© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/03 29. August 2003

 
"Schill hinterläßt eine riesige Lücke"
Schill-Partei I: Der Landesvorsitzende von Bremen, Jan Timke, im JF-Gespräch über die Situation der Partei / Kein Ausschlußverfahren gegen den Parteigründer
Manuel Ochsenreiter

Herr Timke, Schill-Partei ohne Schill - geht das überhaupt?

Timke: Ja, das geht, denn die Schill-Partei besteht ja nicht nur aus Herrn Schill, sondern aus über 6.300 Mitgliedern. Die sind in 16 Landesverbänden organisiert. Außer in Hamburg sind wir noch in verschiedenen Kommunalparlamenten tätig, und auch dort machen wir eine bürgernahe Politik. Daher denke ich, daß die Schill-Partei auch ohne Herrn Schill überleben kann und wird.

Wie stehen die von Ihnen angesprochenen Landesverbände zu Mario Mettbachs Distanzierung von Ronald Schill? Wird dies und dessen Festhalten an der Koalition in Hamburg um jeden Preis von der Basis nicht als "Verrat" empfunden?

Timke: Ich kann nicht für alle Landesverbände sprechen, da ich bislang nicht mit allen Landesvorständen darüber gesprochen habe. Meine persönliche Meinung hierzu ist allerdings, daß sich Mario Mettbach in Hamburg momentan als Krisenmanager zu bewähren hat. Ihm ist es hauptsächlich zu verdanken, daß die erfolgreiche Arbeit der Koalition fortgesetzt wird. Er hat einen großen Anteil daran geleistet, daß es dort eben nicht zu einem Koalitionsbruch gekommen ist.

Ist es aber dennoch nicht nachvollziehbar, wenn ein großer Teil der Basis enttäuscht darüber ist, daß die Schill-Partei nach dem Rausschmiß ihres Gründers und Ehrenvorsitzenden nicht in die Opposition gegangen ist?

Timke: Letztendlich war der Vorfall in Hamburg alles andere als glücklich, da gebe ich Ihnen recht. Vor allem vor dem Hintergrund, da die Partei sich momentan im Kommunalwahlkampf in Brandenburg und Bremerhaven befindet. Schills Äußerungen zum Intimleben des Hamburger Bürgermeisters waren meines Erachtens mehr als unangebracht. Mittlerweile sieht das Ronald Schill ja selbst so. Aber - bei aller Aufregung der letzten Tage ist die eigentliche Frage ja immer noch nicht beantwortet worden: Hat es in Hamburg Ämterpatronage gegeben? Wurde der Justizsenator Roger Kusch aufgrund eines besonders freundschaftlichen Verhältnisses zum Bürgermeister in sein Amt bestellt? Ich hoffe, daß dieser Frage noch nachgegangen wird!

Momentan wird dies allerdings kaum thematisiert ...

Timke: ... deshalb sollten die Medien nicht nur über Schills Äußerungen, sondern eben auch auf den eigentlichen Skandal, nämlich den der mutmaßlichen Vetternwirtschaft in der Hansestadt Hamburg berichten.

Aber wäre das nicht die eigentliche Aufgabe der Schill-Partei, dort den Finger auf die Wunde zu legen?

Timke: Natürlich, Sie haben vollkommen recht. Die Hamburger Parteifreunde werden mit Sicherheit besonnen, aber energisch die noch im Raum stehenden Vorwürfe gegen die CDU thematisieren.

Welchen Platz hat Ronald Schill in der Schill-Partei nach seinem Rauswurf?

Timke: Über die Zukunft von Ronald Schill kann nur er selbst entscheiden. Er wird selbst sagen müssen, wie sehr er sich in die Partei einbringen möchte. Momentan ist noch unklar, ob er überhaupt sein Abgeordnetenmandat in der Hamburger Bürgerschaft weiter wahrnehmen wird. Erst dann ist klar, welche Rolle er in der künftigen Landes-, Bundes- oder gar Europapolitik spielen wird.

... und welche Rolle wünschen Sie sich für Schill?

Timke: Er soll sich auf keinen Fall völlig aus dem politischen Geschäft zurückziehen. Ich wünsche mir sehr, daß er sein Abgeordneten-Mandat weiter wahrnimmt, zumal er ja auch zum Abgeordneten gewählt wurde. Außerdem wäre ein Rückzug schon allein deshalb für ihn ungünstig, da er sich in der Sache im Recht fühlt. Ein Rückzug könnte so den Beigeschmack eines Schuldeingeständnisses haben. Er sollte daher weiter mutig zu seiner Sache stehen!

Es häufen sich Stimmen, die das gesamte Projekt Schill als gescheitert ansehen.

Timke: Das Projekt Schill-Partei ist nicht tot. Wir sind noch immer in der Regierung in einem sehr erfolgreichen Bundesland. Der Schill-Partei ist es allein zu verdanken, daß es in Hamburg einen Kriminalitätsrückgang gab, der größer ist als der aller anderen Bundesländer in früheren Jahren. Die Schill-Partei ist nach wie vor in einer Koalition mit der CDU, und die Christdemokraten haben sich auch ausdrücklich für die Weiterführung dieser erfolgreichen Koalition ausgesprochen. Die Partei ist noch lange nicht gescheitert!

Die Galionsfigur Schill war als "Richter Gnadenlos" geradezu das zu Fleisch gewordene Konzept von "Recht und Ordnung". Wie können solche Positionen künftig auch ohne das menschliche Markenzeichen Ronald Schill vermittelt werden?

Timke: Ich denke, solche Positionen sind auch ohne Ronald Schill vermittelbar. Wenn der designierte Nachfolger Schills als Innensenator dessen erfolgreiche Politik der Verbrechensbekämpfung fortsetzt, werden wir auch darauf bauen können. Außerdem gibt es in den Landesverbänden auch zahlreiche kompetente Polizeibeamte, die sehr viel von Kriminalitätsbekämpfung verstehen. Auch diese werden sicherheitspolitische Positionen bürgernah vermitteln.

Aber Schill hinterläßt ja nicht nur eine "Kompetenzlücke", sondern vor allem eine Popularitätslücke. Weder ein Mario Mettbach noch ein Dirk Nockemann sind auch nur ansatzweise so populär wie Schill ...

Timke: Schill hinterläßt unbestreitbar eine riesige Lücke. Allerdings wollen die Bürger nicht nur Populismus, sonder vor allem auch kontinuierliche Sacharbeit. Da versuchen wir derzeit wieder hinzukommen.

Was halten Sie von Mitgliedern Ihrer Partei, die sich am liebsten ganz von Schill trennen würden - steht bei diesem Thema ein Konflikt ins Haus?

Timke: Ich habe mit mehreren Landesvorsitzenden gesprochen, und alle waren sich zwar darin einig, daß der Vorfall in Hamburg mehr als unglücklich gelaufen ist, allerdings lehnen auch alle ein eventuelles Ausschlußverfahren gegen Ronald Schill entschieden ab.

... auch Sie persönlich wurden als möglicher Schill-Bewerber ins Spiel gebracht.

Timke: Es ist so, daß einige Landesverbände den Wunsch äußerten, daß ich das Amt des Innensenators übernehme. Die Fraktion in Hamburg entschied allerdings anders darüber.

Welche Akzente hätten Sie als Innensenator gesetzt?

Timke: Ich hätte die erfolgreiche Arbeit Schills weitergeführt. Dazu gehört meiner Ansicht nach eine weitere personelle und materielle Aufstockung der Polizei und ein hartes und konsequentes Vorgehen gegen Drogendealer. In Brennpunkten hätte ich mobile Polizeiwachen eingerichtet. Außerdem - und das war ein großer Streitpunkt zwischen Schill-Partei und CDU - hätte ich die geschlossene Heimerziehung für jugendliche Intensivstraftäter durchzusetzen versucht.

Im Oktober findet Ihr nächster Bundesparteitag statt. Wie heftig werden die Personaldebatten dort werden?

Timke: Es werden dort keine Neuwahlen stattfinden, es wird ein Programmparteitag werden. Dort sollen ein neues Bundesprogramm sowie eine neue Parteisatzung verabschiedet werden.

Wird der Posten des Ehrenvorsitzenden diskutiert werden?

Timke: Der Posten ist besetzt und steht auch nicht zur Debatte.

Welche Rolle werden Sie auf dem kommenden Bundesparteitag spielen?

Timke: Ich werde mich auf dem Bundesparteitag vehement gegen eine Änderung der Kurzbezeichnung der Partei aussprechen. Derzeit wird ja diskutiert, ob wir die Kurzbezeichnung "Schill-Partei" nicht besser ablegen sollten. Ich denke allerdings, daß diese Bezeichnung nicht nur für unseren Gründer und Ehrenvorsitzenden steht, sondern auch für eine erfolgreiche und bürgernahe Politik. Daher wäre die Partei gut beraten, diese Bezeichnung nicht abzulegen, das werde ich auf dem Bundesparteitag auch den Delegierten sagen.

 

Jan Timke, 32, ist Landesvorsitzender der Partei Rechtsstaatlicher Offensive in Bremen. Er ist von Beruf Kriminalbeamter.

 

weitere Interview-Partner der JF


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen