© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/03 10. Oktober 2003

 
Frisch gepresst

Kulturhistoriker. Zu den wenigen Werkstücken von DDR-Historikern, die man noch heute mit Gewinn studieren kann, zählt die 600-Seiten-Monographie des Leipzigers Hans Schleier, die er 1975 über "Die bürgerliche deutsche Geschichtsschreibung der Weimarer Republik" vorlegte. Obwohl wie üblich im Vorwort von der "Krise des imperialistischen Herrschaftssystems" die Rede war, über dessen Leiche der Honecker-Staat im Trabant-Tempo auf lichte Höhen der Menschheit braust, verkleisterte der Marxismus-Leninismus nicht Schleiers Optik. Immerhin entstand so ein wissenschaftsgeschichtliches Seitenstück zum zehn Jahre älteren Epos des Münchners Helmut Heiber über "Walter Frank und sein Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschland". Schleiers bewährter Sinn fürs Kompendiöse hat sich nach dem Mauerfall der Geschichte der Kulturgeschichtsschreibung zugewandt, dabei neudeutscher Hochkonjunktur der "Kulturwissenschaften" Rechnung tragend, die einer These Christoph Stedings zufolge immer dann im schönsten Flore stehen, wenn der Sinn fürs Politische schwindet. Schleiers erster Band, reichend von der Mitte des 18. Jahrhunderts, von Herder und dem vergessenen Adelung, über zahllose, bis ins biographische Detail erfaßte und liebevoll präsentierte Groß- (Wilhelm Heinrich Riehl) und Kleinmeister (bemerkenswert unter ihnen die "Kulturbiologisten und Sozialdarwinisten") fortschreitend bis zu den um 1890 aufbrechenden Kontroversen um Karl Lamprechts Riesenwerk, hat Handbuch-Format - nicht nur quantitativ (Geschichte der deutschen Kulturgeschichtsschreibung, Band I: Vom Ende des 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, 2 Teile, Verlag Hartmut Spenner, Waltrop 2003, 1191 Seiten, 68 Euro).

Günter Grass. Eine gute literarische Aufarbeitung liefert Klaus Petzold mit seiner - auch was den konformen DDR-Literaturbetrieb betrifft - erhellenden Auflistung von Essays und Artikeln von Gerhard Eisler, Stefan Heym und Heiner Müller und anderen, die die Rezeption des Werkes von Günter Grass in der DDR wiedergeben. Erst 1989 ließ Grass' Kritik an der Wiedervereinigung den Unbequemen bei Partei und "Kulturschaffenden" salonfähig werden (Günter Grass. Stimmen aus dem Leseland. Militzki Verlag, Leipzig 2003, 232 Seiten, gebunden, 19,90 Euro).