© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/03 26. September 2003

 
Kein Grund für Heimatgefühle
Polen II: In der Zeitung "Rzeczpospolita" wird eine lebhafte Debatte um das geplante Zentrum gegen Vertreibungen geführt
Jaroslaw jot-Druzycki

Die Deutschen, meine Nachbarn" (Niemiec mój sasiad), so hieß zu-nächst ein Wettbewerb und anschließend ein zweisprachiges Buch, das im Vorjahr die Polen-Redaktion der Deutschen Welle und die liberale Tageszeitung Rzeczpospolita zur Überwindung von Stereotypen zwischen Polen und Deutschen herausgaben. Doch die gegenwärtige Diskussion in Polen über das geplante Berliner Zentrum gegen Vertreibungen zeigt deutlich, daß die nach 1990 verbesserten deutsch-polnischen Beziehungen äußerst fragil sind.

Obwohl das Thema Vertreibung seit drei Jahren in der Rzeczpospolita thematisiert wird, explodierte die Diskussion erst, als die Zeitung am 15. Juli einen Aufruf des SPD-Bundestagsabgeordneten Markus Meckel und anderer mitteleuropäischer Prominenter druckte: gegen ein Berliner und für ein "Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen, Zwangsaussiedlungen und Deportationen". Der Großteil der Rzeczpospolita-Artikel war anschließend von der Befürchtung dominiert, das Berliner Zentrum führe zu einer Relativierung der Geschichte und zu einer Fälschung des historischen Kontextes. Ursache der Vertreibung der Deutschen sei - außer der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges - das Potsdamer Abkommen von 1945, wo sie festgeschrieben wurde.

Der zweite Angriffspunkt war die BdV-Chefin Erika Steinbach selbst, die als CDU-Bundestagsabgeordnete den Grenzvertrag zwischen Polen und Deutschland abgelehnt habe. Der polnische Ex-Außenminister Wladyslaw Bartoszewski (ein Auschwitz-Häftling) schrieb, daß Steinbach, die als Kind zur "Evakuierung" gezwungen wurde, keinen Grund für Heimatgefühle gegenüber ihrem Geburtsort Rahmel/Rumia bei Gdingen/Gdynia haben könne. Im Gegensatz zu BdV-Funktionären wie Herbert Czaja, Herbert Hupka sowie Hartmut Koschyk stammten Steinbachs Eltern, so Bartoszewski, nicht von dort, sondern aus Hessen.

Aus diesem Gebiet (dem früheren Westpreußen) seien 1939 die Polen von den Deutschen vertrieben worden, also habe Steinbach keine Heimat verloren, denn sie sei im besetzten Polen als Tochter eines Unteroffiziers der Besatzungstruppen geboren worden, sekundierte Publizist Jerzy Haszczynski dem Minister. Staatspräsident Aleksander Kwasniewski erklärte, das Zentrum, das nur den deutschen Vertriebenen gewidmet sei und in Berlin plaziert werde, sei keine gute Idee, sondern risikoreich und versöhnungsschädlich.

Einen Aufschrei der Empörung löste die Berliner Journalistin Helga Hirsch aus, die in ihrem Rzeczpospolita-Beitrag die Frage stellte, ob denn das Leid einer deutschen Mutter, die ihren Sohn bei einem Bombenangriff in Swinemünde verloren hat, weniger wert sei als das einer polnischen, deren Sohn (als Mitglied der Untergrundbewegung) im Warschauer Gestapogefängnis Pawiak erschossen wurde. Dies sei ein Beispiel, wie man den geschichtlichen Kontext fälschen könne, entgegnete der polnische Publizist Piotr Semka. Seiner Meinung nach könne der Schmerz zwar gleich sein, die Hierarchisierung der Leiden erfolge jedoch aus der Geschichte eines jeden Volkes.

Auch die versöhnlich gemeinte Äußerung Erika Steinbachs letzte Woche in der Warschauer Rzeczpospolita-Redaktion, ohne Hitler hätte es die Vertreibung der Deutschen nicht gegeben, löste bei ihren polnischen Zuhörern nur die Reaktion aus, daß die Polen ohne Hitler auch nicht aus Lemberg vertrieben worden wären. Anders als in Steinbachs hessischer Heimat könne man dies aber erst seit dem Ende des Kommunismus in Polen laut sagen.


 
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