© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/03 25. Juli / 01. August 2003

 
Multikultopia am Sozialtropf
Gesellschaft: Der Berliner Bezirk Neukölln zeigt beispielhaft eine gescheiterte Integration / Entstehende Parallelgesellschaften sind oft auf staatliche Alimentierung angewiesen
Ronald Gläser

Die finanziellen Probleme der deutschen Kommunen sind nicht zu übersehen. Bürgermeister sind gezwungen, in Straßen mit unzähligen Schlaglöchern die Höchstgeschwindigkeit herunterzusetzen. Schulkinder bekommen neben dem Pausenbrot das Klopapier von der Mutter ausgehändigt, weil Direktoren gezwungen sind, sich zwischen Toilettenartikeln und Schulbüchern zu entscheiden.

Im ohnehin schwer verschuldeten Berlin charakterisiert der Bezirk Neukölln die Misere am deutlichsten. Freundlich formuliert ist der Stadtteil im Süden von Berlin ein sozialer Brennpunkt. Andere reden in deutlicheren Worten von einer zunehmenden "Verslumung" und Ghettoisierung. Zu ihnen gehört Andreas Lück, der Haushaltsexperte der fünf Neuköllner FDP-Bezirksverordneten. Nüchtern präsentiert er den Haushalt des 307.000 Einwohner zählenden Stadtteils. Dieser macht eine halbe Milliarde Euro aus. Die Hälfte der Summe wird für Sozialleistungen ausgegeben. Jeder vierte Neuköllner ist arbeitslos. Diese Zahl kann trotzdem nicht annähernd die Probleme des Bezirks verdeutlichen. Während in den Ortsteilen am Stadtrand Einfamilienhäuschen das Gesicht von Neukölln prägen, gilt der Hermannplatz im Norden als Drogenumschlagplatz Nummer eins in Berlin. Die Polizei bot dem von Nordafrikanern und Arabern geprägten offenen Drogenhandel trotz harter Gangart in den letzten Jahren nur mit Mühe Paroli.

Im nördlichen Neukölln beträgt die Arbeitslosenrate 35 Prozent. Und es gibt Flecken wie die neudeutsch genannte "High-Deck-Siedlung", in der für die Hälfte der insgesamt 5.400 Mieter das Sozialamt die Miete überweist. Hoffnung, Perspektive, Zuversicht - das sind auch für die hier verbliebenen deutschen Mieter Fremdworte.

Eine Viertel Milliarde Euro Soziales allein in Neukölln

Das Bezirksamt ist eine "kastrierte Institution", sagt Lück. Denn die Bezirke sind alles andere als autonome Verwaltungseinheiten. Neukölln bekommt sein Geld vom Land Berlin und hat keine weiteren Einnahmequellen. Mit diesem Geld gehe die Verwaltung verantwortungslos um. "Die haben sich für die Einnahmen nicht zu verantworten," führt der 42jährige weiter aus. Jeder Stadtrat in "Kleinkleckersdorf" müsse für höhere Einnahmen über die Hundesteuer oder besondere Abgaben diskutieren und politisch durchsetzen. Die Verwaltung eines Berliner Stadtbezirks, dessen Einwohneranzahl an die Größe eines österreichischen Bundeslandes heranreicht, bekommt zugewiesen, was sie braucht.

Von den 534 Millionen Euro, die der Neuköllner Haushalt für 2003 vorsieht, sind 207 Millionen im Etat Soziales angesiedelt. 155 Millionen Euro werden in Form von Sozialhilfe an jeden siebten Neuköllner ausgezahlt. Weitere 33 Millionen werden als Sozialhilfe in Einrichtungen verbraucht. Das restliche Geld fließt in Einrichtungen wie Seniorenhäuser und Freizeitheime oder Asylbewerberunterkünfte.

FDP-Mann Lück kritisiert: "Im Haushalt sind jedoch noch weitere Sozialleistungen enthalten, die anderen Etats zugeordnet sind." Dazu gehörten die 40 Millionen Sozialhilfe, die an alleinerziehende Mütter ausgezahlt werde - sie fallen ins Jugendressort.

38 Prozent der Bezieher von Sozialhilfe sind Ausländer. Ein verschwindend geringer Anteil darunter sind EU-Bürger, in der Masse sind es Türken und Araber. Daß die öffentliche Verwaltung Doppelstaatsbürger in der Regel zu den Deutschen zählt, sei am Rande erwähnt. Siebzig Prozent der Sozialhilfeempfänger werden als arbeitsfähig angesehen. Unter den Arbeitsunfähigen ist jeder Dritte wegen der Kindererziehung nicht arbeitsfähig. "Das Bezirksamt wird sich hüten, die genauen Zahlen über das Verhältnis Deutsche zu Ausländer, auch und gerade bei den erfolgten Transferleistungen, offenzulegen," sagt Florian Kluckert, der Fraktionsgeschäftsstellenleiter der FDP. Und in der Tat sind die Zahlen über Transferleistungen im Haushaltsentwurf gemäß Sozialhilfe- und Asylbewerberleistungsgesetz stets zusammengefaßt. Die politische Linke, die in Form einer Mehrheit aus SPD, Grünen und PDS den Bezirk dominiert, findet immer neue Gründe, diese Dinge zu vernebeln. Ein Stadtrat verweist darauf, daß sein Datenverarbeitungssystem diese Dinge nicht darstellen könnte. Entsprechende Anfragen von CDU oder FDP werden verklausuliert beantwortet.

