© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/03 12. September 2003

 
Neue Technologien: Psyche und Immunsystem
Traurig sein allein reicht nicht . . .
Angelika Willig

Was willst du zuerst hören, die gute oder die schlechte Nachricht?" heißt es oft in amerikanischen Serien. Also zuerst die gute: Eine heitere Seele unterstützt das Immunsystem und beugt körperlichen Krankheiten vor. Diesen Verdacht hatte man schon lange, nun legen Forscher der University of Wisconsin eine experimentelle Bestätigung vor. Veröffentlicht wurde die Untersuchung im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Science. Das Resultat hat in der Tat eine sehr amerikanische Note: "Don't worry, be happy!" Dann bleibst du automatisch gesund. Die "positive Einstellung" an einem neurologisch aufgepepptem Lügendetektor abzulesen, ist vielleicht nicht ganz unangreifbar. Aber tendenziell ist ein glücklicher Mensch auch für den Laien erkennbar. Und wenn der weniger Grippe bekommt, dann will das was heißen. Die Medizin ist gratis und für Alt und Jung gleichermaßen geeignet - was will man mehr?

Und nun die schlechte Nachricht: In der neuesten Ausgabe von Science hat ein Team von Forschern aus London, USA und Neuseeland ein Gen geortet, das 5-HTT heißt und für die Wirkungsweise von Neurotransmittern zuständig ist. Von diesem Gen gibt es zwei Versionen, die Kurz- und die Langversion. Beide treiben sich im menschlichen Genpool herum. Es kann homozygot auftreten, also entweder zweimal kurz oder zweimal lang, oder heterozygot, also einmal lang, einmal kurz. Zwanzig Jahre lang beobachteten die Forscher 847 Neuseeländer daraufhin, wie sie sich in den auftretenden Lebensschwierigkeiten verhielten. Insgesamt zeigten 133 Versuchsmenschen depressive Reaktionen. Schon das ist eine schlechte Nachricht, denn 16 Prozent sind eine Menge. Vor allem, wenn man sich unter Depression nicht schlechte Laune vorstellt, sondern wie hier vorausgesetzt eine ernsthafte Krankheit, die nur mit starken Medikamenten zu behandeln ist. Noch schlimmer ist aber die Tatsache, daß die Depressiven in der Mehrzahl Träger der Kurzversion von 5-HTT waren. Diejenigen, die von beiden Elternteilen die ungünstige Version hatten, wurden sogar zweieinhalbmal häufiger krank. Am anfälligsten waren die mit zusätzlichen Kindheitstraumata.

In den Serien haben gute und schlechte Nachricht meist nichts miteinander zu tun. So kann die gute die schlechte einigermaßen ausgleichen. Hier jedoch ist die positive Botschaft sogar dazu angetan, die negative noch erheblich zu verschlimmern. Denn zum seelischen Leiden kommt nun noch die Furcht, sich dadurch körperliche Krankheiten wie Krebs zuzuziehen. Und jeder Versuch, gegen die Ursache vorzugehen, ist zum Scheitern verurteilt, weil ja die Melancholie schon in den Genen liegt. Das dadurch entstehende Dilemma ähnelt jenen Spinnennetzen, in denen Depressive sich mit Vorliebe selbst zu fangen pflegen. Nur diesmal ist es empirisch belegt und wissenschaftlich bewiesen: Es gibt keinen Ausweg, und alles kann nur schlimmer werden.


 
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