© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/03 21. November 2003

Frisch gepresst

Schmitt&Habermas. Auch Bücher zu Leben und Werk von Klassikern wie Carl Schmitt teilen das Schicksal jeder Form wissenschaftlicher "Sekundärliteratur": Der Leserkreis, den sie erreichen, bleibt überschaubar. Wenn es eine Studie aus diesem Genre daher zur seltenen Zweitauflage bringt, verdankt sie dies zumeist didaktischen Qualitäten, wie sie ein nach "leicht verständlichen" Einführungen lechzendes Studentenpublikum zu schätzen weiß. Hartmuth Becker muß es also gelungen sein, mit seiner Arbeit "Die Parlamentaris-muskritik bei Carl Schmitt und Jürgen Habermas" (2. Auflage mit einer neuen Vorbemerkung, Duncker&Humblot, Berlin 2003, 174 Seiten, 38 Euro) diese breitere Nutzerschicht anzusprechen. In der Tat beherrscht Becker die Kunst, auf knapp sechzig Seiten Schmitts Demokratiekritik aus Weimarer Zeiten in bestechender Klarheit nachzuzeichnen und deutlich zu machen, welchen Einfluß der nach 1945 in die innere Emigration verbannte Staatsrechtler auf den jungen Habermas nehmen konnte. Dessen spätere wütende Distanzierung von Schmitt und die Hinwendung zur wirklichkeitsfernen, kaum mehr als "ein Achselzucken" verdienenden politischen Theorie des "normativen Vernunftkonsens" (Günter Maschke), so lautet Beckers plausible und gut belegte These, sei die "Reversseite seiner stillschweigenden" Abkehr von Karl Marx, der ihm in Marburg von dem Sozialisten Wolfgang Abendroth vermittelt wurde. Den wieder modischen, an Habermas angelehnten moralisierenden Verdammungen Schmitts hält Becker darum mit guten Gründen entgegen: "Man beginnt zu ahnen, daß in einer intellektuellen Auseinandersetzung mit Schmitt, der auf allen relevanten Problemfeldern präsent ist, ein Schlüssel liegt, um die Zukunftsprobleme unserer modernen Staaten begreiflich zu machen."

Deutscher Pessimismus. Nie zuvor ist es - egal, welcher sozialen Schicht er angehört - dem Deutschen so gutgegangen wie in der Gegenwart. Trotzdem ist die "deutsche Krankheit" international zum charakteristischen Schlagwort geworden. Der österreichische Wirtschaftsjournalist Ernst Hofbauer analysiert diese seit etwa dreißig Jahren anhaltende Depression in den Gemütern der Deutschen, welche wegen aller möglichen Dinge - von der Atomkriegsangst über das Waldsterben bis zur soziale Verelendung - sofort ihr "Fünf-Minuten-vor-zwölf-Syndrom" aktivieren. Selbst in den neuen Bundesländern - im Gegensatz zu anderen ehemaligen kommunistischen Staaten mit paradiesischer Unterstützung gesegnet - konnte sich dieser Defätismus ausgebreiten. Diese Psychose hat sich nach Hofbauers Einschätzung mittlerweile verselbständigt, so daß die kranke Seele der Deutschen nur noch sehr schwer therapierbar ist. Leider geht seine Analyse nicht über diese Feststellungen hinaus - auch Hofbauer vermag dem Patienten auf der Couch keine andere Vision bieten als die des Poesiealbumspruchs, daß von "irgendwo schon ein Lichtlein herkomme" (Die Deutsche Seele. Eine Nation trägt Trauer. Ibera Verlag, Wien 2003, 311 Seiten, 25 Euro).

Arzt als Fußabtreter. Der Autor Uwe Kerner, selbst Facharzt für Radiologie mit eigener Praxis in Chemnitz, macht aus seinem Herzen wahrlich keine Mördergrube. Denn wie der Titel bereits erahnen läßt, ist das Buch keine nüchterne Analyse der Zustände, sondern läßt den Leser in jeder Zeile das kochende Herzblut Kerners spüren. Neben dem eigentlichen Thema, dem Gesund-heitssystem in Deutschland, streift Kerner auch die Themen Innere Sicherheit, Erziehung, Strafvollzug und alles, wozu er sich vermutlich immer schon einmal äußern wollte. Dies macht es nicht leicht, einen roten Faden zu finden, geschweige denn ihn nicht zu verlieren, falls man ihn tatsächlich gefunden hat (Der Arzt als Fußabtreter der Nation. Books on Demand, Norderstedt 2003, 172 Seiten, 12,95 Euro).


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