© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/03 20. Juni 2003

 
Taufe
Die zweite Geburt
Dieter Stein

Der Pfarrer verwies auf eine aktuelle Umfrage. Danach wüßten noch 39 Prozent der Westdeutschen, was Pfingsten bedeute. Von den Bewohnern der ehemaligen DDR könnten noch 15 Prozent beantworten, weshalb es dieses christliche Fest gebe. Im Osten Berlin seien es nur noch ganze vier Prozent. Ich befinde mich in einem Gottesdienst am Pfingstsonntag, mitten im deutschen Missionsgebiet in einer evangelischen Kirche in Pankow. Neben mir sitzt meine Frau, um mich herum Angehörige unserer Familien, auf dem Arm halte ich unseren elf Monate alten Sohn, der gut duftet und mich munter aus seinen runden blauen Augen mustert. Heute soll er getauft werden.

"Warum wollen Sie Ihr Kind überhaupt taufen?" hatte der Pfarrer uns in einem Vorgespräch gefragt. Eine gute Frage. Weil es so Tradition ist? Weil es ein guter Anlaß für eine ordentliche Familienfeier ist? Irgendwie hatte ich gedacht, der Pfarrer, an den wir wohlgemerkt zufällig geraten waren, würde den Termin routiniert abhaken wie ein Gespräch beim Einwohnermeldeamt. Doch schon am Telefon hat er gemahnt: "Sorgen Sie dafür, daß Ihr Sohn versorgt ist und Sie alleine zu mir kommen." Den Einwand, das Kind sei "aber ein ganz Lieber", ließ er nicht gelten: "Das sagen alle Eltern." Oft genug hatten Eltern offenbar ihre plärrenden Nervensägen mit zum Taufgespräch gebracht und durch den Lärmpegel ein vernünftiges Gespräch verhindert.

Nun fühlte uns der Pastor also kritisch auf den Zahn. Uns beiden wurde eine aufgeschlagene Bibel vorgelegt, gemeinsam lasen wir den Beginn des Markus-Evangeliums, in dem die Taufe Jesu durch Johannes den Täufer geschildert wird: "Und es begab sich zu der Zeit, daß Jesus aus Nazareth in Galiläa kam und ließ sich taufen von Johannes im Jordan. Und alsbald, als er aus dem Wasser stieg, sah er, daß sich der Himmel auftat und der Geist wie eine Taube herabkam auf ihn. Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen."

Das war es! "Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen." Daran dachte ich, als wir an das Taufbecken herantraten. Immer noch hielt der Kleine still, auch als die Haare vom Taufwasser feucht wurden. Es sei wie eine zweite Geburt für das Menschenkind, eine Adoption durch einen zweiten Vater, hatte der Pfarrer zuvor gesagt. Wie beim Märchen von der Frau Holle, bei dem die Glücksmarie und die Pechmarie in einen Brunnen fallen, trete der kleine Mann nun in eine andere Welt ein. Das sei die Taufe. Ob er als Pechmarie oder als Goldmarie ende, hänge aber von ihm selbst ab.

Mir hat es gefallen, daß der Pfarrer uns klargemacht hatte, daß die Taufe nichts selbstverständliches ist. Daß sie nicht auf Knopfdruck als bürokratische Dienstleistung getätigt wird. Als ich ihm bei unserem ersten Telefonat zum Abschied gesagt hatte: "Wir brauchen doch noch viel mehr Taufen, nicht wahr!", hatte er trocken erwidert: "Mit solchen populistischen Parolen kommen wir nicht weiter." Ich habe betreten geschluckt. Ein toller Pfarrer.


 
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