© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/03 25. Juli / 01. August 2003

 
"Männer sind Freiwild"

Der Historiker Martin van Creveld provoziert mit einem umstrittenen Buch über die zunehmende Unterdrückung des Mannes
Moritz Schwarz

Herr Professor van Creveld, in Ihrem jüngst erschienenen Buch "Das bevorzugte Geschlecht" widmen Sie sich der Widerlegung der feministischen These von der historischen Unterdrückung der Frau durch das Patriarchat . Aber ist es nicht offensichtlich: Frauen verdienen weniger, haben schlechtere Aufstiegschancen, und sind gesellschaftlich wie politisch unterrepräsentiert?

Creveld: Das stimmt nur zum Teil. Die Frage ist allerdings, ob Benachteiligungen der Frau politisch gewollt sind oder ob für ihre Position in der Gesellschaft andere Ursachen verantwortlich sind. Der Feminismus hat eine einfache Erklärung für den Zustand der Welt - vielleicht eine zu einfache. Als Wissenschaftler habe ich mir erlaubt, einmal die in der westlichen Welt zumeist unkritisch kolportierte Sicht der Dinge zu untersuchen.

Verstehen Sie Ihr Buch als eine Art Streitschrift?

Creveld: Ich bin alles andere als ein Frauenhasser, aber wie wir alle bin auch ich in einer Welt aufgewachsen, in der man immer nur hört, wie benachteiligt Frauen sind - folglich habe auch ich daran geglaubt. Als ich Simone de Beauvoir gelesen habe, stieß ich auf den Satz: "Wir alle wissen, daß die Welt den Männern gehört, aber keiner weiß warum." Das erschien mir als eine interessante und untersuchenswerte Frage. Doch nach monatelanger Arbeit steckte ich in einer Sackgasse - bis ich merkte, daß ich das Thema unter falscher Voraussetzung angegangen war. Das erhobene Material zwang mich, meine Grundannahme zu revidieren: Diskriminierung ist in der Hauptsache nicht der Grund für eine gewisse Benachteiligung der Frau.

Sondern?

Creveld: Vermutlich gibt es vier Hauptursachen. Erstens: Testosteron. Dieses Hormon ist verantwortlich für Aggression und die Bereitschaft, Herausforderungen anzunehmen. Männer haben im Schnitt zwanzigmal so viel Testosteron wie Frauen in ihrem Körper. Zweitens: Muskelmasse, Männer sind im allgemeinen erheblich stärker als Frauen. Erst im 19. Jahrhundert begann die Bedeutung der Körperkraft für die Arbeit der meisten Menschen abzunehmen, aber auch heute noch gibt es kaum einen Bereich in dem man überhaupt keine körperliche Leistung braucht. Das gilt vor allem für Führungspositionen in Wirtschaft und Politik. Dazu kommt, daß die meisten Menschen Führungspositionen etwa im Alter von fünfzig Jahren erreichen. Das ist das Alter, in dem der Unterschied in puncto körperliche Leistungsfähigkeit am größten ist, denn bei Frauen beginnt der physische Abbau im Schnitt zehn Jahre früher als bei Männern, ab etwa fünfzig. Drittens: das Verhältnis zur Arbeit. Während Frauen von ihren Männern unterhalten wurden und oft auch noch werden, hatten und haben sich Männer genau aus diesem Grund in der Arbeitswelt zu bewähren. Für Frauen stellte Arbeit also oft einen Luxus dar, für Männer eine Notwendigkeit. Männer haben also eine stärkere Motivation, beruflich "durchzustarten". Die britische Zeitschrift The Economist hat dazu erst in der vergangenen Woche eine bestätigende Studie veröffentlicht. Viertens: der Intelligenzquotient der Elite. Im Schnitt sind Männer und Frauen gleich intelligent, doch sowohl im untersten als auch im obersten Bereich sind Männer überrepräsentiert. Ab einem Wert von 180 ist das Verhältnis Männer zu Frauen sieben zu eins. Folglich ist die Situation vieler Frauen keine Konsequenz einer Diskriminierung, sondern natürlicher Ursachen. Vielleicht verhält es sich sogar umgekehrt: Die Benachteiligung der Frauen - wenn überhaupt - rührt von ihrer geringeren Leistungsfähigkeit.

Nach Ihrer Erkenntnis speist sich die Überzeugung von der historischen Unterdrückung der Frau nicht aus Fakten, sondern aus populären Mythen. Drei dieser Legenden greifen Sie heraus, um sie exemplarisch zu wiederlegen und daran den Mythoscharakter der Diskriminierungsthese unter Beweis zu stellen.

