© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/03 26. September 2003

 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Verstrickung
Karl Heinzen

Der 1989 verstorbene Historiker Martin Broszat ist ins Gerede gekommen. Es könnte nämlich sein, daß auch der langjährige Direktor des Instituts für Zeitgeschichte Mitglied der NSDAP gewesen ist. Angeblich soll die Aufnahme in die Partei unter der zugegebenermaßen recht hohen Nummer 9.994.096 zu Hitlers 55. Geburtstag am 20. April 1944 erfolgt sein.

Diskutiert wird nun, ob Martin Broszat diese Mitgliedschaft wirklich bekannt gewesen ist. Es sei doch möglich, so argumentieren einige Verteidiger, daß irgendein besonders eifriger Parteiaktivist seinen Namen ohne sein Wissen angegeben hätte, um durch möglichst viele Neuaufnahmen auf der Karriereleiter voranzukommen. Gerade so kurz vor dem sich abzeichnenden Ende des Regimes war ja besondere Eile angesagt, wenn man es noch schnell zu etwas bringen wollte. Vielleicht ist Martin Broszat aber sogar noch übler mitgespielt worden: Wer vermag auszuschließen, daß man schon damals jene NS-Gegnerschaft, die er später an den Tag legen würde, vorausahnte und ihn mit der diabolischen Absicht in die Partei aufnahm, seine Reputation nach dem Krieg herabzusetzen? In solchem Licht betrachtet, kann man froh sein, daß dieses schillernde Detail aus seiner Biographie nicht schon bekannt wurde, als er das Bild der Nachwelt über das Dritte Reich wesentlich mitgestaltete. Viele hätten dann wahrscheinlich gemeint, mit einer Kritik an diesem Mann Gutes zu tun, und wären doch nur einer perfiden List der Nazis auf den Leim gegangen.

Natürlich ist auch vorstellbar, daß der Aufnahmeantrag vom 7. Februar 1944 von Martin Broszat eigenhändig ausgefüllt worden ist, dies aber letztlich nicht freiwillig geschah. Als unterer Charge der Hitler-Jugend hatte er zwar seine Treue zum Führer nicht dauernd aufs neue unter Beweis zu stellen. Eine Verweigerung oder ein Zögern wäre aber vermutlich aufgefallen und hätte eventuell Einfluß auf die Art seiner Frontverwendung gehabt. So gesehen könnte der Aufnahmeantrag, da er sozusagen unter einem gewissen Gruppenzwang gestellt wurde, von vornherein als ungültig anzusehen sein. Martin Broszat wäre demnach, selbst wenn die Akten anderes aussagten, niemals Parteimitglied gewesen. Er hätte somit auch nie geschwiegen, weil es schlichtweg nichts zu verschweigen gab.

Martin Broszat ist dennoch nicht reinzuwaschen. Selbst wenn er kein Mitglied der NSDAP gewesen sein sollte, so war er doch ihr Zeitgenosse und damit irgendwie auch von dem Ungeist dieser Jahre geprägt. Daraufhin wird man seine Schriften kritisch lesen müssen. Die Hoffnung aber, daß neue Generationen von Historikern berufener über die NS-Ära urteilen könnten als jene, die in sie biographisch verstrickt waren, sollte man nicht aufkeimen lassen. Wer sich mit Geschichte befaßt, macht sich zum Zeitzeugen im Geiste und hält auch das wach, was er nicht wiederholt sehen möchte. Nur das Vergessen kann aus dieser Falle befreien - aber gerade dieses wollen wir ja verhindern.


 
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