© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/03 07. November 2003

Nur die Geschäfte laufen reibungslos
Irak: Ein halbes Jahr nach dem offiziellen Kriegsende versinkt das Land zunehmend in Chaos und Terror / Ist Saddam der Drahtzieher der Anschläge?
Alexander Griesbach

Es sind keine guten Zeiten, die die US-Besatzer derzeit im Irak durchleben müssen. Deren Bemühungen, zumindest den Anschein zu erwecken, eine erfolgreiche Befriedung des Iraks sei möglich, haben nach einer Serie von Raketenangriffen und Autobomben-Attentaten einen massiven Rückschlag erlitten. Zuletzt wurde sogar ein US-Hubschrauber vom Himmel geholt. Die Amerikaner glauben zu wissen, wer hinter allen diesen Anschlägen steckt. Der ehemalige irakische Machthaber Saddam Hussein soll der Drahtzieher sein. Angeblich gibt es Geheimdienstberichte, aus denen hervorgehen soll, daß Saddam den Widerstand "irgendwie" anstachele oder fördere. Saddam, der Mann mit den magischen Fähigkeiten. Wie er es "irgendwie" immer wieder hinkriegt, die einzige Supermacht zu düpieren, ist schon erstaunlich. Was die USA auch unternehmen, Saddam ist - ähnlich wie der "Terrorfürst" Osama bin Laden - nicht zu fassen.

Mit dem Ex-Diktator operieren angeblich ehemalige Angehörige der inzwischen verbotenen Baath-Partei. Sie versuchten, so meint jedenfalls US-Präsident George W. Bush, "Chaos und Angst zu schaffen, weil ihnen bewußt ist, daß ein freier Irak ihnen die umfassenden Privilegien versagt, die sie unter Saddam Hussein hatten". So lautet die einfache Antwort von Bush auf die Frage, warum im Irak einfach keine Ruhe einkehren will. Dieser allzu wohlfeilen Sichtweise seines Präsidenten hat US-Außenminister Colin Powell am Wochenende ausdrücklich widersprochen. Seiner Ansicht nach steht Ex-Diktator Saddam Hussein nicht hinter den Anschlägen in Irak. Hussein verwende seine Zeit hauptsächlich darauf, nicht festgenommen zu werden, sagte Powell. "Ich weiß nicht, wo er steckt oder was er tut, aber wir haben wirklich keine Belege für die Behauptung, daß er die Strippen zieht", betonte Powell gegenüber dem amerikanischen TV-Sender ABC. Mit seiner Auffassung steht Powell innerhalb der US-Regierung allerdings mehr oder weniger alleine dar.

Der innenpolitische Druck auf Bush erhöht sich ständig

Bush ist sich sicher, daß es sich bei den Anschlägen im Irak um "Verzweiflungstaten für eine verlorene Sache" handelt. "Je mehr Erfolg wir im Irak haben, desto mehr werden diese Killer reagieren. Je mehr Erfolg wir haben, je freier die Iraker werden, je mehr Elektrizität zur Verfügung steht, je mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, je mehr Kinder zur Schule gehen, desto verzweifelter werden diese Mörder werden, denn sie können den Gedanken einer freien Gesellschaft nicht ertragen."

Keinen Grund zum Optimismus sehen hingegen die Vertreter der oppositionellen US-Demokraten. Deren Präsidentschaftskandidat John Kerry erklärte: "Glaubt der Präsident wirklich, daß sich Selbstmordattentäter in die Luft sprengen, weil wir die Elektrizitätsversorgung wiederhergestellt und Jobs für die Iraker geschaffen haben?" Viel Zeit bleibt der US-Regierung nicht mehr. Der Widerstand muß spätestens in einem halben Jahr gebrochen sein. Gelingt dies nicht, könnten sich breite Bevölkerungskreise dem Widerstand anschließen. Diese Befürchtungen wurden am Wochenende bestätigt, werden doch in Bagdad Flugblätter verteilt, in denen zu einem "Tag des Widerstandes" bzw. zu einem dreitägigen Generalstreik aufgerufen wird.

