© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/03 15. August 2003

 
Günter Wallraff
Ganz unten
von Werner Olles

Bereits 1998 war gegen den Schriftsteller Günter Wallraff ein Stasi-Verdacht laut geworden: Unter dem Decknamen "Wagner" habe er als IM für die Auslandsspionage des Ministeriums für Staatssicherheit gearbeitet. Damals wiegelte Wallraff ab, schließlich existiere nirgendwo ein Dokument, das ihn als Mitarbeiter des DDR-Nachrichtendienstes überführe.

Jetzt berichtete die Welt von einer aufgetauchten Karteikarte, die eine solche Registrierung belege. Unter der Nummer XV/48568 sei Wallraff bei der Stasi als IM geführt worden. Neben der Nummer befinden sich sein Klarname und das Geburtsdatum auf der Karte. Und in der zentralen Stasi-Datei (Sira) finde sich unter dieser Registrierung unter dem Datum 24. Mai 1968 ein "IM mit Arbeitsakte". Zudem veröffentlichte die Welt Auszüge aus einem "Auskunftsbericht" der Stasi aus dem Jahr 1976. Danach habe Wallraff zwischen 1968 und 1971 primär sogenannte "Lancierungs-Tätigkeit" geleistet, worunter Desinformationskampagnen in westlichen Medien zu verstehen sind.

Wallraff allerdings will weder die Karteikarte kennen noch wissentlich mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Er habe zwar DDR-Archive genutzt, sei aber "nie selber benutzt worden". Zudem sei der Auskunftsbericht schon vor Jahren "rechtswidrig" an die Öffentlichkeit gelangt. Damals hatte die Behörde für Stasi-Unterlagen erklärt, daß es gesicherte Hinweise für eine IM-Tätigkeit Wallraffs nicht gebe. Auch jetzt reagierte die Behörde wieder mit dem Hinweis, die zitierten Unterlagen seien bereits früher herausgegeben worden, und ohnehin könne man aus einzelnen Karteikarten nicht grundsätzlich auf eine IM-Tätigkeit schließen. Dem widerspricht allerdings der Historiker und Stasi-Experte Hubertus Knabe. Nach seiner Ansicht belegen die Unterlagen eine Registrierung des Schriftstellers als Inoffizieller Mitarbeiter mit Arbeitsakte (IMA) eindeutig. Und daraus folge wiederum, "daß Material aus der Quelle (Wallraff) anfiel".

Tatsächlich hat der 1942 als Sohn eines Kölner Fordarbeiters und einer Fabrikantentochter geborene Wallraff, der sich selbst gern als "radikaler Moralist" bezeichnet, mit der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik schon immer seine Schwierigkeiten gehabt. Nach der Mittleren Reife erlernte er den Beruf des Buchhändlers. Obwohl seine Wehrdienstverweigerung nicht anerkannt wurde, entließ ihn die Bundeswehr als untaugliche "abnorme Persönlichkeit". 1966 erschienen seine ersten aufsehenerregenden Reportagen, mit denen er die Gattung des "Enthüllungs-Journalismus" wiederbelebte. Gemeinsam mit Bernt Engelmann, dessen Stasi-Verstrickungen später bekannt wurden, schrieb er über die Welt der Chefetagen und Fürstenhäuser. Jetzt steht der Mann, der bei Bild Hans Esser war, als Türke Ali unsere zarten Gemüter beunruhigte und heute in Sachen "Menschenrechte" unterwegs ist, unter dem Verdacht, freiwillig einer Diktatur zugearbeitet zu haben.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen