© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/03 25. Juli / 01. August 2003

 
Tödliche Enttarnung
von Michael Waldherr

Der britische Premier Tony Blair gerät in der Affäre um den Tod des Biowaffen-Experten und Regierungsberaters David Kelly ins Zwielicht. Einem Bericht des Independent zufolge drängte Blairs Büro das Verteidigungsministerium dazu, publik zu machen, daß Kelly der BBC Informationen zu dem umstrittenen britischen Irak-Dossier lieferte. Kelly soll einem Reporter bestätigt haben, daß die Regierung in dem Dossier die Gefahr durch irakische Massenvernichtungswaffen übertrieben habe. Ermittlungen der Polizei zufolge beging der 59jährige Kelly Selbstmord. Nach Schilderungen seiner Familie stand er unter starkem Druck, nachdem das Verteidigungsministerium ihn als Quelle für den fraglichen BBC-Bericht genannt hatte.

Blair weist die Vorwürfe zurück, wonach er für die Enttarnung Kellys verantwortlich sei. Große Teile der Briten halten eine andere Version für plausibel: Blair könnte Kellys brisante Enthüllungen als Verrat empfunden haben. Für die Zukunft sollte möglicherweise nicht nur eine undichte Stelle in der Regierung verschlossen, sondern auch ein Exempel an einem Verräter statuiert werden. Doch die Enthüllung schamloser Regierungslügen, um ein Volk in einen nicht gerechtfertigten Krieg zu treiben, ist kein Verrat, sondern in einer Demokratie geradezu Bürgerpflicht. Die Umstände von Kellys Tod können nur aufgeklärt werden, wenn auch die wahren Gründe für die britische Beteiligung am Irak-Krieg enttarnt werden. Hier muß sich erweisen, ob die Gewaltenteilung in Großbritannien funktioniert.


 
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