© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/03 14. November 2003

"Sie werden bleiben"
Frankreich: Innenminister Sarkozy hat ein verschärftes Einwanderungsgesetz durchgesetzt / Kritik von linker und rechter Seite
Charles Brant

Das französische Parlament hat gegen die Stimmen der rot-grünen Opposition verschiedene Maßnahmen verabschiedet, um der Einwanderung aus Nicht-EU-Ländern besser Herr zu werden. Die neue Gesetzgebung soll das Volk beruhigen, ist aber das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt ist. Zum selben Zeitpunkt empfiehlt der Wirtschafts- und Sozialrat, die Einwanderung "anzukurbeln".

Innenminister Nicolas Sarkozy von der bürgerlichen Sammlungspartei UMP, der sich mit seiner Politik der Volksberuhigung zum Liebling der Franzosen gemacht hat, bleibt dieser Linie treu. Er kündigte nicht nur seine Absicht an, jährlich dreißig- bis vierzigtausend Illegale in ihre Herkunftsländer abzuschieben, sondern setzte am Dienstag, dem 28. Oktober, im Parlament einige Vorschläge durch, die seiner Ansicht nach die französischen Gesetze "verstärken" werden. Die neuen Regelungen, die in den Medien und von Vertretern "antirassistischer" Organisationen als "Verschärfung" des Einwanderungsgesetzes dargestellt werden, stoßen besonders bei der Sozialistischen Partei (PS) auf Kritik. Von einem Gesetzestext "gegen die Einwanderung" ist die Rede und davon, den Verfassungsrat anrufen zu wollen.

Beobachtungshaft für illegale Ausländer

In Wirklichkeit revidiert das neue Gesetz lediglich gewisse Bestimmungen, die fast sechs Jahrzehnte alt sind. Hauptsächlich beinhaltet es Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Um Betrug zu verhindern, sollen Touristenvisa strengstens kontrolliert werden. Bei Visaanträgen und Grenzkontrollen werden Dateien mit Fingerabdrücken und Fotografien erstellt. Davon ausgenommen bleiben Bürger der Europäischen Union, Islands, Norwegens, Liechtensteins sowie der Schweiz.

Die "Beobachtungshaft zur Klärung der rechtlichen Lage eines Ausländers" soll in Zukunft 32 Tage dauern können statt wie bisher zwölf. Die Berufungsfrist gegen Abschiebungen wird von 48 auf 78 Stunden verlängert. Vorgesehen ist weiterhin die Einrichtung einer Überwachungskommission für Auffanglager. Gerichte sollen die Möglichkeit haben, Verhandlungen in Häfen, Bahnhöfen und Flughäfen abzuhalten. Bürgermeister dürfen nun die Ausstellung einer Unterkunftsbescheinigung verweigern.

Die zehnjährige Aufenthaltsgenehmigung, die Ausländer früher nach drei Jahren bekamen, wird von nun an erst nach fünf Jahren und unter der Bedingung einer "gelungenen Integration" bewilligt. Dasselbe gilt für nachgezogene Familienangehörige: Die Aufenthaltsgenehmigung wird nicht mehr automatisch erteilt, sondern erst, wenn der Antragsteller nachweisen kann, seit mindestens zwei Jahren in Frankreich wohnhaft zu sein und sich "befriedigend integriert" zu haben. Das neue Einwanderungsgesetz sieht härtere Strafen gegen Schleuser vor, die sich des Verstoßes gegen die Menschenwürde, des Schmuggels Minderjähriger oder des Mißbrauchs von Sicherheitsausweisen in Häfen und Flughäfen schuldig machen. Die Kosten für die Abschiebung eines Illegalen soll künftig sein französischer Arbeitgeber tragen. "Scheinehen" können mit 15.000 Euro und bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden - und sogar zehn Jahren bei organisierter Kriminalität.

Um diese "Strenge" auszugleichen, macht das neue Gesetz reichlich Zugeständnisse an das, was Sarkozy als "die Menschlichkeit" bezeichnet. Ausländer, deren Kinder die französische Staatsbürgerschaft haben, bekommen eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn sie seit mindestens zwei Jahren der Versorgungspflicht für diese Kinder nachkommen. Straffällige Ausländer, die in Frankreich geboren wurden oder seit ihrer Kindheit (vor dem 13. Lebensjahr) dort leben, können nicht mehr ausgewiesen werden - ebensowenig wie solche, die seit über zehn Jahren in Frankreich leben oder dort eine Familie gegründet haben.

Die einzigen Ausnahmen bilden terroristische Handlungen, Verbrechen gegen den Staat oder der Aufruf zu rassistisch oder religiös begründetem Haß. Der Erwerb der französischen Staatsbürgerschaft wird vereinfacht: Auch Vorbestrafte können sie beantragen. Nur wer sich einer terroristischen Handlung schuldig macht, kann die Staatsbürgerschaft wieder entzogen bekommen.

Diese Maßnahmen sind nicht nur in sich widersprüchlich, sie kommen auch zu spät. Manches ist gewiß vernünftig, vorausgesetzt es wird auch so umgesetzt. Insgesamt geht es weniger um "Eindämmung" - der Vorschlag einer Quotenregelung ist vorerst vom Tisch - als darum, dem Volk etwas vorzumachen. Das Einwanderungsthema ist in Frankreich seit langem mit einem politischen Tabu belegt. Dies begreiflich zu machen, erfordert eine Rückbesinnung auf die Tatsache, daß die Einwanderung - insbesondere die Einwanderung aus den maghrebinischen Ländern - ursprünglich von staatlicher Seite bewußt vorangetrieben wurde. Der Zustrom geringqualifizierter Billigarbeitskräfte begann in den fünfziger Jahren, um dem Bedarf der Automobilindustrie, des Tagebaus, der Bauwirtschaft und des öffentlichen Sektors nachzukommen.

Dramatische Situation in den Vorstadtsiedlungen

Unter dem christlich-liberalen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing kam es in den siebziger Jahren zum entscheidenden Kurswechsel. Die Rolle, die der damalige neogaullistische Premier Jacques Chirac dabei spielte, darf nicht unterschätzt werden. Per Dekret verfügte seine Regierung 1976 die "Familienzusammenführung", mit der die Einwanderung einen dauerhaften Charakter erhielt. Am 10. November 1977 setzte die rechtsbürgerliche Regierung von Raymond Barre diese Regelung teilweise aus. Diese Maßnahme wurde ein Jahr später vom Staatsrat, dem obersten Verwaltungsgericht, annulliert.

Andere Bestimmungen wirkten als zusätzliche Anreize: die zehnjährige Aufenthaltsgenehmigung, das Kindergeld, die automatische Vergabe der französischen Staatsbürgerschaft an in Frankreich geborene Einwandererkinder. Nachdem am 10. Mai 1981 die Linke an die Macht gekommen war, zog diese Entwicklung noch einmal kräftig an. Noch am Ende desselben Jahres fand die erste Aktion zur Versorgung illegaler Einwanderer mit regulären Dokumenten statt. In bezug auf die Einwanderer formulierte der Sozialist François Mitterrand den berühmten Satz: "Unsere Heimat ist ihre Heimat."

Drei Jahre später rief die sozialistische Sozialministerin Georgina Dufoix die Aktion "Vivre ensemble" ("Zusammenleben") ins Leben. Gérard Fuchs, von 1984 bis 1986 Vorsitzender der zuständigen Behörde, widmete den Zuwanderern 1987 ein Werk mit dem bezeichnenden Titel "Ils resteront" ("Sie werden bleiben"). Als die bürgerliche Rechte 1988 an die Regierung zurückkehrte, bemühte sie sich, eine Diskussion über die Reform des Staatsbürgerschaftsgesetzes in Gang zu bringen, was aber schließlich zu einer Bestätigung des Bodenrechtsprinzips gegenüber dem Blutrecht führte. Im Laufe dieser Periode gab es immer wieder Versuche, die Probleme der Einwanderung zu thematisieren. Jedesmal wurde die Debatte im Keim erstickt. Diejenigen, die Einwände zu äußern wagten, wurden - von Giscard d'Estaing bis zum Front-National-Chef Jean-Marie Le Pen - öffentlich geächtet. Statt dessen wurde die Einwanderung als unumgängliche Notwendigkeit und als "Chance für Frankreich" dargestellt. Letztere Floskel stammt von Bernard Stasi, der heute der Laizismus-Kommission vorsitzt, die sich im Auftrag von Präsident Chirac mit der Frage der Verschleierung islamischer Frauen befassen soll.

