© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/03 22. August 2003

 
Zustände wie im alten Rom
Trotz leerer Kassen und steigender Arbeitslosigkeit ist die Stimmung gut
Paul Rosen

Die Massenarbeitslosigkeit wird nicht dadurch erfolgreich bekämpft, daß die Bundesanstalt für Arbeit umbenannt wird. Und eine Pressekonferenz des Bundeskanzlers bringt noch keinen konjunkturellen Aufschwung. Genau diesen Eindruck will jedoch Gerhard Schröder erwecken. Mit einer Flut von Gesetzentwürfen versucht er, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Doch der Eindruck täuscht. In Wirklichkeit ist nur eines passiert: Schröder hat seinen Urlaub beendet und die Herbstsaison des Polittheaters eröffnet.

Altphilologen wird die Szenerie bekannt vorkommen: Im Römischen Kaiserreich brachen alle Dämme, die Grenzen wurden überrannt, aber in Rom herrschte gute Stimmung. Es gab stets neue Spiele, heute würde man Pressekonferenzen und Talkshows sagen. Das Publikum wurde bestens und vor allem abwechslungsreich unterhalten. Und es gab genug Brot. Daß dieses Spiel nur eine Zeitlang funktionierte, ist bekannt. Denn das ist die Realität: Glänzende Unterhaltung, aber die Ressourcen werden knapp. Die öffentlichen Kassen sind leer, und - was noch schlimmer ist - der einst großen Industrienation Deutschland geht die Arbeit aus.

Die Zahlen sprechen ihre eigene Sprache: Finanzminister Hans Eichel muß in diesem Jahr 30 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen, weil der Etat nur noch aus Löchern besteht. In den meisten Länder und in allen Kommunen ist das finanzielle Ende in Sicht. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die bisher in Kraft gesetzten Hartz-Reformen haben ihre Wirkung verfehlt. Auch die Sozialbeiträge steigen. Zu Beginn des Monats haben zahlreiche Betriebskrankenkassen ihre Beiträge erhöhen müssen. Die Gesundheitsreform dürfte ihr Ziel einer deutlichen Beitragssenkung verfehlen. Im Herbst werden außerdem die Rentenkassen leer sein. Das Vorziehen der Steuerreform, das die Konjunktur ankurbeln soll, dürfte wirkungslos verpuffen. Steigende Beiträge, Gebühren und Steuermehrbelastungen an anderer Stelle fressen die Entlastungen vermutlich mehr als auf.

In dieser in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig schlechten Situation läßt sich Schröder als Erneuerer feiern. Im Oberhemd und ohne Jackett trat er vor die Journalisten, so als ob er Tatkraft demonstrieren wolle. Doch was er im Angebot hat, verdient bestenfalls das Prädikat "mager". Die im Rahmen von "Hartz 3 und 4" geplante Umwandlung der Bundesanstalt für Arbeit in eine Bundesagentur für Arbeit löst die Probleme nicht. Auch daß dreitausend Mitarbeiter, die bisher vornehmlich mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt waren, künftig bei der Vermittlung von Arbeitslosen helfen sollen, ist kein Lichtblick. Denn es gibt kaum noch etwas zu vermitteln. Der Arbeitsmarkt ist gerade im Bereich der gering- und mittelqualifizierten Arbeitsplätze leergefegt. Schon die ersten Hartz-Gesetze haben keine Linderung auf dem Arbeitsmarkt gebracht. Statt dessen gibt es jetzt mehrere zehntausend Kleinbetriebe (Ich-AG), die staatlich subventioniert werden und dem Mittelstand, besonders dem Handwerk, Konkurrenz machen.

Auch der im Grunde vernünftige Ansatz, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu einem Arbeitslosengeld II zusammenzufassen, wird nicht funktionieren. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll in Zukunft die Bundesanstalt bzw. Bundesagentur für Arbeit für die Sozialhilfeempfänger zuständig werden, die bisher von den Kommunen betreut werden. Aus der Bundesagentur würde dann eine Art Bundessozialamt, eine anonyme Superbehörde, die mit Sicherheit nicht weiß, wo und wie Sozialhilfeempfänger in Arbeit zu bringen sein könnten. Die umfirmierte Bundesanstalt ist nicht die Lösung der Probleme, sondern das Problem selbst. Der verkrustete Behördenapparat müßte am besten aufgelöst werden und die Arbeitsverwaltung in die Zuständigkeit der Länder übergehen. Das wäre eine Lösung gemäß den Grundsätzen des Subsidiaritätsprinzips. Doch so viel Reformkraft hat in der Bundesregierung, vermutlich aber auch in der Opposition, niemand.

Derweil verliert die Bundesrepublik Monat für Monat 50.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Die Arbeit wandert aus, weil sie zu teuer geworden ist. Selbst jüngere Bürger werden sich noch an das Wohnzimmer ihrer Kindheit erinnern können: Stand dort jemals ein TV-Gerät oder Radio aus ausländischer Produktion? Heute kann man sicher sein: Selbst wenn noch ein deutscher Name auf den Geräten steht, kommt der Apparat wahrscheinlich aus China oder Malaysia. Der Bundesrepublik bricht die Produktion weg: Außer im Maschinen- und Automobilbau ist Deutschland in keinem Bereich mehr führend. Aber seine Einwohner verhalten sich, als befänden sie sich im Wirtschaftswunder der 1960er Jahre.

Dieses Wirtschaftswunder hatte gute Gründe: eine verantwortungsbewußte Unternehmerschaft, die noch soziale Verantwortung kannte im Unterschied zu den heutigen Managern mit Millionenbezügen. Darüber hinaus gab es eine gut ausgebildete Arbeitnehmerschaft, weniger Bürokratie und geringere Sozialbei- träge. Diese "Jetzt-wird-wieder-in-die-Hände-gespuckt"-Mentalität versuchte der einstige Bundespräsident Roman Herzog mit seiner Forderung, es müsse wieder ein Ruck durch Deutschland gehen, wiederzubeleben. Vergeblich. Heute wandern die Hochqualifizierten aus Deutschland aus: In den letzten Jahren verlor die Bundesrepublik etwa eine Million jüngere Bürger. Deren Platz nahmen geringer qualifizierte Zuwanderer aus dem Ausland ein.

Durch EU-Osterweiterung und Globalisierung verabschiedet sich die Produktion und damit die Wertschöpfung aus Deutschland, Ein Arbeiter in einem Reifenwerk verdient hierzulande 2.000 Euro brutto, sein rumänischer Kollege 111. Und der Mann aus Bukarest hat Abitur und spricht zwei Sprachen, während der Deutsche durch drei Jahrzehnte SPD-Bildungspolitik nachhaltig geschädigt ist. Der deutsche Name steht noch auf den Autoreifen, aber der Reifen selbst kommt aus Rumänien oder der Slowakei, wo der Monatslohn bei 400 Euro liegt.

Der Teufelskreis aus abwandernder Produktion und steigender Arbeitslosigkeit, die wiederum auf die Arbeitskosten drückt, kann nicht mit Maßnahmen wie der Hartz-Reform durchbrochen werden. Hartz, das Vorziehen der Steuerreform und die Gesundheitsreform haben allenfalls die Qualität von weißer Salbe. Verteilt werden kann nur, was vorher erwirtschaftet worden ist. Das wußte schon Cicero, dem der Satz zugeschrieben wird, die Leute müßten wieder lernen zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben. Doch daß es einmal zu wenig Arbeit geben würde, hätte sich der römische Staatsmann vermutlich auch nicht vorstellen können.


 
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