© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/03 11. Juli 2003

 
Der Regenpfeifer ist verstummt
Widerwille gegen die schlechte Unendlichkeit: Zum Tod des konservativen Essayisten und Politikwissenschaftlers Armin Mohler
Karlheinz Weissmann

Am Abend des 4. Juli verstarb der konservative Essayist und Politikwissenschaftler Armin Mohler. Mohler war einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden durch Bücher und Aufsätze zu politischen, kunsthistorischen und literarischen Themen. Im Zentrum seiner Arbeit stand allerdings die Auseinandersetzung mit der Geschichte der intellektuellen Rechten. Sein Hauptwerk "Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932", das zuletzt in sechster Auflage erschien, ist nach wie vor die gründlichste Untersuchung über deren Einfluß auf das Deutschland der Zwischenkriegszeit.

Mohler wurde am 12. April 1920 in Basel geboren. Nach dem Schulabschluß nahm er an der Universität seiner Heimatstadt das Studium der Kunstgeschichte und Philosophie auf. In dieser Zeit stand er politisch links, änderte seine Haltung aber unter dem Einfluß der Lektüre Nietzsches, Spenglers, Niekischs und Jüngers. Daß seine neue "geistige Familie" ganz von deutschen Denkern beherrscht wurde, zog Konsequenzen nach sich. Zwar hat Mohler die schweizerische Staatsangehörigkeit niemals aufgegeben, aber sein Schicksal eng mit demjenigen Deutschlands verknüpft.

Am 5. Februar 1942 ging er schwarz über die Grenze ins Reich, um als Freiwilliger in die Waffen-SS einzutreten. Sein anfänglicher Enthusiasmus verflog allerdings rasch: das nationalsozialistische Regime entsprach keineswegs der konservativ-revolutionären Idealvorstellung, die er sich zurechtgelegt hatte. Mohler gab seinen ursprünglichen Plan auf, besuchte für ein Semester die Berliner Universität und kehrte kurz vor Jahresende in die Schweiz zurück. Wegen "illegalen Grenzübertritts, Dienstversäumnis, versuchter Schwächung der Wehrkraft" verurteilte ihn ein Schweizer Militärgericht zu sechs Monaten Festungshaft, einer Strafe ohne entehrende Wirkung. Danach beendete er sein Studium in Basel und wurde 1949 bei Karl Jaspers und Herman Schmalenbach mit der erwähnten Arbeit über die "Konservative Revolution" promoviert. Ein Jahr später erschien die Buchfassung in der Bundesrepublik und fand sofort starke Beachtung.

Schöpfer des Begriffs der Konservativen Revolution

Der von Mohler wissenschaftlich eingeführte Begriff "Konservative Revolution" darf als "... eine der erfolgreichsten Schöpfungen der neueren Ideengeschichtsschreibung" (Stefan Breuer) gelten. Mohler benutzte ihn als Sammelbezeichnung für die gesamte nichtnationalsozialistische Rechte der Weimarer Republik: Jungkonservative, Völkische, Nationalrevolutionäre, Bündische und Landvolkbewegung. Er glaubte diese in sich sehr heterogene Gruppe geeint durch eine Mentalität, die die Bereitschaft zum Kampf gegen die Dekadenz des liberalen Systems und die universalisierenden Tendenzen der Moderne hervorbrachte.

Obwohl Mohler sich geweigert hat, den Text der "Konservativen Revolution" für die später - 1972 und 1989 - erschienenen, im Hinblick auf die Bibliographie sehr stark erweiterten Fassungen des Buches umzuschreiben, vollzog er doch gewisse Korrekturen seiner ursprünglichen Deutung. Dabei spielte die These von der "Achsenzeit" des Konservatismus am Ende des 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Der auf Jaspers zurückgehende Begriff "Achsenzeit" sollte hier eine Neuorientierung des konservativen Denkens bezeichnen: "... vor dem Passieren der Achsenzeit ist der Konservatismus rückwärts gewandt, nachher richtet er sich der Zukunft entgegen. Vor der Achsenzeit ist das konservative Bemühen darauf konzentriert, das Überlieferte zu bewahren oder gar einen verflossenen Zustand wiederherzustellen. Die Achsenzeit wird dann zur Zeit der Ernüchterung. In ihr erkennt der Konservative, daß andere Gruppen einen Status quo geschaffen haben, der für ihn nicht mehr akzeptabel ist, daß frühere Zustände nicht mehr restaurierbar sind. Von nun an richtet sich sein Blick nach vorne."