Keine Frage: Die Regierung Bush steht unter einem erheblichen Druck. Die Kriegsgründe, die sie ins Feld geführt hat, nimmt ihr keiner mehr ab. Und die Befreiung des Iraks droht - vor allem in Bagdad - im Sprengstoffhagel unterzugehen. Die US-Propaganda reagiert darauf auf ihre eigene Art und Weise. Von Fall zu Fall werden der staunenden Welt fristgerecht Videobänder vorgeführt, die entweder die Verwerflichkeit eines Osama bin Laden oder eines Saddam Hussein unterstreichen sollen. Am Mittwoch und Donnerstag vergangener Woche war es wieder soweit. Der regierungsfreundliche US-Sender Fox News strahlte ein 23minütiges Band aus, auf dem Saddam-Milizen bei der Folter gezeigt werden. Fedajin des ehemaligen irakischen Diktators hacken oder schießen sich durch ihre Opfer, schneiden Zungenspitzen ab und brechen mit Holzknüppeln Handgelenke. Ein Mann wird aus einem mehrstöckigen Gebäude geworfen. Als schauriger Höhepunkt wird eine Exekution gezeigt. Wie immer bei derartigen Videos ist auch dieses Band von äußerst schlechter Qualität. Die gefilmten Szenen finden auf öffentlichen Plätzen und Militäranlagen statt. Wie der Sender an diese Aufnahmen gelangte, verrät er nicht. Das Band sei im April des Jahres in Bagdad US-Soldaten überreicht worden, erklärte ein Mitarbeiter des Senders. Natürlich hegen die US-Militärexperten dem Sender zufolge "kaum Zweifel" an der Authentizität. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erklärte auf einer Pressekonferenz, er sei zwar nicht sicher, ob er das Band überhaupt gesehen habe. Dennoch bewertet er derartige Videos als wertvolle Informationsquelle. "Wenn man sieht, wie Leute vor applaudierenden Schaulustigen filmen, wie Menschen anderen den Kopf abhacken, Finger und Hände abschneiden und sie von dreistöckigen Häusern werfen, erfährt man einiges über diese Gruppe von Leuten und wie sie leben und Menschen behandeln." Wohl auch deshalb hat US-Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz die Veröffentlichung der Bänder ausdrücklich gefordert. Er erhofft sich offensichtlich entsprechende volkspädagogische Effekte. Die Welt - und insbesondere die bröckelnde Heimatfront - soll wissen, gegen was für Unholde die USA Krieg geführt haben und immer noch führen.

Wolfowitz' PR-Tour hätte ihn fast das Leben gekostet

Stichwort Wolfowitz. Der Raketenangriff auf das Bagdader Raschid-Hotel, in dem Wolfowitz untergebracht war, war der Höhepunkt einer ganzen Serie von Terrorangriffen auf einer Reise, die den Vize-Verteidigungsminister unter anderem nach Kirkuk und in Saddam Husseins Heimatstadt Tikrit führte. Wolfowitz besuchte im Rahmen seiner Reise bewußt irakische Polizeistationen und US-Basen, um zu demonstrieren, daß die Iraker immer mehr Polizeifunktionen im Land selbst in die Hand bekämen. Die US-Medien unterstützten Wolfowitz' Propagandatour. Die New York Times verstieg sich gar zu der Schlagzeile: "Wolfowitz jubelt im Irak und wird bejubelt".

Der angebliche Jubel um Wolfowitz verstummte spätestens mit dem Angriff auf das Raschid-Hotel. Es war der erste ernste Terrorangriff auf eine US-Einrichtung in der sogenannten "grünen Zone". So wird jene schwer bewachte und verbarrikadierte Enklave im Zentrum von Bagdad genannt, zu der normalsterbliche Iraker keinen Zugang haben. Hier liegt die Zentrale der US-Besatzer: Einmal der Republikanische Palast, das Hauptquartier von US-Zivilverwalter Paul Bremer und seinen wichtigsten Helfern. Zum anderen das Gebäude, in dem die Büros des irakischen Regierungsrats untergebracht sind. Und schließlich das Hotel Al Raschid, das augenfälligste Symbol der US-Besatzung. Wolfowitz war zum Zeitpunkt des Anschlages Ehrengast im Hotel. Eine der Raketen schlug in dem Stockwerk unterhalb seines Zimmers ein, was vermuten läßt, daß die Angreifer über intime Kenntnisse verfügten. Der Vizeverteidigungsminister kam nur knapp mit dem Leben davon.