Creveld: Es handelt sich um den Mythos der Hexenverfolgung als gesellschaftlicher Kriegführung zur Disziplinierung der Frau. Um den Mythos von den Nazis als politische Form gewordener männlicher Chauvinismus und um den Mythos von der Unterdrückung der Frau in der Antike, um die historische Reichweite der Diskriminierung bis zum Beginn Europas auszudehnen. Nur leider ist das nach Lage der Quellen nicht zu halten.

Die Hexenverfolgung allerdings traf doch in der Tat vor allem die Frauen?

Creveld: Entscheidend ist die Frage, sollten die Frauen gezielt getroffen werden? Das muß nach Lage der Quellen klar verneint werden. Denn in den Augen der damaligen Zeitgenossen war Hexerei ein reales Verbrechen. Es ist also so, als wollten Sie aus der Tatsache, daß heute achtzig Prozent aller Mörder männlich sind, schließen, daß unsere Gesellschaft männerfeindlich sei.

Pardon - mit dem Unterschied, daß Mord ein reales Verbrechen ist.

Creveld: Das ist unwesentlich, denn zur Zeit der Hexenverfolgung hätte niemand es verstanden, wenn man ihm gesagt hätte, daß es sich bei Hexerei um ein "Verbrechen ohne Verbrecher" handle. Entscheidend ist, daß die Menschen damals von der Tatsache des Verbrechens der Hexerei überzeugt waren. Wir haben es also mit einer Verirrung zu tun, nicht aber mit einer Verschwörung.

Aber eine Verirrung auf Kosten der Frauen.

Creveld: Nicht einmal das stimmt, denn eine Hexe konnte ebenso ein Mann sein. Hexenverfolgungen fand in einem Zeitraum von mehreren hundert Jahren und in verschiedenen Ländern statt. Es gab Orte und Zeiten, wo mehr Hexer als Hexen hingerichtet wurden. Das ist nur kaum bekannt, weil es heute nicht in unser Klischeebild von der Hexenverfolgung paßt. Im übrigen erreichte die Hexenverfolgung in England oder Holland ihren Höhepunkt unter der Herrschaft von Königinnen, flaute aber gerade unter ihren männlichen Nachfolgern wieder ab.

Und auch am Nationalsozialismus als spezifischer Form des Chauvinismus ist nichts dran?

Creveld: Natürlich stimmt es, daß es in der politischen Führung der Nazis keine Frauen gab. Allerdings war der Nationalsozialismus eine egalitäre Idee und hat die Frauen als "Volksgenossinnen" in mancher Hinsicht sogar besser behandelt als die demokratische bürgerliche Gesellschaft zuvor. So stieg zum Beispiel die Zahl der Jurastudentinnen während des Zweiten Weltkrieges unaufhaltsam. Sozial waren die deutschen Mütter während des Zweiten Weltkrieges bei weitem besser abgesichert - nämlich mit 70 Prozent des Gehaltes ihres im Fronteinsatz befindlichen Mannes - als in einem demokratischen Land wie den USA, mit nur 35 Prozent. Und während viele Frauen in NS-Deutschland die Möglichkeit hatten, ihre Kinder in den öffentlichen Kindergarten zu bringen, gab es solche Einrichtungen in England und Amerika kaum. Wenn vor allem jemand Politik auf Kosten der Frauen gemacht hat, dann die sowjetischen Kommunisten, die den Krieg gegen Deutschland quasi auf dem Rücken der russischen Frauen ausgetragen haben. Nicht die Frauen waren die Opfer der Nazis, sondern die von ihnen rekrutierten Sklavenarbeiter, unter denen die Frauen wiederum etwas besser behandelt wurden als die Männer und die sie einsetzten, gerade um ihre eigenen Frauen zu schonen. Warum sich dennoch die Fama von den frauenhassenden Nazis hält, ist ganz klar: Es geht darum, den Antifeminismus mit dem Nazismus in Verbindung zu bringen, um so politische Gegner als verkappte Nazis niederbügeln zu können.

Die Grundthese Ihres Buches geht allerdings noch weiter: Tatsächlich ist es nicht die Frau, die benachteiligt ist, sondern der Mann.

Creveld: Unterm Strich wird von Männern in fast allen Bereichen mehr erwartet als von Frauen. Um zum Beispiel überhaupt einen Partner zu bekommen, müssen Männer in Frauen investieren, das bedeutet Einladungen, Geschenke (auch als "Artillerie der Liebe" bekannt), etc. Frauen dagegen nur in sich selbst, Kleider, Schmuck, Hautcreme, Schönheitsoperationen etc. Im Erwerbsleben setzt sich das dann fort, die schwere Arbeit macht in der Regel der Mann, die leichtere die Frau. Das mag sich heute hier und da ändern, aber seit Beginn der Menschheit waren es die Männer, die in der Regel die schmutzigere, anstrengendere und gefährlichere Arbeiten erledigen mußten. Sie arbeiteten im Bergwerk, wagten sich auf See, pflügten den Acker. Als dann die Fabriken aufkamen, arbeiteten vor allem Männer in den Bereichen mit erhöhter Unfallgefahr, großer Hitze, besonders viel Dreck oder gesundheitlicher Schädigung. Und vor allem arbeiten Männer mehr: Eine Erhebung der Uno von 1995 in 13 repräsentativen Ländern hat ergeben, daß Frauen doppelt soviel Zeit für sich haben wie Männer. Werden Männer denn wenigstens für diese erhöhte Belastung sozial belohnt? Fehlanzeige! In puncto soziale Sicherheit gehen Staat und Gesellschaft davon aus, daß Männer für sich selbst sorgen können, Frauen- zumal wenn sie Kinder haben - eher zu unterstützen sind. Das ist ein Grund dafür, warum es viel mehr obdachlose Männer gibt. Frauen werden aber auch seelisch eher betreut als Männer, dabei sind vier von fünf Selbstmördern Männer! Doch diese Erkenntnis wird von der Gesellschaft ignoriert. Männer werden eher mit ihren Problemen alleinegelassen, man erwaret, daß sie sich selbst helfen.

Sie behaupten, sogar vor dem Gesetz herrsche Ungleichheit zu Ungunsten der Männer.

Creveld: Ich habe in meinem Buch eine Unmenge von Statistiken zusammengetragen, die belegen, daß Männer leichter verhaftet, vor Gericht eher für schuldig befunden, schwerer bestraft und im Gefängnis härter behandelt werden. In den USA sind zehn Prozent aller Mörder weiblich, dennoch werden sie fast nie hingerichtet - eine Frau zu töten, davor schreckt die Gesellschaft instinktiv zurück. Homosexualität bei Männern wurde lange hart bestraft, bei Frauen wurde meist geflissentlich darüber hinweggesehen. Kindstötung gilt bei Männern als besonders schändlich, bei Frauen dagegen gar als schuldmindernde Verzweiflungstat, etc. Und schließlich leben Frauen auch noch länger, was auch daran liegt, daß die Medizin sich viel mehr um frauenspezifische Probleme kümmert. An der Bibliothek meiner Universität gibt es 63 Bücher über Frauengesundheit, kein einziges über Männergesundheit. Für Brustkrebs gibt es an dieser Universität eine spezielle Einrichtung, aber machen Sie sich bloß nicht lächerlich, indem Sie auf den Gedanken kommen, nach eine Abteilung für Prostatakrebs zu fragen! Dabei gibt es viel mehr männliche als weibliche Dozenten. Und zuletzt: Protestieren Sie als Mann über all diese Ungerechtigkeiten, gelten Sie als Heulsuse. Klagen Sie als Frau, ist ihnen in großen Teilen der Gesellschaft Verständnis und Empörungsbereitschaft sicher.

Berichte über sexuellen Mißbrauch in den Medien qualifizieren Sie in Ihrem Buch als so zahlreich wie "Fliegen an einem Mülleimer". Bringt Sie eine solche Sprachwahl nicht zu Recht in den Verdacht, parteiisch zu sein?

Creveld: Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß ich die Problematik des sexuellen Mißbrauchs für stark übertrieben, viele Fälle gar für frei erfunden halte. Das Problem ist, daß man damit eine Menge Geld verdienen kann - leider haben wir es hier mit einer Wachstumsindustrie zu tun. Doppelt schlimm deshalb, weil Männer, gegen die zu Unrecht ein solcher Vorwurf erhoben wird, nie mehr vom Makel des Verdachts frei werden.

Über Vergewaltigung schreiben Sie, diese habe eventuell "so gut wie keine Folgen, besonders wenn die Frau erfahren ist und keinen Widerstand leistet". Das klingt in der Tat skandalös.