Obwohl Mohler von Anfang an auf Verbindungslinien zwischen der von Romantik und Idealismus bestimmten "Deutschen Bewegung" und der Konservativen Revolution hingewiesen hatte, wurde erst jetzt klarer erkennbar, daß weder der Erste Weltkrieg noch die Bolschewistische Revolution oder der Zusammenbruch des Kaiserreichs den entscheidenden Impuls gegeben hatten, sondern eine Veränderung des Zeitklimas im fin de siècle ausschlaggebend gewesen war. Unter dem Eindruck der Arbeiten des israelischen Historikers Zeev Sternhell kam Mohler später zu der Auffassung, daß man Konservative Revolution als Oberbegriff für eine große Menge von Weltanschauungen benutzen sollte, die seit den 1890er Jahren entstanden und die auf den Zerfall des klassischen Links-Mitte-Rechts-Schemas reagierten, indem sie Vorstellungen aufnahmen, die traditionell nur der Linken oder der Rechten zugewiesen wurden, und so neue Synthesen hervorbrachten. Mohler wies zwar Sternhells generalisierenden Faschismus-Begriff zurück, aber eher um Mißverständnissen vorzubeugen; er selbst hatte das Phänomen Faschismus schon früher - in seinem am häufigsten, auch und gerade als Raubkopie, gedruckten und übersetzten Essay "Der faschistische Stil" - in einer Weise gedeutet, die deutlich machte, wie groß die Schnittmengen zwischen der Konservativen Revolution und dem Faschismus waren.

Nach dem Abschluß der Promotion verließ Mohler die Schweiz endgültig. In seinem "Ravensburger Tagebuch" hat er einen gewissen Einblick in die Jahre nach 1949 gegeben, die er als Sekretär Ernst Jüngers verbrachte. Gerade weil er kein "Eckermännchen" sein wollte, hat Mohler in dieser Zeit nicht nur von Jünger, sondern auch durch die Begegnung mit dessen Bruder Friedrich Georg, mit Carl Schmitt oder Martin Heidegger entscheidendes gelernt. Erst 1953 beendete er die "Gesellenzeit" und ging als Korrespondent verschiedener deutscher (unter anderem Die Zeit, Christ und Welt) und schweizerischer (Die Tat) Zeitungen nach Paris. Auch nach seinem Wechsel in die Carl Friedrich von Siemens-Stiftung, deren Leitung er zwischen 1961 und 1985 innehatte, setzte er seine publizistische Tätigkeit fort. Deren Hauptabsicht war immer eine politische: die, den geschlagenen Deutschen ihren Selbstbehauptungswillen zurückzugeben.

Dabei spielte Mohlers Begegnung mit Frankreich und vor allem mit dem Gaullismus eine wichtige Rolle. Er stellte den Deutschen die Franzosen als Vorbild für ein unverkrampftes Nationalgefühl dar und versuchte den Nachkriegskonservatismus der Bundesrepublik "gaullistisch" zu unterwandern. Sein an Schmitt geschultes Politikverständnis ließ ihn nüchtern fragen, welchem Zweck die "Vergangenheitsbewältigung" eigentlich diente (diesem Thema hat Mohler in drei Büchern, "Was die Deutschen fürchten", "Vergangenheitsbewältigung" und "Der Nasenring", zentrale Bedeutung eingeräumt) und wie man einer Lösung der Deutschen Frage näherkommen könnte. Schon in den sechziger Jahren vertrat er die These, daß das in der Bundesrepublik einflußreichste Geschichtsbild darauf ziele, die Deutschen ohnmächtig zu halten, und er glaubte, daß dem nur durch Aufklärung und eine rücksichtslose Konfrontation mit der politischen Realität begegnet werden könne.

