© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/03 12. September 2003

 
Bis nach Kurdistan
Für die CDU ist ein EU-Beitritt der Türkei undenkbar - noch
Paul Rosen

Die Osmanen belagerten im Jahre 1529 und ein zweites Mal 1683 vergeblich Wien und hinterlie-ßen uns der Überlieferung zufolge aber den Kaffee. Die Türken haben inzwischen allerdings gute Chancen, sogar bis nach Brüssel vorzustoßen und Mitglied der Europäischen Union zu werden. Diesen Eindruck festigte jedenfalls die Regierung in Berlin, als der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an der Spree war. Auch die große Mehrheit der anderen EU-Staaten ist bisher jedenfalls großzügig und stellt der Türkei die Aufnahme zu einem noch nicht konkretisierten Zeitpunkt in Aussicht. Würde der Plan realisiert, wäre die Europäische Union nicht mehr wiederzuerkennen.

Für die rot-grüne Koalition mag der multikulturelle Ansatz von Bedeutung sein. Eine EU, die nicht bis an den Bosporus reicht, ist für SPD und Grüne nicht der Schmelztiegel, in dem die Völker und Kulturen vermischt werden könnten. Auch in "fortschrittlichen" Kreisen anderer Länder wird ähnlich gedacht. Eine Bestätigung, daß dieser Gedankenansatz keine Phantasterei ist, gibt das Verhalten der Berliner Regierung gegenüber dem Nato-Partnerland Türkei: Einerseits wird die Aufnahme in die EU befürwortet, andererseits die Lieferung von deutschen Panzern vehement abgelehnt.

Die EU ist jedoch mehr als das reine Militärbündnis Nato. In der Militärallianz haben sich die Mitglieder gegenseitigen Beistand gegen Bedrohungen und Angriffe versprochen - nach Werteprinzipien wurde jedenfalls in der Vergangenheit nicht unbedingt gefragt. So konnten Portugal, Griechenland und die Türkei auch dann Mitglieder der Allianz, sein, als die Militärs dort erheblich mehr zu sagen hatten, als heute. In der EU, wo schon die Regierungsbeteiligung eines Jörg Haider und seiner FPÖ zu einer ernsten Krise führte, wäre das unmöglich.

Die Vision, Europa besteht in erster Linie aus dem Gedanken, daß sich die christlichen Völker des Kontinents enger zusammenschließen und damit wieder mehr Gewicht in der Welt haben. Letztlich, so wird der Gedanke besonders in Paris und in jüngster Zeit auch in Berlin weiterformuliert, soll Europa neben der einzig verbliebenen Weltmacht USA erkennbarer und wahrnehmbarer werden.

Dieses auf den christlichen Werten und dem Bekenntnis zur Marktwirtschaft erbaute Gerüst wird jedoch schon seit längerem demontiert. Die bürokratischen Mechanismen in der EU-Wirtschaftspolitik, die unter dem Mantel der Liberalisierung und Freizügigkeit daherkommen, haben in Wirklichkeit in Teilen der Wirtschaft (vor allem Agrar) zu einem System geführt, das in Teilen dem der DDR ähnlicher ist als dem der frühen Bundesrepublik. Diese Entwicklung schreitet rasant voran. Brüssel ist dabei, auch den letzten Lebensbereich mit Richtlinien zu überziehen und seine Zuständigkeit ständig auszuweiten. Der andere Bereich sind die christlichen Grundwerte. Es gelang bisher nicht, in den Entwurf der europäischen Verfassung einen Bezug auf Gott hineinzuschreiben. Der Bezug auf Gott und das Christentum wäre eine Grenze gewesen, die eine Aufnahme der Türkei verhindert hätte. Doch genau das will man in Brüssel, Berlin und Paris nicht.

Ganz so einfach wird die geplante Ausweitung der EU bis an die irakische Grenze jedoch nicht werden. In Deutschland ist das Thema mit Emotionen belegt, auf denen besonders die bayerische CSU gerne reitet. Pünktlich zum Erdogan-Besuch in Berlin machte CSU-Landesgruppenchef Michael Glos Front gegen die Aufnahme der Türkei und versprach, die Europawahl 2004 zu einer Volksabstimmung zu machen. Das war zwar nicht neu, aber wieder einmal wirkungsvoll. Kanzler Gerhard Schröder sprach von "billiger Polemik".

Die Sache ist keineswegs billig, sondern eine Aufnahme der Türkei käme die EU und damit auch die deutschen Steuerzahler besonders teuer zu stehen. Die deutschen Nettozahlungen an die EU könnten sich dann von acht auf 16 Milliarden Euro verdoppeln. Mit einer Mehrwertsteuererhöhung um mehrere Prozentpunkte den Wohlstand in der Türkei zu heben, dürfte nicht im Interesse der deutschen Steuerzahler sein.

Bisher schienen die oft zänkischen Schwestern CSU und CDU im Widerstand gegen einen Beitritt der Türkei einig zu sein. CDU-Chefin Angela Merkel sagte Erdogan während eines Treffens in Berlin, sie befürchte eine Überforderung der EU. Wer genauer hingehört hat, bekam dann noch eine wichtige Einschränkung mit: Für Frau Merkel gilt die Überforderung nur "zum jetzigen Zeitpunkt". Sprich: Ein späterer Beitritt ist nicht ausgeschlossen.

Damit dürfte die Opposition im Europawahljahr das übliche Bild abgeben: Die CSU führt in Bayern eine knallharte Kampagne gegen die Aufnahme der Türkei, während die CDU im Rest der Republik unter dem Motto "Ja, aber ..." Bedenken äußert. Ihr Bundestagsabgeordneter Thomas Kossendey warnte sogar, daß "sich über 2,5 Millionen türkischstämmige Menschen in Deutschland aus unserem Kulturkreis ausgegrenzt fühlen" könnten.

Den Schaden hat der europäische Gedanke. Eine EU, die von Irland bis zur ukrainischen Ostgrenze und von Lappland bis nach Kurdistan reicht, ist weder zu steuern noch zu kontrollieren. Sie wird handlungsunfähig.


 
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