Zweihundert der arbeitsfähigen Neuköllner wollte das Bezirksamt vor zwei Jahren zur gemeinnützigen, zusätzlichen Arbeit (GZA) verpflichten, berichtet Lück. Die Gesetzeslage fordert von einem Bezieher von Sozialhilfe die Ableistung von monatlich vierzig Stunden Arbeit. Drei Mark erhielt der Verpflichtete pro abgeleisteter Arbeitstunde zusätzlich zu seinen Bezügen. Die Sozialhilfeempfänger sollten die Kastanien pflegen. Die Bäume waren 2001 Opfer einer Mottenart geworden, deren Entfernung sehr arbeitsaufwendig ist. "Am ersten Tag sind etwa sechzig erschienen. Am zweiten noch dreißig. Am dritten nur noch fünfzehn", berichtet Lück über das gescheiterte Projekt. Fünf Millionen Euro werden Sozialhilfeempfängern zusätzlich zugeschustert, die vom Bezirk sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden. Wenn der Bezirk die Sozialhilfeempfänger wieder entläßt, kommt vorläufig das Arbeitsamt für diese Neuköllner auf. Auch dies ist ein Weg, die Finanzprobleme der Kommune abzuwälzen.

Der Regelsatz für einen Sozialhilfeempfänger beträgt 293 Euro. Dazu kommt die Miete. Und dann zahlt das Amt noch Bekleidungsbeihilfe, Brennstoffbeihilfe, Weihnachtsbeihilfe, Müllgebühr. Der Sozialhilfebezieher ist befreit von der Zahlung der Rundfunkgebühr und erhält einen Sozialanschluß bei der Telekom. Den betroffenen Neuköllnern zahlte der Bezirk sogar den DTVB-Dekoder. Dieses Gerät braucht in Berlin, wer über Antenne fernsieht, da die analoge Fernsehfunk zu Jahresbeginn einfach abgestellt wurde. Die Rundfunk- und Fernsehfachhändler machten wochenlang das Geschäft ihres Lebens.

Besonders Kinderreiche profitieren im Vergleich zu Arbeitnehmern mit gleicher Kinderanzahl überdurchschnittlich vom Sozialstaat. Und in Neukölln sind gerade bei den türkischen Familien mehrere Kinder der Normalfall. Für jedes Kind wird der Regelsatz fällig. Der Haushaltsvorstand bekommt noch einmal zwanzig Prozent vom Regelsatz zusätzlich. Da das Amt die Miete begleicht, hat eine sechsköpfige Familie schnell 1.800 Euro zur freien Verfügung - plus Sonderfinanzierungen für Aufwendungen besonderer Art, wie zum Beispiel Ersatz für die kaputte Waschmaschine oder Wäschetrockner etc.

Was das Sozialamt alles gewährt, geht aus dem Haushaltsplan des Bezirks Neukölln hervor. Allein der Etat Soziales aus dem Jahr 2001 umfaßt mehr als einhundert Seiten. Die Weihnachtsbeihilfe für die Bezieher von Sozialhilfe und die Träger des Asylbewerberleistungsgesetz schlug mit 1,2 Millionen Euro zu Buche. Sonstige einmalige Leistungen machten weitere 4,5 Millionen Euro aus. Das Amt zahlte auch an die Arbeitgeber, die für die Wiedereingliederung von Sozialhilfeempfängern Lohnkostenzuschüsse erhalten. Über eine Million Euro wurde 2001 an die Unternehmen überwiesen. Ausgefuchste Unternehmer haben diese "Subventionen" bereits als sprudelnde Einnahmequelle entdeckt.

Dagegen fällt die knappe Million Euro, die als Darlehen ausgezahlt werden, sehr gering aus. Daran, daß die Gemeinschaft das Geld niemals von den Beziehern der Leistungen zurückerhält, haben sich inzwischen alle gewöhnt. Fünf Millionen Euro kostete die stationäre Krankenpflege. Eines der größten Probleme für die Kommunen stellt die Gesundheitsversorgung dar. Ist ein Sozialhilfebezieher nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, dann zahlt das Amt. Und diese Patienten werden wie Privatpatienten - also mit deftigem Preisaufschlag - abgerechnet. Nicht anders ist das bei der Pflegeversicherung. Über sieben Millionen Euro bezahlte der Bezirk für die stationäre Pflege seiner minderbemittelten Einwohner.

