© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/03 19. September 2003

 
Die Spirale des Terrors
Israel will Arafat ausweisen - Die Eskalation im Nahen Osten ist vorgezeichnet
Alexander Griesbach

Der Ausweisungsbeschluß der israelischen Regierung gegen Palästinenserpräsident Jassir Arafat scheint nicht zu den besonders durchdachten Entscheidungen der Regierung Scharon zu gehören. Dieser hat nicht nur Arafats Position in der arabischen Welt als "Märtyrer" zementiert, sondern Israel international in die Defensive gedrängt. US-Außenamtssprecher Richard Boucher sprach vorsichtig davon, daß eine Ausweisung "keine Lösung" sei. Das russische Außenministerium befürchtet eine "unkontrollierte Entwicklung" der Ereignisse. Die Europäische Union nannte den Beschluß einen "furchtbaren Fehler".

Alles dies interessiert israelische Regierungskreise nicht. Am Wochenende setzte Israels Vize-Ministerpräsident Ehud Olmert noch einen drauf, als er erklärte, die Tötung Arafats sei eine Möglichkeit, um ihn als Hindernis für den Frieden zu beseitigen. "Das ist", erwiderte der palästinensische Chef-Unterhändler Saeb Erekat, "die Denkweise und die Handlung der Mafia - und nicht einer Regierung." Israels Außenminister Silvan Schalom beeilte sich, Olmerts Mordphantasien zu relativieren. Eine Tötung, wie vom Vize-Regierungschef in Erwägung gezogen, sei "keine offizielle Politik der israelischen Regierung". Wirklich nicht?

Daß durch die Eliminierung Arafats die Selbstmordanschläge in Israel zurückgedrängt werden könnten, glaubt die Regierung wohl selbst nicht. Die Al-Aksa-Brigaden kündigten bereits "Anschläge überall in Israel" für den Fall an, daß der Beschluß des israelischen Sicherheitskabinetts Realität werden sollte. Was also bezweckt die Regierung Scharon mit ihrem Vorpreschen?

Zum einen steht hinter dem neuerlichen Versuch, Arafat politisch definitiv auszuschalten, wohl tatsächlich die Vorstellung, es käme zu einem Paradigmenwechsel im Umgang mit den Palästinensern. Die Ereignisse der vergangenen Tage, so steht in dem israelischen Regierungsbeschluß zur Ausweisung Arafats zu lesen, hätten wieder bekräftigt, daß Jassir Arafat ein entscheidendes Hindernis für jeglichen Prozeß einer Versöhnung zwischen Palästinensern sei.

Was diese abenteuerliche Fixierung auf Arafat bezweckt, liegt auf der Hand. Israel reklamiert für sich eine Art Generalabsolution für alles, was von jetzt an folgen wird. Einmal mehr sieht es so aus, als ob die "internationale Gemeinschaft" auf dieses Spiel hereinfällt. Was nur konsequent wäre, hat diese doch dem israelischen Treiben in den angeblichen palästinensischen Autonomiegebieten bislang schweigend zugesehen. Was in diesen Gebieten abläuft, hat der israelische Architekt Eyal Weizmann als "zivile Okkupation" bezeichnet, bei der Architektur, Archäologie und Verkehrssysteme zu Instrumenten und Waffen des Politischen werden. Die Geschichte dieser Okkupation beginnt mit dem israelischen Sieg im Sechstagekrieg von 1967. Seit dieser Zeit werden in palästinensischem Gebiet vom israelischen Staat generalstabsmäßig israelische Siedlungen auf Hügeln und Bergwipfeln wie Festungsanlagen errichtet. Diese Wehrdörfer, urteilt der Publizist Rudolf Ma-resch, begrenzten das Wachstum palästinensischer Ortschaften. Sie seien durch ein System von Schnellstraßen, Checkpoints, Brücken und Untertunnelungen untereinander, aber auch mit dem Kernland verbunden. Die jüdischen Enklaven zersiedelten und zerstückelten das Land, wodurch die Existenz eines künftigen unabhängigen und lebensfähigen Palästinenserstaates unmöglich gemacht werde.

Dieser Befund zeigt, was von dem ganzen rhetorischen Popanz um die sogenannte "road map" zu halten ist. Diese diente vor allem der Exkulpation Israels, das Gelegenheit bekam, vor aller Welt seine angebliche Dialogbereitschaft zu demonstrieren. Der gute Wille Israels, so will es die proisraelische Propaganda rund um die Welt, werde aber immer wieder durch gemeingefährliche palästinensische Terroristen konterkariert, die Israels guten Willen schamlos ausnutzten. Nichts ist hingegen davon zu hören, daß das Siedlungsprogramm in den Palästinenserreservaten immer weiterläuft und ein zentrales Motiv des palästinensischen Widerstandes darstellt.

Schon die Architektur dieser Siedlungen zeigt an, was bezweckt wird. Pars pro toto steht hier die Siedlung "Ariel" westlich von Nablus. Benannt nach dem heutigen Ministerpräsidenten Ariel Scharon, schiebt sie sich wie ein Keil zwischen arabische Dörfer und Städte und unterbindet dadurch jeden intensiven Handel und Verkehr zwischen diesen. Während die Siedler im Schutz großer Wälle über Autobahnen und Tunnelsysteme ihre Arbeitsplätze ansteuern, müssen die Palästinenser, wenn sie denn überhaupt noch eine Arbeit haben, oft stundenlange Anfahrtswege in Kauf nehmen, bei denen sie mehrmals angehalten, kontrolliert und am Weiterfahren gehindert werden.

"Israel muß die Siedlungsfrage lösen. Israel muß sicherstellen, daß die Palästinenser ein zusammenhängendes Gebiet bekommen, das sie ihre Heimat nennen können", verkündete US-Präsident George W. Bush im ägyptischen Badeort Scharm al-Scheich. Das sind nichts als leere Worte. Die Realität ist, daß Israel immer neue Fakten in Form von immer weiteren Siedlungen schafft. Inzwischen leben über 200.000 Siedler in fast 200 Siedlungen auf Palästinensergebiete. Dumpingpreise und günstige Kredite locken immer mehr in diese Landstriche. Es sind vor allem russische Emigranten, die es dorthin zieht.

Ein "Trennzaun" soll in Kürze die Ethnien voneinander trennen. "Aus menschenrechtlicher Sicht", so kommentierte die FAZ, "ein regelrechtes Schreckensszenario - für die palästinensische Seite". Die Felder und Plantagen vieler Palästinenser werden willkürlich durchpflügt, deren Bewegungsfreiheit eingeschränkt und außer Kraft gesetzt.

Alles dies läßt die jüdische Lobby, vor allem in den USA, unbeeindruckt. Bevor es zu einer Vereinbarung zwischen den verfeindeten Parteien kommen könnte, urteilte beispielsweise der einflußreiche US-Kolumnist Charles Krauthammer, müßten vor allem die Palästinenser Vorleistungen erbringen. Von einem Siedlungsstopp, einem Rückkehrrecht oder einem Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten ist keine Rede.

Lobbyismus und Parteinahmen ändern aber nichts daran, daß die Besiedelung dieser Gebiete durch Israel gegen geltendes Völkerrecht verstößt. Danach ist es Okkupationsmächten untersagt, Besiedlungen in den von ihnen besetzten Gebieten vorzunehmen. In einer Vielzahl von UN-Resolutionen ist Israel aufgefordert worden, dies zu unterlassen - bis heute ohne Erfolg.

Sagen wir es deutlich: Nicht Arafat ist das eigentliche Hindernis für eine Verständigung zwischen Palästinensern und Israelis, sondern Israel selbst.


 
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