Man kann sich fragen, welche historischen Ursachen diesem parteiübergreifenden Konsens der französischen Eliten zugrunde liegen. Seine Konsequenzen jedenfalls sind nicht zu übersehen. Frankreich hat eine bewußte Einwanderungspolitik betrieben, ohne daß man das jemals hätte offen sagen dürfen. Die Folge war eine forcierte Einwanderung, bei der das französische Volk nie nach seiner Meinung gefragt wurde.

Heute leben in Frankreich schon fünf Millionen Muslime. Täglich ist das Land mit den Schwierigkeiten des "Zusammenlebens", des islamischen Fanatismus, der zunehmenden Kriminalität konfrontiert. Die Regierenden klagen unermüdlich über die Lage in den "Vorstadtsiedlungen" und die unzureichende Integration, öffnen die Tore aber immer weiter.

Zum selben Zeitpunkt, da das Parlament die von Sarkozy vorgeschlagenen Gesetzesänderungen annahm, veröffentlichte der Wirtschafts- und Sozialrat - ein Beratungsgremium, das sich hauptsächlich aus Vertretern der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften zusammensetzt - einen Bericht, der für die Wiederaufnahme einer "gesteuerten und planmäßigen Einwanderung" plädiert.

Die demographische Überalterung Frankreichs und der "zukünftige Mangel an qualifizierten Arbeitskräfte" werden angeführt, um eine jährliche Steigerung der Einwanderungsrate um 10.000 Personen zu fordern. 2010 sollen 150.000 erreicht werden, bis 2020 will man diese Zahl möglichst stabil halten. Der Bericht schlägt sogar vor, ohne Rücksicht auf ihren Ausbildungsstand Nicht-Europäern eine "legale Einreise" zu ermöglichen, die in Frankreich Arbeit suchen oder ihre beruflichen Qualifikationen verbessern wollen. Nach dem Willen der Kommission sollen Ausländer auch im öffentlichen Dienst arbeiten dürfen, Arbeitnehmer ohne Aufenthaltsgenehmigung eine solche erhalten, um eine Ausweitung der Schwarzarbeit zu verhindern, und Einbürgerungen erleichtert werden, da das Verfahren "derzeit langwierig und häufig abschreckend" sei.

Trend geht eindeutig zur "Orientalisierung"

Die Elite der "Grande Nation" sieht Demographie und Einwanderung nur als eine Frage der Statistik: Individuen werden addiert, ohne ihre Fähigkeiten und kulturelle Kompatibilität zu berücksichtigen. Die Folgen machen sich überall bemerkbar. Daß Frankreich seinen Namen von den Franken hat, gerät in Vergessenheit. Der Trend geht eindeutig zur "Orientalisierung". Der Beginn des Fastenmonats Ramadan wurde auf sämtlichen Fernsehsendern ausgestrahlt, und Außenminister Dominique de Villepin hat Frankreich bereits zur "Mischlingsnation" erklärt. Der PS-Politiker Malek Bouthi pflichtete ihm bei und meinte, man müsse "zulassen, daß sich die Republik vermischt". In fünfzig Jahren werden Zeitgeschichtler sich wundern, zu welchen Mitteln der Staat greifen mußte, um den Franzosen die Einwanderung aufzuzwingen. Den aufgeweckteren unter ihnen wird nicht entgehen, daß die forcierte Einwanderung - die der Freiheit der einen wie der anderen widerspricht - ein Erbe des Jakobinismus wie des sowjetisch geprägten Sozialismus ist.

Die einzigen Gegenstimmen kommen von den Bevölkerungswissenschaftlern Jacques Dupâquier und Yves-Marie Laulan. In einem Gastbeitrag, der am 30. Oktober im Le Figaro erschien, taten sie ihr Entsetzen darüber kund, daß Frankreich immer mehr Hochqualifizierte exportiert und immer mehr Geringqualifizierte importiert. Sie werfen den Verantwortlichen unverantwort-
liche Gleichgültigkeit gegenüber allen demographischen Vorhersagen vor und warnen, daß die Einwanderer und ihre Nachkommen schon 2030 24 Prozent der französischen Bevölkerung und 42 Prozent der Geburten ausmachen könnten.


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