Die andere Aufgabe, die die Kommune (mit-) zu erfüllen hat, ist die Verwaltung der Schulen. Neukölln verfügt über neun Sonderschulen, fünf Realschulen, sechs Gymnasien, sechs Gesamtschulen und 38 Grundschulen. Diese kosteten den Bezirk 2001 17 Millionen Euro. In Neuköllns Schulen erreicht der Ausländeranteil beachtliche Rekordwerte. Im südlichen Neukölln sind 22,5 Prozent der Kinder nicht-deutscher Herkunft. Im Norden jedoch lag der Ausländeranteil 2001 bei 67,4 Prozent - Tendenz steigend. 89 Prozent der Vorschüler haben keine deutschen Eltern. Multikulti-Spitzenreiter ist die Karlsgarten-Schule mit einem Ausländeranteil von 97 Prozent.

Die überdurchschnittlich hohen Aufwendungen an das Jugendamt von etwa achtzig Millionen Euro sind auch dem exorbitant hohen Ausländeranteil geschuldet, der für die Spracherziehung im Kindergarten mehr Kindergärtnerinnen aufbieten muß. Die hohe Quote ausländischer Kinder, läßt viele Deutsche, wenn sie nicht ohnehin wegziehen, in die privaten "Kinderläden" flüchten. Diese ehemals antiautoritären 68er-Projekte sind längst zur Fluchtburg des deutschen Mittelstandes geworden. Dort wird zwar kein Klartext, aber wenigstens Deutsch gesprochen. Für Heimerziehung ist der Bezirk gezwungen, 23 Millionen Euro auszugeben. Wo alles so ins Wanken gerät wie in Neukölln, sind oftmals die Familien zerrüttet und die Zahl der Schwererziehbaren steigt. Hinzu kommt eine über 500.000 Euro speziell für Kinder von Asylbewerbern.

Auch Kriminalität und Vandalismus greifen um sich

Trotz aller Sozial- und Jugendarbeiter, trotz aller Resozialisierungs- und Therapiemaßnahmen ist Neukölln ein Brennpunkt der Kriminalität. Aus der Antwort auf eine Große Anfrage der CDU-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) geht hervor, wie bedrohlich gerade in den letzten Monaten die Kriminalität zugenommen hat. Im ersten Quartal 2003 wurden 42 Prozent mehr Wohnungseinbrüche registriert. Stadtweit nahmen diese nur um ein Prozent zu. Taschendiebe traten in Neukölln 25 Prozent öfter in Erscheinung. In ganz Berlin stieg deren Zahl nur um zwei Prozent. Und Sexualdelikte, die in Berlin um elf Prozent gesunken sind, ereigneten sich in Neukölln acht Prozent häufiger als im Vorjahreszeitraum.

Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) bezeichnet die Lage in seinem Bezirk als "katastrophal". Der Volkspark Hasenheide genießt das Image, der Treffpunkt der Drogen-Szene zu sein. Vor einem Jahr ging die Polizei zu einer härteren Gangart über: In weniger als einem Jahr führte sie mehr als 700 Einsätze durch. Dabei wurden 8.200 Personen überprüft, von denen 900 sogleich festgenommen wurden. Dadurch konnten die Dealer stark eingeschüchtert und auch um große Mengen ihrer Drogen erleichtert werden. Zeitweise galt der Markt für Haschisch und Marihuana in Berlin als leergefegt.

Der Sozialdemokrat Buschkowsky möchte gern als Retter "des sozialen Friedens" angesehen werden. Seine Aufgaben definiert er in bester sozialistischer Denktradition als das Gewährleisten von "Betreuung, Sozialisation und Wissensvermittlung in der Kindertagesstätte und Schule, die Gewährleistung eines Lebens in Menschenwürde durch Transferleistungen". Den im nördlichen Neukölln grassierenden Vandalismus und die Verwahrlosung will Buschkowsky stoppen, indem er den Besuch der Kindertagesstätte zur Pflicht machen und die Ganztagsbetreuung für Grundschüler einführen will. Ferner müsse das "Angebot an Streetwork und an kleinteiligen Stadtteilläden ausgebaut werden." Der FDP-Bezirksverordnete Lück hat große Zweifel, daß das Problem mit Kinkerlitzchen wie Stadtteilläden gelöst werden kann. Kürzlich habe er mit Polizisten gesprochen, die ihm berichteten, wie Jugendgangs in Neukölln für Unruhe sorgen. Achtzig Prozent der Täter seien Ausländer - und achtzig Prozent der Opfer Deutsche.

Zumindest die Bauindustrie kann dank eines Großprojektes ein wenig aufatmen. Der rot-dunkelrote Senat hat nämlich gegen den Willen aller maßgeblichen Lokalpolitiker in Neukölln einen Bauantrag genehmigt: demnächst entsteht in der Pflügerstraße die größte Moschee Deutschlands.

Foto: Sozialamt Neukölln: Allein 155 Millionen Euro Sozialhilfezahlungen / Steigende Sozialausgaben: Allerletzte Rettung des sozialen Friedens


 
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