Das Konkrete gegen das Abstrakte verteidigen

Zu den Ergebnissen solcher Konfrontation gehörte seiner Meinung nach notwendig die Einsicht in den deutschen Souveränitätsdefekt - daher sein Engagement gegen die Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags und sein Plädoyer für den engeren Zusammenschluß mit Frankreich zwecks Aufbau einer gemeinsamen force de frappe. Mohler betrachtete nicht nur die Sowjetunion, sondern auch die USA als "Feind" Deutschlands, weil beide den Status quo der Nachkriegsordnung garantierten. Es war das allerdings eine nüchterne Feindseligkeit, und auch nach innen hat Mohler seine Gegner immer erst nach sorgfältiger Lagebeurteilung bestimmt. Wenn er die Linke angriff, dann eben nicht wegen des modischen Neo-Marxismus, sondern wegen ihrer Sterilität, der Neigung, die Reeducation mit anderen Mitteln fortzusetzen und wegen des Hedonismus, der jede kulturschöpferische Askese zerstörte. Anders als viele Konservative sah er den Hauptfeind sowieso im Liberalismus, der die Institutionen zersetzte und keinen Begriff von der Notwendigkeit des "Monumentalen" hatte.

Nachdem sein Liebäugeln mit Franz Josef Strauß und der CSU ohne Erfolg geblieben war, begann Mohler Ende der sechziger Jahre nach neuen Konzepten zu suchen. Er wandte sich zuerst dem "Technokratischen Konservatismus", wie er vor allem von Arnold Gehlen vertreten wurde, später den Denkmodellen der Nouvelle Droite zu. Mohler hatte den Kopf der französischen "Neuen Rechten", Alain de Benoist, bereits während seiner Pariser Zeit kennengelernt. Beide verband eine ähnliche Welt-Anschauung, zu deren Kern ein bestimmter Voluntarismus (Mohler: "es gibt keine Geschichtsphilosophie") und mehr noch ein "Nominalismus" gehörte, mit dessen Hilfe das "Konkrete" (als rechte Option) gegen das "Abstrakte" (als linke Option) verteidigt werden sollte.

Schon von schwerer Krankheit gezeichnet, verfaßte Mohler zur Jahrtausendwende eine Notiz, in der er knapp rubrizierte, was er fürchtete - die Namen, die Zahlen, die Begriffe - und was er liebte - das Optische und das Akustische. Dabei hatte die Neigung zum Optischen sicher das größere Gewicht, was nicht nur aus seinem Interesse an der Kunstgeschichte zu erklären ist, sondern auch aus seiner besonderen Art, die Wirklichkeit zu begreifen. Der Verfasser erinnert sich noch gut an die erste persönliche Begegnung mit Mohler, die in einem vierstündigen Marathon durch Münchner Museen gipfelte. In scharfem Tempo durchmaß Mohler mit seinem Begleiter die Säle und blieb immer nur vor ganz wenigen Bildern stehen, häufig Werken weniger bekannter Meister, forderte nach kurzer Betrachtung ein Urteil und wandte sich dann mit ebenso großer Energie etwas Neuem zu.

Vieles von dem, was für Mohler typisch war, irritierte diejenigen, die einen Konservativen im üblichen Sinn erwarteten: das Unbürgerliche ebenso wie die Vitalität, die Begeisterungsfähigkeit, der Widerwille gegen die "schlechte Unendlichkeit", die Neigung zur Polemik, zu scharfen und überscharfen Urteilen, die Aufmerksamkeit für die Geschichten der anderen und die Leidenschaft für die eigenen, die Aufgeschlossenheit und die Toleranz. Die Grenzen dieser Duldungsbereitschaft lernten eigentlich nur "Langweiler" kennen. Ob sich jemand links, liberal oder rechts postierte, ob er als Christ, Heide oder Atheist auftrat, war Mohler gleichgültig, solange er seine Sache nur mit Nachdruck verfocht.

