© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/03 11. Juli 2003

 
Soziale und nationale Unruhen kommen
Mazedonien: Ein deutscher Ex-Militärattaché stellt den Mythos von der "Unverletzlichkeit der Grenzen" in Frage
Carl Gustaf Ströhm

Politik und Öffentlichkeit des Westens sind daran gewöhnt, ihre Auf-merksamkeit auf ein einziges Thema zu konzentrieren. Man spricht von der one issue society. In letzter Zeit war die Aufmerksamkeit zunächst ganz auf Afghanistan gerichtet. Als es im Irak losging, wendeten sich alle Blicke nach Bagdad - dagegen verschwand Afghanistan weitgehend aus den Köpfen und Bildschirmen. Vollends vergessen wurde der Südosten Europas - jenes Gebiet, das die EU mit dem unglückseligen Namen "West-Balkan" versah, obwohl einer der gemeinten Staaten, nämlich Kroatien, gar nicht zum Balkan gehört.

Weil vom "West-Balkan" wenig zu hören war, wiegte man sich in der Illusion, daß dort die schlimmsten Probleme überwunden seien. Das Schweigen der Medien hängt aber nicht zuletzt damit zusammen, daß zum Beispiel die großen deutschen Zeitungen aus Kostengründen keine wirklich qualifizierten und sprach- sowie landeskundigen Korrespondenten mehr in den Südosten schicken. Das Ergebnis solch verhängnisvoller Medienpolitik: Entweder wird mangels "Problembewußtsein" gar nichts oder aber ausgemachter Unsinn berichtet - wie neulich in der Berliner Welt, wo der verstorbene jugoslawische KP-Diktator Josip Tito als "roter Habsburger" präsentiert wurde, was eine groteske Verkennung und Verballhornung darstellt.

Während im Vordergrund die Emissäre der "internationalen Gemeinschaft" (Uno, EU, Nato) agieren, sammelt sich im Hinter- und Untergrund der Zündstoff für neue Konflikte. Einer der wahrscheinlichen künftigen Krisenherde ist die 1991 konstituierte Republik Mazedonien, wo einander eine um ihre Existenz bangende slawisch-mazedonische Mehrheitsbevölkerung mit wenigen Kindern (etwa zwei Drittel) und eine sich dynamisch vermehrende albanische Minderheit (über ein Viertel) feindselig gegenüberstehen.

Der Nationalstolz wird sich auf Dauer durchsetzen

In letzter Zeit erhob sich im deutschen Blätterwald eine einzige, allerdings gewichtige Stimme, die vor einer bevorstehenden Explosion in Mazedonien warnte und soziale sowie nationale Unruhen bis hin zu einem "Waffengang" prognostizierte. In einem Gastbeitrag der Frankfurter Rundschau kam Peter H. Matthiesen zu Wort, der bis Ende 2002 als deutscher Militärattaché in Mazedonien wirkte. Matthiesen spricht in seinem Aufsatz sämtliche Tabu-Themen an, um welche die westliche Politik sonst einen großen Bogen macht. So sagt er voraus, der Nationalstolz werde sich in Mazedonien (und zwar auf beiden Konfliktseiten - bei Slawen und Albanern) auf Dauer durchsetzen gegenüber einer (vom Westen) aufgezwungenen "Fremdbestimmung". Matthiesen zeigt die innere Verbindung zwischen Mazedonien und dem Kosovo auf.

Im Gegensatz zu seinem deutschen Landsmann, dem bisher im Kosovo wirkenden Diplomaten Michael Steiner (Spitzname: "König von Kosovo"), geht es dem Ex-Militärattaché nicht um vordergründiges Mediengetöse, sondern um illusionslose Analyse, aus der sich dann eine Warnung ergibt. So sieht er voraus, daß die früher oder später bevorstehende Entscheidung über den "Status" des Kosovo (entweder Rückkehr unter die faktische Souveränität Serbiens oder Schaffung einer unabhängigen Republik) zum nächsten Balkan-Konflikt führen werde.

Die Parole des jetzt von seinem Kosovo-Posten abgelösten Steiner "Standard vor Status" - nämlich der Versuch, durch Hebung des Lebensstandards die nationale Frage gewissermaßen zu "überspielen" - griff viel zu kurz. So einfach lassen sich die immateriellen, geradezu metaphysischen Konflikte dieses Raumes nicht aus der Welt schaffen. Dagegen Matthiesen: "Der Nationalstolz wird sich wie in anderen Ländern durchsetzen, denen Fremdbestimmung aufgezwungen wurde". Die Mehrheit der mazedonischen Bevölkerung sehe die internationale Gemeinschaft als "hassenswerte Besatzer". Auch das wird in Brüssel, wo man sich auf das erste bewaffnete EU-Engagement viel zugute hält, nicht gern gehört.

Es fehle an politischem Willen: "Die Politik hat für den Balkan keine Zielvorstellung" - und die Zeit für eine Lösung sei fast abgelaufen. Vor allem aber ist Matthiesen zugute zu halten, daß er mutig genug war, in seinem Artikel eine der heiligen Kühe westlicher (Nicht-)Politik in Frage zu stellen: nämlich den Mythos von der "Unverletzlichkeit der Grenzen". Ohne sich wie sonst üblich moralisch zu entrüsten, zitiert er die Möglichkeit der Schaffung ethnisch reiner Teilstaaten in Mazedonien unter einem föderalistischen Dach: also eine slawische und eine albanische Teil-Republik.

Wenn das der Preis wäre, der für halbwegs stabilen Frieden im Südosten gezahlt werden muß, warum eigentlich nicht? Warum soll man Völker, die einander buchstäblich "nicht riechen können", in einen Raum sperren - nur um multiethnischen Ideologen zu gefallen, die vom Balkan keine Ahnung haben?


 
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