© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/03 22. August 2003

 
Gemeinsam gegen Kriminelle
USA: Die Bürgerbewegung Neighborhood Watch unterstützt die Polizei in ihrem Kampf gegen das Verbrechen
Ronald Gläser

Die US-Amerikaner sind dafür bekannt, daß sie ihr Schicksal tendenziell schneller in die eige-ne Hand nehmen. Während hierzulande Kleinkriminalität oder Verwahrlosung sofort den Ruf nach dem allmächtigen Staat auslösen, kümmern sich die Bürger der Vereinigten Staaten lieber gleich selbst darum.

Gerade wenn ihre Sicherheit betroffen ist, sind Amerikaner die ersten, die sich freiwillig für die Gemeinschaft einsetzen - und dabei gelegentlich über die Stränge schlagen. Vor zwei Wochen veranstalteten schätzungsweise dreißig Millionen US-Bürger die National Night-out against Crime (Nationale Nachtwache gegen Kriminalität).

Im Grunde ist dieses jährlich wiederkehrende Ereignis eine Art großer "Tag der offenen Tür bei Feuerwehr und Polizei". Veranstaltet werden Straßenfeste, Gartenparties, Picknicks und Spaziergänge. Die Organisation Neighborhood Watch (Nachbarbarschaftskontrolle), die diese Nachtwachen organisiert, ist eine echte Bürgerbewegung.

In zehntausend Städten und Gemeinden Nordamerikas vereint sie Bürger, Geschäfte, Behörden und die Polizei. Im vergangenen Jahr haben sich nach Angaben der Veranstalter 33 Millionen US-Bürger an der freiwilligen Nachtwache beteiligt.

Die Gestaltung der Nachtwache hat eher den Charakter eines Volksfestes, als daß sie an eine direkte Konfrontation mit der Unterwelt der Städte und Metropolen anstrebt. Wassersport, Kasperletheater und Hotdog-Parties gehören ebenso dazu wie Nachtwanderungen gegen den Drogenverkehr (an der US-mexikanischen Grenze).

Die Nachtwache soll um Unterstützung für lokale Modelle der Kriminalitätsbekämpfung werben. Sie ist eine Solidaritätsbekundung für die Polizei. Appelliert wird an den Gemeinschaftssinn der Bürger auf lokaler Ebene. Auf Gartenparties, bei Paraden und Wettbewerben von Sackhüpfen bis zur Auszeichnung verdienter Bürger kommen die Menschen zusammen.

In vielen amerikanischen Gemeinden sorgen die Bürger auch sonst für ihre eigene Sicherheit, indem sie sich zu privaten Nachbarschaftswachen (neighborhood watch) zusammenschließen. Diese kooperieren mit der Polizei und unterstützen sie bei ihren Patrouillen.

In vielen Städten wird auch das "Projekt 365" durchgeführt. Am Tag der Nationalen Nachtwache wird von den Nachbarschaftswachen ein Objekt ausgewählt. Dabei kann es sich um einen Park handeln, der als Drogenumschlagplatz gilt, oder eine Ladenstraße, in der sich Überfalle gehäuft haben. Diesem Objekt wird dann besondere Aufmerksamkeit gewidmet.

Ein Jahr später wird Bilanz gezogen. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Durch das freiwillige Engagement sind in machen Vierteln die Autodiebstähle, die Verwahrlosung von Straßenzügen oder Wohnungseinbrüche drastisch zurückgegangen. Die Erfolge der Nachbarschaftswachen werden inzwischen sogar von der Wissenschaft anerkannt.

1972 startete die National Association of Sheriffs die Nachtwache gegen Kriminalität. An sozialen Brennpunkten geht als erstes der Gemeinschaftssinn der Bürger verloren. Dem wirken lokale Bürgervereinigungen entgegen. Der Erfolg stellt sich schon wegen des wachsenden "common spirit" wieder ein, wenn die Menschen in einem Viertel regelmäßig zusammenkommen.

Es ist eine Binsenweisheit, daß die Menschen sich dort am ehesten für ihre Mitmenschen einsetzen, wo sie am schnellsten um ihr eigenes Haus herumlaufen können. Die meisten Nachbarschaftswachen gibt es deswegen auch dort, wo Einfamilienhäuser stehen und die Masse der Menschen seit fünf oder mehr Jahren wohnen.

1981 waren einer Studie zufolge zwölf Prozent aller Amerikaner auf die eine oder andere Art in eine Nachbarschaftswache integriert. Ende der achtziger Jahre waren es Schätzungen zufolge schon bis zu zwanzig Prozent.

Fast vierzig Prozent der Amerikaner wohnen in Vierteln, die von freiwilliger Selbstvorsorge profitieren. Einer der Gründe, die den Erfolg ausmachen, ist natürlich auch die überlastete Polizei. Gerade in Großstädten ist diese mehr mit dem innerstädtischen Drogenhandel und der schweren Gewaltkriminalität befaßt. Für Fahrraddiebstahl und Graffitisprayer in Vororten haben die Beamten deswegen wenig Zeit.

Diese Art von bürgerschaftlichem Engagement paßt wie angegossen in das Weltbild von US-Präsident George W. Bush. In seiner diesjährigen Ansprache an die Nation (State of the Union Address) hatte er ein "Bürgerkorps" ins Leben gerufen.

Jetzt ging die US-Regierung noch weiter und initiierte ein Programm namens Tips (Terrorismus Informations- and Präventions-Service). Tausende Amerikaner, vom Postboten über den Klempner bis zum LKW-Fahrer, sollen terroristische Aktivitäten melden.

Stößt ein Binnenschiffahrtskapitän oder ein Bahnschaffner auf merkwürdige Vorkommnisse oder Personen, so kann er eine kostenfreie Telefonnummer wählen. Dort werden Informationen für das FBI, CIA, NSA, Ministerium für nationale Sicherheit und wer sonst noch mit Kriminalität befaßt ist, weitergeleitet.

So dürfte in Kürze eine gewaltige Datenbank entstehen, in der jeder erfaßt werden kann, der sich einmal am falschen Ort oder mit den falschen Leuten getroffen hat. Dennoch fällt Kritik an der öffentlich organisierten Spitzelei nur leise aus.

Bürgerrechtsgruppen wie die mächtige ACLU (American Civil Liberties Union) warnen davor, eine "Nation von Spionen" zu schaffen. Das linke Rutherford Institut nennt Tips einen "Ausverkauf der Verfassung".

Dennoch startete das Projekt des Justizministeriums am 10. August in zehn Städten. Geplant ist, daß eine Million Amerikaner teilnehmen. Dann hat Präsident Bush die Truppen für seinen Zweifrontenkrieg zusammen. Er erklärte zu Jahresbeginn, sein Land führe Krieg sowohl gegen den Feind außerhalb als auch gegen den Feind innerhalb der eigenen Grenzen.

Angeblich sind derzeit tausend arabischstämmige Amerikaner interniert. Da die Regierung dafür die Gesetze gegen Deutsche und Japaner aus dem Zweiten Weltkrieg anwendet, ist sie nicht verpflichtet, darüber Auskunft zu erteilen. Auch das gehört leider zum amerikanischen Alltag.


 
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