© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/03 05. Dezember 2003

Kolumne
Patriotismus
Klaus Motschmann

Die von der CDU etwas voreilig angekündigte "Patriotismus-Debatte" wird nun aus naheliegenden Gründen doch nicht geführt. Sie könnte sehr rasch außer Kontrolle geraten und damit den volkspädagogischen Zweck verfehlen. Gleichwohl häufen sich Erklärungen namhafter Politiker und Publizisten zum Thema "Patriotismus", "Vaterlandsliebe" und damit "Zum alten Problem: 'Was ist deutsch'?"

Eine bedenkenswerte Antwort lautet: Das Stellen einer derartigen Frage nach "deutscher Selbsterkenntnis, Selbsterfahrung, Selbsterfassung", wie bereits Friedrich Nietzsche vor 125 Jahren, also vor einem gänzlich anderen geschichtlichen Erfahrungshorizont und geistig-politischem Zeitgefühl, festgestellt hat: "Als Deutsche zweifeln wir an allem, was sich causaliter erkennen lässt: das Erkennbare scheint uns als solches schon geringeren Wertes."

Wir Deutsche sind Hegelianer, auch wenn es nie einen Hegel gegeben hätte, insofern wir (im Gegensatz zu allen Lateinern) dem Werden, der Entwicklung instinktiv eine tieferen Sinn und reicheren Wert zumessen als dem, was ist‚ - wir glauben kaum an die Berechtigung des Begriffes 'Sein'. (Fröhliche Wissenschaft, Paragraph 357)

Die vermeintlich aktuelle Frage "Was ist Patriotismus?" deutet also auf eine treudeutsche Gemütsverfassung hin - und damit auf das Gegenteil von dem, was seit nunmehr über 50 Jahren überwunden werden soll.

Die "Sehnsucht nach dem anderen Zustand" wird immer wieder neu und in deutlichem Widerspruch zu allen bisherigen Verheißungen deutscher Zukunft und deutscher Sendung formuliert. Heute sind es die Visionen eines vereinten Europas, in dem Deutschland aufgehen soll wie einst Preußen in Deutschland. Alternativen dazu gibt es - wie üblich bei ideologisch diktierten Visionen - nicht, weshalb auch keine Auseinandersetzungen im Volke und mit dem Volke geführt zu werden brauchen.

Allerdings sollte man wenigstens noch eine Frage stellen wie Napoleon, wenn ihm Pläne für eine Neuordnung Frankreichs oder Europas vorgelegt wurden: "Wie viele Menschen haben für diese Idee ihr Leben geopfert?" Für ihren Glauben, für ihre weltanschaulichen Überzeugungen oder für ihre Nation haben Tausende ihr Leben gelassen.

Aber für "Europa"? Damit ist nichts gegen Europa gesagt, aber alles gegen die Mißachtung der Traditionen aus denen Europa gewachsen ist und aus denen es bis heute lebt.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen