© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/03 12. September 2003

 
Zum Tod von Leni Riefenstahl
Ein Lächeln im blauen Licht
Andreas Wild

Leni Riefenstahl hatte viele, fast unendlich viele Bewunderer, und sie kamen aus buchstäblich allen Bereichen des Lebens, aus allen Berufen und aus allen politischen Lagern. Kecke Abenteurer und bedächtige Filmregisseure waren unter ihnen, Feministinnen und Luftwaffengeneräle, Technikfreaks und Technik-Skeptiker, Sportler und Kulturkritiker, Reinhold Messner und Alice Schwarzer, Gret Palucca und Mick Jagger, Uschi Glas und Jean Cocteau, Hilmar Hoffmann und Siegfried & Roy.

Sie alle waren fasziniert und charmiert sowohl von ihrer Erscheinung wie von ihrem Werk. Zartheit und Anmut paarten sich in ihr bis ins höchste Alter hinein auf unvergleichliche Weise mit ungeheurer Präzision des Arbeitens, mit kaltblütiger Sachlichkeit und stupendem Verständnis für das zu ihrer Zeit neue Medium des Kinos. Zwei ihrer Filme, die sie in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft drehte, "Triumph des Willens" und der Streifen über die Berliner Olympiade von 1936, waren Marksteine nicht nur für die Entwicklung dieses Mediums, sondern für die Ästhetik des zwanzigsten Jahrhunderts insgesamt, für die Mobilmachung ästhetischer Werte zum Zwecke der Massenbeeinflussung und der Gemeinschaftsstiftung, wie sie damals in allen künstlerischen und geistespolitischen Quartieren angestrebt wurden.

Riefenstahl leistete auf deutscher Seite das, was Pudowkin und Eisenstein auf russischer Seite leisteten oder Jean Renoir auf französischer. Und sie war die einzige Frau unter den Neuerern, eine junge und schöne Frau, die mit ihrem Genie planvoll und dennoch immer graziös spielte und die Männer dabei in ihren Bann zog. Es war keine Angelegenheit des politischen Engagements, sondern ein technisch-ästhetisches Abenteuer, ein Arbeiten an der Front des absolut Neuen, des Ausgreifens in bisher völlig unerschlossene Dimensionen.

Keine Künstlerin hat man für ihre Verstrickungen in eine letzten Endes katastrophische, Dämonen aufweckende Politik so büßen lassen wie Leni Riefenstahl. Aber sie trug es mit stoischer Gelassenheit (der übrigens ein hohes Maß von Einsicht und Reue beigemengt war). Klagen war ihre Sache nicht. Sie erschloß sich neue, ebenfalls wieder ins Unerprobte ausgreifende Arbeitsfelder, auf denen sie wiederum eminente Pionierdienste leistete: im ethnologischen Forschungsfilm, in der Unterwasserfotografie.

Alles, was Leni Riefenstahl anpackte, hatte Hand und Fuß - und ein bezauberndes Lächeln dazu. Ihr allererster kühner Bergfilm, mit dem sie 1932 schon Furore machte, hieß "Das blaue Licht"; der Titel könnte für ihr ganzes künstlerisches Leben stehen, das nun im hundertzweiten Jahr zu Ende gegangen ist. Sie war ein blaues Licht, das wie aus einer noch ungeklärten technischen Zukunft auf die Gegenwart zurückstrahlte und das die Botschaft transportierte: "Habt Mut! Zur Selbstpreisgabe ist es ohnehin zu spät."

Lesen Sie zum Tod von Leni Riefenstahl auch Seite 10.


 
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