© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/03 28. November 2003

"Das ist absurd"
Der Theologe Georg May über die CDU und die Vorwürfe gegen Martin Hohmann aus katholischer Sicht
Moritz Schwarz

Herr Dr. May, überraschend hat die CDU die von Angela Merkel infolge des Falles Hohmann für den Leipziger Parteitag angekündigte "Patriotismus-Debatte" abgesagt. Laut Friedrich Merz hat die Union derzeit "andere Probleme" zu diskutieren. Sind Sie als konservativer Christ enttäuscht, daß die CDU nach der ausgefallenen Leitkultur-Diskussion schon wieder vor einer offensichtlich wichtigen gesellschaftlichen Debatte zurückscheut?

May: Ich habe mir von dieser Debatte sowieso nichts erwartet. Frau Merkel ist doch schon bei der Ankündigung der Debatte nach der Wild-West-Devise verfahren, erst schießen, dann fragen - sprich, Hohmann wurde erst gerichtet, jetzt wollte man darüber debattieren. Da kann man sich das in der Tat auch gleich ganz sparen.

Warum unterstützen Sie die Forderung, Herrn Hohmann nicht auch noch aus der Partei auszuschließen?

May: Die CDU hat die besondere Neigung, Mitglieder, die in der Öffentlichkeit angegriffen werden, fallenzulassen wie eine heiße Kartoffel. Das ist ein strategischer Nachteil gegenüber etwa der SPD, die viel solidarischer mit ihren Leuten ist. Der von außen ausgeübte Druck darf nicht dazu führen, daß bei Entscheidungen eigene Überzeugungen auf der Strecke bleiben!

Welchen Umgang mit Hohmann hätten Sie denn von einer Partei, die sich christlich nennt, erwartet?

May: Sich mit ihm und dem, was er sagen wollte, auseinanderzusetzen, statt ihn vorzuverurteilen, und eventuelle Irrtümer inhaltlich zu überwinden und nicht durch administrative Maßnahmen.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, hat den Umgang der CDU mit Martin Hohmann inzwischen doch noch kritisiert. Lehmann sagte, er halte nichts vom Ausschluß Hohmanns aus der Bundestagsfraktion und aus der Partei, und habe angeblich hinzugefügt, Hohmann werde zum Sündenbock gemacht.

May: Ich begrüße die kritischen Worte des Kardinals, wenn er sie so gesagt hat. Über einen Begriff wie "Sündenbock" kann ich nur spekulieren. Ein Sündenbock ist jemand, dem die Verfehlungen der anderen aufgeladen werden. Vielleicht meint Kardinal Lehmann den Versuch großer Teile der deutschen Öffentlichkeit, sich selbst von jedem Schuldgefühl für die deutsche Vergangenheit freizumachen, indem wir jene unter uns, die angeblich den Anschein des Antisemitismus erwecken, um so erbarmungsloser niedermachen. Meines Wissens nach hat Kardinal Lehmann, das Wort "Sündenbock" bereits lautstark dementiert.

Ist es nicht ein bißchen spät, wenn Kardinal Lehmann erst nach Hohmanns Ausschluß aus der Fraktion mit seiner Kritik herauskommt?

May: Ich kann auch über die Motive des Kardinals nur spekulieren.

Andererseits hat Kardinal Lehmann Hohmanns Rede zunächst als "verworren" und "unsäglich" bezeichnet. Dabei geht Hohmann in seiner umstrittenen Rede davon aus, daß der Abfall unserer Gesellschaft von Gott erst den Totalitarismus im 20. Jahrhundert möglich gemacht habe. Vor diesem Hintergrund will er klarmachen, daß jede Tätervolk-These folglich absurd ist. Warum wird diese Geschichtssicht immer wieder als "verworren" bezeichnet?

May: Das verstehe ich auch nicht, zumal das genau jene Sicht der Dinge ist, die der Papst seit Jahrzehnten schon zigmal geäußert hat. Es ist zudem schon auffällig, daß die schlimmsten der Tyrannen des 20. Jahrhunderts allesamt Menschen waren, die mit Gott gebrochen hatten.

Der israelische Satiriker Ephraim Kishon nannte als Erklärung für den Holocaust im Interview mit dieser Zeitung: "Wenn man dem Menschen die Furcht vor Strafe - durch Gott, die Kirche oder die Kriminalpolizei - nimmt, dann wird er ein ungezügeltes Ungeheuer."

May: Dem kann ich im Prinzip nur zustimmen. Es ist doch klar, daß die politisch korrekte Öffentlichkeit das aus dem Munde des Herrn Kishon ganz anders bewertet als aus dem Munde des Herrn Hohmann. So ist das leider.

Zahlreiche Kritiker haben dem Katholiken Hohmann immer wieder seine verschiedenen, dezidiert christlichen Positionen vorgeworfen. Sie haben als Theologe 37 Jahre an den katholischen Hochschulen von München, Freising und Mainz gelehrt. Ist Hohmann ein christlicher Fundamentalist, wie viele meinen?

May: Man muß leider feststellen, daß heutzutage der Vorwurf des Fundamentalismus als Keule dient, um mißliebige Meinungen oder gar Personen auszuschalten, denen man mit Argumenten womöglich nicht beizukommen vermag. Dieser Vorwurf gegen Herrn Hohmann erscheint mir als eine leere Behauptung, weil ich noch keine stichhaltigen Belege dafür gehört habe.

Zum Beispiel seine Wertung der Homosexualität als "Denaturierung" wird gern zitiert.

May: Das hat zum Beispiel das Fernseh-Magazin "Panorama" so verkürzt dargestellt, tatsächlich aber sprach Herr Hohmann nicht über Menschen als "denaturiert", sondern nannte das Adoptionsrecht für Homosexuelle eine "Denaturierung des Leitbildes der Familie". Und daß ein solches Adoptionsrecht zwangsläufig den Untergang des klassischen Familienbildes bedeutet, das werden auch die nicht bestreiten, die diesem Prozeß das Wort reden. Auch Edmund Stoiber hat gegen die "Homo-Ehe" vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Kann man daraus schließen, daß Herr Stoiber gegen homosexuelle Menschen selbst vorgehen möchte? Kann man daraus schließen, daß Herr Stoiber ein christlicher Fundamentalist ist?

Die "Bild"-Zeitung spottet, die Ehefrau Hohmanns, eine Religionslehrerin, renne mit der Bibel "unterm Arm durch den Wahlkreis".

May: An dieser flapsigen, ja geradezu schon unverschämten "Beweisführung" können Sie erkennen, auf welchem Niveau sich die Vorwürfe bewegen. Glaube und Leben aus dem Glauben sind kein Fundamentalismus. Der Glaube soll das Leben prägen. Es ist angemessen, daß man sich der Quellen des Glaubens, also Bibel oder der Aussagen der Konzilien bedient, um seinem Leben Richtung zu geben. Das als Fundamentalismus auszulegen, verneint im Prinzip den Glauben an sich.

Dennoch wurde diese Selbstverständlichkeit im Falle Hohmann als christliche Absurdität dargestellt.

May: Um durch solche Verzerrungen der Diskussion in der Sache auszuweichen. Denken Sie daran, daß so wie in der Vergangenheit bekanntlich durchaus der Vorwurf des Ketzertums mißbraucht wurde, um gewisse mißliebige Meinungen zu denunzieren, heute nur zu gern der Vorwurf des Fundamen-talismus gebraucht wird. Die Zeiten ändern sich, die Methoden bleiben aber dieselben. Der Vorwurf des Fundamentalismus wird sogar hier und da gegen den Papst erhoben, es ist absurd.

Hätte die Union sich - selbst als sie dabei war, Hohmann auszuschließen - als christliche Partei nicht dennoch wenigstens gegen den Mißbrauch des Fundamentalismus-Vorwurfs stellen müssen, um das Christliche an sich zu schützen?

May: In der Tat, aber es hat ja in keiner Beziehung eine Diskussion über die Inhalte der Rede von Herrn Hohmann stattgefunden, weder über die angeblich antisemitischen Passagen noch über die christlichen Bezüge der Rede. Man muß bedenken, daß in allen Parteien der Opportunismus vorherrscht, darüber darf man sich keine Illusionen machen. 

 

Prof. Dr. Georg May lehrte von 1958 bis 1995 katholische Theologie an den Universitäten und Hochschulen von München, Freising und Mainz. 1926 im schlesischen Liegnitz geboren, wurde er 1951 zum Priester geweiht. Er ist Autor diverser wissenschaftlicher Bücher zu katholischen Themen.

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