beispiel war der Streit um das Braunkohlerevier Garzweller II, das die Grünen auf keinen Fall akzeptieren wollten. Nach wochenlangem Streit gaben sie klein bei. Auch beim Metrorapid stellten die Grünen Zug um Zug ihren Widerstand ein. Die Grünen wissen genau: Regieren können sie in Deutschland nur mit der SPD.

Rot-Grün war ein Schönwetterprojekt

Steinbrück, der aus Norddeutschland stammt und dem der sozialdemokratische Stallgeruch in Nordrhein-Westfalen fremd ist, hat durchaus Probleme mit den eigenen Genossen. Viele Sozialdemokraten haben das wahre Ausmaß der Krise in Deutschland nicht erkannt. 50.000 Arbeitsplätze gehen in der Bundesrepublik in jedem Monat verloren. Die Folge sind weiter sinkende Einnahmen bei den Sozialversicherungen. Beitragserhöhungen werden zum Herbst hin wahrscheinlich. Die Steuerkassen sind erschöpft, die Zeiten, als Steuererhöhungen mehr Geld in die Staatskassen brachten, sind vorbei.

Es gibt in der SPD unterschiedliche Tendenzen. Am Parteivorsitzenden Schröder vorbei versuchen viele Kräfte, auf Distanz zu den Grünen zu gehen und irgendwie aus der Koalition herauszukommen. Einer dieser Politiker ist Steinbrück, der möglicherweise die heimlichen Sympathien von Clement und SPD-Fraktionschef Franz Müntefering hat. Auch Verteidigungsminister Peter Struck geht in diese Richtung. Er will den neunmonatigen Wehrdienst beibehalten, was die Grünen nie und nimmer akzeptieren können.

Den Sozialdemokraten hinter Schröder ist längst klar, daß sie weder in Düsseldorf noch in Berlin mit den Grünen eine dauerhafte Chance haben. Rot-Grün war ein Schönwetterprojekt, das ein Land nicht aus der Krise führen kann. Daher soll Nordrhein-Westfalen das Versuchslabor für neue politische Konstellationen werden. Und eines muß man wissen: Kippt Rot-Grün in Düsseldorf, kippt auch Schröder in Berlin.

Foto: SPD-Ministerpräsident Steinbrück (li.), Grünen-Politiker Höhn und Vesper: Weichensteller am Werk


 
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