Inzwischen gibt es gesicherte Kenntnis darüber, wie die Terroristen vorgingen. Das von einer hohen Betonmauer umgebene Al Raschid gehört zu den bestgesicherten Gebäuden von Bagdad. Die Terroristen überwanden die Verteidigungsanlagen, indem sie eine improvisierte Raketenbatterie bastelten, die sie in der Attrappe eines mobilen Stromgenerators verbargen. Sie schafften den Raketenwerfer bis auf 150 Meter an das Hotel heran. Dieser wurde so programmiert, daß er kurz nach sechs Uhr morgens seine Geschosse abfeuerte. Acht bis zehn 68mm- und 85mm-Luft-Boden-Raketen, die sonst von Hubschraubern abgefeuert werden, trafen das Hotel, töteten einen US-Oberst und verwundeten siebzehn weitere US-Militärs.

Dieser Anschlag hat bei der US-Regierung Spuren hinterlassen. Colin Powell räumte in einem Interview ein, die US-Regierung habe keinen "so intensiven und so langen" Widerstand der Iraker erwartet. Paul Bremer gab zu, daß die Terroristen immer raffinierter vorgingen. Er unterstrich aber, daß die Anschläge nicht auf eine grundsätzliche Opposition der irakischen Bevölkerung schließen ließen. Der US-Zivilverwalter tat die Angriffe als Werk von "Mördern" ab, die er in Anhänger von Saddam Hussein, einfache Kriminelle und ausländische Terroristen unterteilte.

Der Rauch der Anschläge hatte sich kaum verzogen, als einige US-Militärsprecher und Mitglieder des US-gestützten Regierungsrats Terroristen aus Syrien und dem Iran verantwortlich zu machen versuchten. Brigadegeneral Ahmed Ibrahim, der stellvertretende Innenminister, erklärte, daß ein Attentäter, der erschossen worden war, einen syrischen Paß bei sich getragen habe. Später betonte US-Brigadegeneral Mark Hertling auf einer Pressekonferenz: "Wir hatten bisher noch keine Angriffe, die wir ausländischen Kämpfern zuschreiben konnten. Heute haben wir sie." Diesen Behauptungen widersprachen andere US-Militärvertreter. Generalmajor Raymond Odierno, Kommandeur der 4. Infanteriedivision der US-Armee, unterstrich, daß ausländische Kämpfer nur einen sehr, sehr kleinen Teil des Widerstands ausmachten. Brigadegeneral Martin Dempsey, Kommandeur der 1. gepanzerten Division, die für die Sicherheit von Bagdad verantwortlich ist, sagte am Sonntag: "Wir können keinen Zustrom ausländischer Kämpfer in Bagdad bestätigen."

Nur noch wenige Iraker sehen in den USA ihre Befreier

Die Aktivitäten der US-Regierung, die Operationen zur Aufstandsbekämpfung zu verstärken, haben seit dem Angriff auf Wolfowitz deutlich zugenommen. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld eröffnete die Kampagne, als er "entschlossenere Maßnahmen" im Irak einforderte. Was Rumsfeld hiermit genau meinte, war einem langen Gastkommentar in der Washington Post zu entnehmen. Die Kolumne stammte von zwei Autoren, die gute Beziehungen zu den Kriegsbefürwortern Rumsfeld, Wolfowitz und Perle haben. Tom Donelly, einer der Autoren, ist beim American Enterprise Institute beschäftigt. Gary Schmitt, der andere Autor, ist Direktor des Project for a New American Century (Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert).

Beide Autoren fordern, daß der irakische Widerstand "entscheidend besiegt werden" müsse. Sie verweisen auf das Beispiel Vietnam, wo "klassische Aufstandsbekämpfungsstrategien und -taktiken" erfolgreich gewesen wären, wenn genügend Zeit und Mittel investiert worden wären. "Im Irak würde das bedeuten, daß Koalitionstruppen, unterstützt von neu ausgebildeten irakischen Polizisten und Soldaten, massiv in ein bestimmtes Gebiet einfallen, um Aufständische und ihre unterstützende Infrastruktur zu entwurzeln. (...) Eine erfolgreiche Aufstandsbekämpfung würde von den amerikanischen Bodentruppen Aufgaben und Operationen verlangen, die das heutige 'sich reformierende' Militär, das Soldaten zunehmend durch Feuerkraft ersetzt, nur schwer erfüllen kann."

In diese Richtung dachte wohl Bremer, als er ankündigte, bis September kommenden Jahres mehr als 200.000 irakische Soldaten aufstellen zu wollen. Bislang seien, so Bremer, etwa 50.000 irakische Polizisten im Einsatz. Bremer betonte, wichtig sei es jetzt, die Iraker zu ermutigen, sich verstärkt für die Sicherheit ihres Landes einzusetzen.

Wie distanziert die Iraker den US-Besatzern gegenüberstehen, zeigt eine Umfrage, die vor kurzem von dem privat finanzierten Irakischen Zentrum für Forschung und strategische Studien veröffentlicht wurde. Ein Ergebnis: Mehr als 60 Prozent der Iraker hätten wenig oder kein Vertrauen darin, daß die US-Truppen und ihre Verbündeten ihre Sicherheit verbesserten. Der Prozentsatz von Irakern, die die Amerikaner als Befreier ansähen, sei in den letzten sechs Monaten von 43 Prozent auf 14,8 Prozent zurückgegangen.

Die Iraker haben alle Gründe, den Ambitionen der Amerikaner mit Mißtrauen zu begegnen. Allzu offensichtlich fällt die Vetternwirtschaft ins Auge, der die Regierung Bush den Weg bereitet. So bei der Vergabe von Aufträgen für den Wiederaufbau des Iraks. Die Vorstandsmitglieder derjenigen Unternehmen, die die lukrativsten Aufträge erhielten, unterhalten enge Verbindungen zu Politik und Militär. Zu Bushs Wahlkampf 2000 steuerten sie eine erkleckliche Summe bei. Eine Investition, die sich nun auszahlt. Die meisten der zehn größten Aufträge in Irak und Afghanistan sind einer Studie zufolge an Unternehmen gegangen, bei denen frühere ranghohe Regierungsbeamte beschäftigt oder Vorstände mit engen Verbindungen zu Kongreßmitgliedern installiert sind. "Es gibt keine einzelne Behörde, die die Auftragsvergabe für die Regierung überwacht hätte", sagte der Direktor des Washingtoner Zentrums für öffentliche Integrität, Charles Lewis, der die Studie letzte Woche vorstellte. "Dies allein zeigt, wie anfällig das System für Verschwendung, Betrug und Vetternwirtschaft ist."

Daß die Aufträge nicht offiziell ausgeschrieben worden seien, rechtfertigten die Behörden mit einem simplen Argument: Eine Ausschreibung hätte zu viel Zeit in Anspruch genommen. Zuweilen verfügten die Manager auch über direkte Drähte zu denjenigen Behörden, die die Aufträge vergäben.

Immer wieder fällt in diesem Zusammenhang der Name Halliburton. Die größten Aufträge im Umfang von 2,3 Milliarden Dollar erhielt ein Halliburton-Tochterunternehmen. Dieses unterstützt die US-Armee logistisch und soll die irakische Ölindustrie wiederaufbauen. Bis zum Jahr 2000 stand an der Spitze dieses Konzern ein heute nicht ganz unbekannter US-Politiker: nämlich Dick Cheney, der amtierende Vizepräsident der USA.


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