Vom Mainstream verfemt und Hexenjagden ausgesetzt

Daß Mohler glaubte, mit seiner Haltung zur Rechten zu gehören, obwohl er den Dissens gegenüber der Mehrheit des Lagers genoß, hatte durchaus sachliche Berechtigung. In Thomas Manns "Betrachtungen eines Unpolitischen", auch einem Klassiker der Konservativen Revolution, wird dem üblichen Verständnis des Konservativen entgegengehalten, daß im Grunde nur der "Lebensbegriff" selbst der "im höchsten, religiösen Sinn konservative Begriff" sei. Mohlers Leidenschaft für das Besondere und sein Haß auf die "All-Gemeinheiten", sein Mangel an Pietät gegenüber den Steckenpferden vieler Konservativer und seine Zuversicht trotz der Überzeugung, in einem "Interregnum" zu leben, erklären sich zuletzt aus dieser Auffassung des Lebens und aus seiner Neigung zu Deutschland, zu einem anderen als dem heutigen Deutschland allerdings. In einem Brief vom Oktober 1949 schrieb Hans Fleig, dem die erste Fassung der "Konservativen Revolution" gewidmet war, an seinen Freund Mohler: "Das Ungegebene, das einen Wert repräsentiert, scheint mir ein trefflicher Begriff zu sein, um dasjenige zu charakterisieren, dem die Deutschen nachjagen."

Obwohl Mohler vom mainstream verfemt und als "Schmuddelkind" (Claus Leggewie) behandelt wurde, war sein Leben nicht ohne äußeren Erfolg. Allein die Art und Weise, in der er die Arbeit der Siemens-Stiftung über mehr als zwei Jahrzehnte prägte, rechtfertigt dieses Urteil. Und es gilt, obwohl Mohlers Versuch, an der Universität Innsbruck eine Professur für Politische Wissenschaften zu erhalten, Mitte der sechziger Jahre an Intrigen scheiterte und er nach der Auseinandersetzung um die Verleihung des Adenauer-Preises 1967 eine Reihe von "Hexenjagden" über sich ergehen lassen mußte. Dann schlossen sich die Türen vieler großer Verlage, zu deren geschätzten Mitarbeitern er bis dahin gehörte. Das hat ihn nicht gehindert, nach der "Konservativen Revolution" und seiner Habilitationsschrift, die unter dem Titel "Die Fünfte Republik" erschien, weitere Bücher zu schreiben und Sammelbände sowie Schriftenreihen herauszugeben. Selbstverständlich war dabei manches zeitbedingt, aber vieles erfüllte den Zweck, den Mohler bereits für die "Konservative Revolution" vorgesehen hatte: "Hilfe für die rechte Intelligenz in Deutschland" zu leisten.

Mohler ist nicht müde geworden, auf versteckte Einflüsse hinzuweisen, auf die große Wirkung, die scheinbar an den Rand gedrängte Autoren ausüben konnten - oft mit Verzögerung, oft auf andere Weise als ursprünglich erwartet. Ihn interessierten jene Denker, die er "Regenpfeifer" nannte. Regenpfeifer sind Vögel, die mit ihrem Gesang das Kommen eines Unwetters ankündigen. Übertragen auf die Geistesgeschichte benutzt man den Begriff, um Friedrich Nietzsche, Georges Sorel, Max Weber, Robert Michels, Vilfredo Pareto, Miguel de Unamuno oder José Ortega y Gasset zu bezeichnen, die am Ende des 19. schon die großen Krisen des kommenden Jahrhunderts ankündigten.

Auf seine Art gehörte Mohler zu den "Regenpfeifern" des 20. Jahrhunderts: "Sie warnen vor der heraufkommenden Zerstörung, aber sie empfehlen keineswegs die Rückkehr in die gute alte Zeit. Ihr Ziel ist nicht Bewahrung des Überkommenen, sondern das Festhalten des Wesentlichen ... Wer sich, so wie sie, stets der Complexio Oppositorum (der gegenseitigen Durchdringung der Gegensätze) bewußt bleibt, taugt nicht zur Produktion übersichtlicher, geplätteter, logisch zusammenhängender Systeme. Bei diesen 'Regenpfeifern' geht es schon wilder zu."

Bildnis Armin Mohler, Gemälde von Peter Schermuly (2000): Leidenschaft für das Besondere, Haß auf die "All-Gemeinheiten" und die Neigung zu einem anderen Deutschland

 

Dr. Karlheinz Weißmann ist Historiker und arbeitet als Studienrat in Göttingen. Er hat die Festschrift "Lauter Dritte Wege" (Edition Antaios 2000) zum 80. Geburtstag Mohlers mit herausgegeben.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen