© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/03 18. Juli 2003

 
Dieter Bohlen: Warum er unbedingt das Bundesverdienstkreuz bekommen muß
Das Ende vom Lied
André Hagel

Gewöhnlich gut unterbelichtete Kreise berichten in diesen Wochen von einem rasanten Anstieg von Suizidversuchen seit dem 21. Juni. Da denkt man natürlich sofort an das Naheliegendste: Hat an jenem unheilvollem 21. Juni, einem unverdächtig sonnigen Sonnabend übrigens, vielleicht der eiserne Hans dem deutschen Michel wieder mal eine harte Steuereichel an den Kopf geknallt? Hat Gerhard Schröder vielleicht verkündet, daß wir uns keine Sorgen zu machen brauchen?

Aber: nichts davon. Es braucht keinen Kommissar Wolff und keinen Privatschnüffler Matula, um zu dem Schluß zu kommen, daß alle, die schon auf der Kante eines Hochhauses standen oder sich frischen Brückenwind um die Nase wehen ließen, ein gemeinsames Merkmal aufweisen: Sie sind alle irgendwann Mitte der Achtziger durch die Pubertät gerutscht, haben zu "You're My Heart, You're My Soul" zum ersten Mal verzückt zungengeknutscht und in einem Daueranfall nostalgischer Selbsthemmung es bislang nicht vermocht, ihre Modern-Talking-Platten zum Recycling-Schredder zu geben. Seit dem 21. Juni anno 2003 ist diese Gruppe Mitmenschen in arger mentaler, offenbar in einigen Fällen sogar lethaler Bedrängnis. Denn an diesem Tag haben Dieter Bohlen und Thomas Anders ihr wirklich letztes gemeinsames Konzert als Modern Talking gegeben, in der Berliner Wuhlheide zum letzten Mal ins Mikro gehaucht (Anders), die Faust in die Luft gereckt (Bohlen), zum letzten, allerletzten Mal gemeinsam ihre betörend-verstörende Falsettsirene hinaus in den Äther und durch die Gehörgänge ihrer Fangemeinde gejagt. Künftig wollen sie wieder ihren eigenen Solariumsprojekten nachgehen. An jenem denkwürdigen 21. Juni ist endgültig der finale Vorhang für das infernale Duo gefallen.

Modern Talking ist tot - es lebe Dieter Bohlen! Vielleicht werden wir ja demnächst Thomas Anders Stimme wiedererkennen, während wir beim Edeka durch die Sonderangebote in den Regalen wühlen: "Jetzt zugreifen! Das ist ein echter Sommerhit: Rote Beete, das Familienglas für nur eins neunundneunzig!" Sicher ist: Die Halbwertzeit von Anders Popularität ist gerade so groß, daß er nach dem Konzertabgang ungeschoren durch die Reihen der Ordner kommt, ohne für einen betagten Bohlen-Groupie gehalten und prophylaktisch mit dem Schlagring durchgewalkt zu werden. Dieter Bohlens große Zeit aber ist gerade erst angebrochen!

Damit das auch mal dem aller- und hinterletzten Popbeauftragten irgendwelcher sozialdemokratischer Volksparteien klar wird und damit endlich alle sehen, welche in der Vergangenheit um unser Land erworbenen Verdienste von den künftigen großen Taten Dieter Bohlens künden, muß dem Pop- und Popp-Barden schleunigst das Bundesverdienstkreuz verliehen werden! Die Gründe für eine Schmückung des sich sonst nur mit dem ihm hauseigenen Intellekt und wohlgeformten Damen schmückenden Bohlen durch das wohlgeformte Bundesmetall sind geradezu erdrückend, als daß die Ehrung noch länger hinausgezögert werden dürfte:

Die Texte Dieter Bohlens haben nicht nur bewiesen, daß Liedgut aus deutschen Hirnen auch international markttauglich ist. Nein, auch bei einer Rückübertragung ins Neuhochgermanische erweisen sich Bohlen-Verse als wesentliche Impulse für die deutsche Nationalkultur! So gemahnen sein "Cherry Cherry Lady" (Kirsche Kirsche Dame) und "You're My Heart, You're My Soul" (Du bist mein Herz, du bist meine Seele) an die Taten der Minnesänger und das Liebesmotiv der Romantiker. Und sein "Brother Louie" (Bruder Ludwig) hat das Zeug dazu, für die Deutschen das zu werden, was der bekannte "Frère Jaques" für die Franzosen längst schon ist!

Darüber hinaus hat Dieter Bohlen bis in die jüngste Zeit die deutsche Sprache durch Eigenschöpfungen bereichert wie kaum ein anderer Verbalkünstler. Denken wir nur einmal an Begriffe wie "Knuddelmaus" und "Knutschkugel" oder an sein alle bisherigen Vergleiche sprengendes Bonmot "Du singst wie Kermit, dem man hinten draufgetreten ist."

Dieter Bohlen verfügt über heilerische Kräfte! Wir erinnern uns: Es ist erst ein paar Jahre her, da heilte der blonde Viellächler die blauäugige Verona Feldbusch von der Illusion, mit einem Millionär verheiratet zu sein sei das pure Vergnügen und würde keine Spuren hinterlassen. Einige Zeit später heilte Bohlen die sexuell Unbedarfteren unter uns von dem Irrglauben, ein Teppichgeschäft sei nur dazu da, Teppiche zu kaufen. Dank eines seiner Lieder erwachte sogar ein junges Mädchen aus dem Koma! "Das Bohlen-Wunder" titelte Bild, ansonsten eher auf Busen-Wunder abonniert, im vergangenen Sommer auf der ersten Seite, "Kann seine Musik auch anderen Menschen helfen wie dem Koma-Mädchen?" Wir sind sicher: Sie kann! Schön dabei: Durch weitere Bohlen-Wunder wird künftig im Gesundheitswesen eine enorme Kostenersparnis möglich! Davon kann Frau Spar-Schmidt nur träumen!

Dieter Bohlens Vorurteilslosigkeit im Umgang mit anderen Menschen ist beinahe sprichwörtlich. Er selbst hat etwa sein Zusammentreffen mit der sprachlich gehandicapten Verona "Hier werden Sie geholfen" Feldbusch in einer Disco folgendermaßen überliefert: "Ich dachte mir: Komm, die ist zwar ein bißchen behindert, aber die reißt du jetzt auf!" Dieter Bohlen - ein Werbe- und Sympathieträger par excellence für die "Aktion Mensch"! Sein anhaltendes Bemühen um nachhaltige Toleranz gehört entsprechend gewürdigt.

Bohlens unerschrockenes, couragiertes öffentliches Auftreten in Jogginganzügen aus Ballonseide hat auch für jene Mitmenschen eine Lanze gebrochen, die sich sonst gesellschaftlicher Diffamierung ausgesetzt sehen würden. Arbeitslose Ureinwohner des Ruhrpotts und Ghettokids aus Wilhelmsburg und Marzahn können seitdem bei Anfeindungen darauf verweisen, daß auch ein Dieter Bohlen es in der Leistungs- und Zivilgesellschaft zu etwas Bedeutendem gebracht hat. Das Beispiel Dieter Bohlens spendet den Trostlosen Hoffnung. Ganz ohne Wäschewechsel.

Wie gesagt, all diese Großtaten sind nicht nur an sich schon bundesverdienstkreuzwürdig. Sie sind vielmehr ein Versprechen auf die Zukunft: Zeiten großen geistigen und humanistischen Fortschritts stehen uns und damit auch allen jetzt noch verzweifelten Modern-Talking-Fans bevor - dank Dieter Bohlen! Wer will da noch von eigener Hand aus dieser besten aller Welten scheiden?


 
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