© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/03 25. Juli / 01. August 2003

 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Wahrhaftigkeit
Karl Heinzen

So fanatisch sich die EU-Kommission auch für das Tabakwerbeverbot stark gemacht hat: Ihr Anliegen war und ist es nicht, dem seit Generationen mit religiöser Inbrunst gegen ein Laster geführten Kreuzzug zum Erfolg zu verhelfen. Ihr Anspruch ist viel größer: Sie scheint die Rahmenbedingungen für Werbung insgesamt reformieren zu wollen.

Erkennbar wird dies aus dem Entwurf für eine Verordnung, die regeln soll, daß Hersteller von Lebensmitteln in Zukunft nur noch verantwortungsvoll über ihre Produkte informieren - sei es auf der Verpackung, in Anzeigen, auf Plakaten oder in Spots. Der Countdown für zahlreiche Versprechen, mit denen der Verbraucher heute konfrontiert wird, läuft. Slogans, die in nicht nachprüfbarer Weise Jugend, Vitalität oder gar Gesundheit mit einem bestimmten Produkt in Verbindung setzen, werden uns schon bald nicht mehr belästigen. Eine Positivliste der Kommission wird dabei im einzelnen festhalten, welche Aussagen als wissenschaftlich haltbar und daher zulässig zu betrachten sind.

Auch durch diesen Vorstoß sollen die Freiheitsrechte des Konsumenten nicht beschnitten werden. So wie er nach dem Tabakwerbeverbot natürlich weiterhin rauchen darf, so steht es ihm frei, unverändert auch jene Lebensmittel zu sich zu nehmen, die nicht halten, was sie bislang versprechen dürfen. Den Herstellern soll bloß das Verkaufsinstrument der Lüge entwunden werden. Es geht der EU-Kommission also weniger um Ernährung. Es geht ihr auch gar nicht abstrakt um Gesundheit. Was sie will, ist vor allem eines: Wahrhaftigkeit.

Das Feld, auf dem sie dieses große Ziel zunächst verfolgt, ist didaktisch gut gewählt. Sehr viele Menschen sind in erster Linie für die Belange ihres Körpers sensibel. Sie hören zu, wenn jemand sie in ihren Gewißheiten über eine gesunde Ernährung irritiert. Das Wohl des Einzelnen aber, und dessen sind sich die Entscheider in Brüssel sehr wohl bewußt, hängt nicht allein von dem ab, was er ißt oder trinkt. Das Leben kann nicht nur verkürzt, es kann auch verschwendet werden.

Der EU-Kommission tun sich somit zahlreiche weitere Felder für eine Reglementierung von Werbebotschaften auf. Kann es zum Beispiel legitim sein, daß TV-Sendungen gute Unterhaltung suggerieren, obwohl sie langweilig sind? Oder daß von Büchern Spannung oder ein geistiger Mehrwert versprochen wird, den sie partout nicht bieten? Hier sollten doch die Menschen davor bewahrt werden, unwiederbringliche Lebenszeit falsch zu investieren.

Auch Wahlkämpfe verdienen es, unter die Lupe genommen zu werden. Wer auf trügerischen Aussagen von Parteien auf den Leim geht, verbaut schließlich sich selbst und anderen eine bessere Zukunft. Glaubwürdig und konsequent werden die Brüsseler Institutionen aber erst dann sein, wenn sie auch ihre Eigenwerbung vergleichbaren Beschränkungen unterwerfen: Die Europäische Union verspricht Stabilität und Wohlstand. Solche vagen Behauptungen sollten eigentlich nicht zulässig sein.


 
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