© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/03 25. Juli / 01. August 2003

 
Der vormundschaftliche Staat hütet seine Aufgaben
Kulturkampf gegen die eigenen Bürger: Warum die finanzielle Rettung der drei Berliner Opernhäuser kein Lob verdient
Thorsten Hinz

Von einem "Wunder" war die Rede, nachdem Kulturstaatsministerin Christina Weiß vor zwei Wochen die Rettung der drei Berliner Opern verkündete. Die Bundesregierung hatte sich bereiterklärt, der Hauptstadt dafür im nächsten Jahr 25 Millionen Euro und anschließend jährlich 22 Millionen zur Verfügung zu stellen. Alles andere wäre für das Kulturleben in und außerhalb Berlins auch eine Katastrophe gewesen. Wenn schon ein international bekanntes Haus in der Hauptstadt geschlossen wird, warum sollten die Magistrate anderer Städte sich dann noch genieren? Mit besonderer Freude wurde registriert, daß der Zuschuß nicht aus Umschichtungen, sondern aus der Aufstockung des Bundeskulturetats erfolgen sollte.

Aber was ist diese Versicherung wert, wenn eine Woche später verlautet, daß ab 2004 Jahr zwei Förderprogramme des Bundes für den Erhalt der Kultursubstanz in den neuen Ländern entfallen, die ein Gesamtvolumen von 30 Millionen Euro hatten? Ein Zusammenhang mit der Opern-Rettung wird zwar bestritten, doch er stellt sich von selbst her. Man kann darüber streiten, ob eine Sonderförderung, die ausschließlich kulturellen Einrichtungen in den neuen Länder zugute kommt, dreizehn Jahre nach der Wiedervereinigung noch gerechtfertigt ist. Auch in westdeutschen Kommunen stehen kulturelle und wissenschaftliche Institutionen vor dem Kollaps.

Im Kern geht es auch gar nicht um einen Verteilungskonflikt zwischen Ost und West, sondern um die chronische Unterfinanzierung von Kultur und Wissenschaft, die ganz Deutschland betrifft und sich ständig verschlimmert. Die Kommunen und Länder sind faktisch bankrott, und der Bund ist nicht in der Lage, sie als Geldgeber zu ersetzen. Bei dem erreichten Ausmaß der Staatsverschuldung kann man sich ausrechnen, daß selbst ein konjunktureller Aufschwung daran nichts mehr ändern wird.

Die deutsche Kulturstaatstradition ist teils am Ende, teils muß sie modifiziert werden. Der Wechsel vom Etatismus zum Bürgerengagement ist leicht gefordert, aber schwer getan, weil er eine völlig neue Mentalität braucht. Der vormundschaftliche Staat hütet eifersüchtig die Aufgaben, die er einmal an sich gezogen hat, weil sie ihm den Legitimationsgrund dafür bieten, dem Bürger Sicherheit statt Freiheit zu offerieren. Die Tatsache, daß er die versprochene Sicherheit immer weniger gewährleistet, ist ein Beleg dafür, daß es ihm nicht um den Bürger, sondern um die Finanzierung seines aufgeblähten Apparates geht.

Falls der Leidensdruck tatsächlich dazu führt, gesetzliche und steuerrechtliche Spielräume zu schaffen, um zum Beispiel große Privat- und Unternehmensvermögen für die Kulturförderung zu aktivieren, ist auch bei den Bürgern ein Umdenken nötig. Dann ist ihre Bereitschaft gefragt, hinter der Sache - der Kulturförderung - zurückzutreten und ihr finanzielles Engagement nicht zur Mehrung des eigenen Profits und öffentlichen Ruhmes zu betreiben. Das käme einer Neukonstituierung des Gemeinwesens durch die Kultur, einer dialektischen Aufhebung der deutschen Kulturstaatstradition gleich!

Auf diesem Wege wäre endlich auch der Mißbrauch der staatlichen Treuhandfunktion durch ideologische Interessengruppen gestoppt. Die rot-rote Landesregierung in Berlin streicht gerade die jährlichen Zuschüsse für das Symphonieorchester in Höhe von 3,3 Millionen Euro. Dieses äußerst sparsam arbeitende Orchester absolviert jedes Jahr 200 Veranstaltungen an Berliner Schulen. Gerade Kindern aus armen Familien bietet es die vielleicht einzige Chance ihres Lebens, an klassische Musik herangeführt zu werden. Mit der Auflösung des Orchesters wird sie zunichte gemacht.

In Berlin wird gleichzeitig - ko-finanziert durch den Bund - eine "Topographie des (NS-)Terrors" für 39 Millionen Euro errichtet, die kein Mensch will und braucht (JF 25/03). Nicht zu reden von anderen Denkmalsprojekten, die einzig und allein dazu dienen, die sachlich unhaltbar gewordene Diskursherrschaft altgewordener Mandarinen zu zementieren.

Ein Staat, der die individuelle Handlungs- und Entscheidungsfreiheit erstickt, um im Gegenzug seine falschen Prioritäten durchzusetzen, macht keine Kulturpolitik mehr und verdient auch kein Lob für vermeintliche Wunder. Denn er betreibt einen Kulturkampf gegen die eigenen Bürger!


 
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