Creveld: Daß Vergewaltigung ein schlimmes Verbrechen ist, daran besteht kein Zweifel. Dennoch bin ich davon überzeugt, daß der Feminismus die Bedeutung dieses Verbrechens aufbauscht und seine Ansicht leider inzwischen in der Gesellschaft verankert hat. Warum? Weil Vergewaltigung ein Verbrechen ist, das stellvertretend steht für die Konstellation "Mann unterdrückt Frau". Das Magazin Stern nannte Vergewaltigung einmal "das perfekte Verbrechen", doch das perfekt Verbrechen ist, wenn überhaupt, immer noch Mord. Denn Vergewaltigung überlebt man nicht nur, man kann danach trotz Trauma durchaus ein halbwegs normales Leben führen. Millionen von deutschen Frauen, die 1945 vergewaltigt worden sind, sind der traurige Beweis dafür. Einige haben sich aufgehängt, doch die meisten haben weitergemacht und ein Nachkriegsleben begonnen. Daß sie unglücklicher waren als Frauen in anderen Ländern, ist nicht zu beweisen.

Über den Straftatbestand der häuslichen Gewalt schreiben Sie, dieser sei nur geschaffen worden, "damit Frauen Männern eins auswischen können". Könnte er nicht geschaffen worden sein, um gewissen Mißständen zu begegnen?

Creveld: Untersuchungen in den USA und Kanada zeigen, daß Frauen ebenso häufig häusliche Gewalt ausüben wie Männer. Das glauben Sie nicht? Tja, weil es nicht populär ist. Und jetzt raten Sie, wie hoch der Anteil von "Frau schlägt Mann"-Konstellationen vor Gericht ist - genau, er geht gegen null. Wer ist schuld daran? Die Männer, die solche Fälle nicht zur Anzeige bringen, oder die Gesellschaft, die solche Männer verlacht?

Warum sparen Sie den Bereich Politik in Ihrem Buch aus? Würde die Tatsache, daß Frauen das Wahlrecht zumeist später bekommen haben als Männer, Ihr Fazit trüben?

Creveld: Überhaupt nicht, es war nur nicht möglich, alle gesellschaftlichen Felder zu untersuchen. Doch tatsächlich gibt es beispielsweise im Deutschen Bundestag einen höheren Anteil an Frauen als in der Basis der Parteien. Diskriminiert? Überrepräsentiert!

Also brauchen wir eine Rebellion der Männer?

Creveld: Wir Männer sollten Einsicht in die gesellschaftliche Notwendigkeit vieler Benachteiligungen, die uns betreffen, haben und auf den Unsinn des Feminismus nicht mit einem ebenso dämlichen "Maskulinismus" reagieren. Ich befürchte nur, daß die Feministinnen nicht ruhen, bevor nicht alle Frauen "entfraut" sind. Denn in der Tat richtet sich der Feminismus im Grunde gar nicht gegen die Männer, sondern es handelt sich um eine Manifestation von Neid von Frauen, die keinen Mann haben, gegenüber einer Mehrheit, die einen Mann hat. Deshalb gehe ich auch davon aus, daß sich die Situation zunächst weiter verschlechtern wird, die Männer werden zunehmend zu Freiwild werden. Doch dieser Prozeß wird einmal seinen Höhepunkt überschreiten und einhergehen mit einer neuen Trennung von Mann und Frau wie in viktorianischer Zeit. Denn wenn die Anklagen gegen Männer zunehmen, wird davon die Gesellschaft irgendwann zu sehr beeinträchtigt werden und sich mit einer neuen Geschlechtertrennung dagegen schützen, wie es schon heute in vielen Schulen der Fall ist. Wenn diese Trennung kommt, wird es aber mit der Gleichberechtigung der Frauen sofort vorbei sein.

 

Prof. Dr. Martin van Creveld der international bekannte israelische Militärtheoretiker nimmt in seinem jüngsten Buch das politisch korrekte Vorurteil von der historischen Unterdrückung der Frau aufs Korn. Seine Untersuchung über die Arbeits- und Rollenverteilung von Frau und Mann in der abendländischen Geschichte entlarvt nicht nur weitverbreitete feministische Thesen als Mythen, sondern zeigt vor allem die vielfältige - meist unbemerkte - Benachteiligung von Männern in unserer Gesellschaft auf.

Van Creveld wurde 1946 in Rotterdam geboren. Die Familie wanderte 1950, nachdem die Eltern während der Zeit der deutschen Besatzung nur um Haaresbreite dem Abtransport in ein Konzentrationslager entgehen konnten, nach Israel aus. Seit 1971 lehrt Van Creveld an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Er beriet die Streitkräfte verschiedener Nationen, darunter auch das US-Verteidigungsministerium. 1991 erregte der Historiker mit seinem wegweisenden Buch "Die Zukunft des Krieges" internationale Aufmerksamkeit. "Ich habe dreißig Jahre zur Militärgeschichte gearbeitet, ich finde das genügt." begründet er heute seinen Wechsel zum Thema Geschlechterbeziehungen.

"Das bevorzugte Geschlecht", Gerling Akademie Verlag, München 2003, 405 Seiten

 

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