© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de 44/03 24. Oktober 2003
 


PRO&CONTRA
Braucht Europa die bemannte Raumfahrt?
Heinz-Hermann Koelle / Jorge Soley Climent

Nachdem Rußland 1961 als erste Nation in die bemannte Raumfahrt eingestiegen ist, die Vereinigten Staaten von Amerika kurz danach folgten, ist nun China die dritte Nation, die nicht ohne Stolz bewiesen hat, daß sie aus eigener Kraft Menschen in den Weltraum schicken kann. Die Chinesen haben auch erklärt, daß sie nicht nur eine eigene Raumstation bauen, sondern sich an der Erforschung des Mondes beteiligen wollen. Der Grund ist wohl in erster Linie ein politischer, man möchte mit den anderen Weltmächten gleichziehen sowie an der modernen technischen Entwicklung teilnehmen.

Europa hat sich mit der Raumfahrt immer schwergetan, obwohl es am Anfang des 20. Jahrhunderts die Pionierarbeit dazu gemacht hat. Der Pioniergeist Europas ist derzeit nicht zu erkennen. Es gab in den achtziger Jahren zwar Pläne, eine eigene Raumstation "Columbus" zu bauen und mit einem eigenen Raumtransportsystem Ariane/Hermes zu versorgen, davon ist aber nur ein kleines Modul für die Internationale Raumstation (ISS) übriggeblieben, das allerdings immer noch den Namen Columbus trägt. Der bisherige Beitrag Europas zur Entwicklung der bemannten Raumfahrt ist fast vernachlässigbar und steht in keinem Verhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung Europas. Es besteht ein echter Nachholbedarf, der befriedigt werden muß, wenn Europa nicht den Anschluß an die technische Entwicklung verlieren will.

Wenn Europa den Mut hat, die Initiative für neuere Entwicklungen im Bereich der bemannten Raumfahrt zu ergreifen, die über die bisherigen Pläne hinausgehen, würde dies vom eigenen Volk und der öffentlichen Weltmeinung vermutlich anerkannt und honoriert werden. Eine maßgebliche Beteiligung an der künftigen Entwicklungen würde die politische Bedeutung Europas deutlich erhöhen und an die Leistungen anderer Raumfahrt-Länder anschließen.

Prof. Dr. Heinz-Hermann Koelle ist Raumfahrtpionier. Er arbeitete mit Wernher von Braun am Saturn- und Apolloprogramm der Nasa und lehrte dann 30 Jahre am Lehrstuhl für Weltraumforschung an der Freien Universität in Berlin.

 

 

Das Rennen um die Eroberung und Kontrolle des Weltraums ist alles andere als ein Kinderspiel. Die Beteiligung an diesem Wettlauf erfordert eine Vision und eine Entschlossenheit, über die Europa heute bei weitem nicht verfügt. Das Ausmaß der dazu notwendigen Mittel, ihre Koordinierung Mittel, die Balance zwischen militärischem und zivilen Budget - all dies erfordert einen entschiedenen Willen, der alle Anstrengungen in eine einzige Richtung leitet. Die USA haben einen solchen Willen, China ebenfalls, Europa hat ihn nicht.

Wie will eine politische Organisation, die sich wiederholt als unfähig erwiesen hat, in internationalen Krisen gemeinsame Front zu machen, ein erfolgreiches Raumfahrtprogramm betreiben? Eine Außenpolitik hat die Europäischen Union ganz einfach nicht. Was sie hat, ist eine französische und eine deutsche Außenpolitik, die mit der Außenpolitik der eher "atlantisch" ausgerichteten Staaten wie Großbritannien, Niederlande, Italien und Spanien wenig gemein haben. Überdies spiegelt der Mangel an äußerer Geschlossenheit die innere Zerrissenheit Europas wider. Die Ausradierung von Grenzen und die Währungsunion haben nicht ausgereicht, um einen gemeinsamen Willen der Europäer herzustellen. Europa sollte damit beginnen, in seinem Inneren für Ordnung zu sorgen, bevor es sich in den Weltraum begibt!

Zumal das amerikanische Weltraum-Budget viermal so groß ist wie das europäische, scheint es illusorisch, mit den USA in Konkurrenz treten zu wollen. Realistisch gesehen folgt aus diesen Erwägungen, daß Europa sich zwischen zwei Alternativen entscheiden muß: entweder die Kollaboration mit den USA oder aber die Schaffung eines riesigen eurasischen Machtkomplexes, in dem die Europäische Union und Rußland am selben Strang ziehen. Die erste Lösung bedeutet eine gewisse Unterordnung und Abhängigkeit; die zweite, daß die Identitätsprobleme gelöst werden, die Europa derzeit lähmen.

Prof. Dr. Jorge Soley Climent ist Lehrstuhlinhaber für Internationale Beziehungen an der Universität in Barcelona.


 
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