© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/03 12. Dezember 2003

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Umdenken
Karl Heinzen

Auch wenn die Erwerbslosigkeit auf mehr als bloß saisonbedingten Höhen verbleibt, dürfen die Erfolge der Arbeitsämter nicht übersehen werden. Es ist ihnen gelungen, die Statistik seit Jahresbeginn um etwa 1,3 Millionen Menschen zu bereinigen, deren ernsthaftes Bemühen um eine neue Stelle nach ihrer Auffassung nicht länger nachvollziehbar war. Zum einen handelt es sich hier um ehemalige Arbeitnehmer, die bislang, obwohl sie keine Leistungen mehr bezogen, als immer noch suchend galten, nun aber ihren Wunsch nach einem Job nicht alle drei Monate aufs neue angemeldet haben. Zum anderen werden all jene nicht mehr gezählt, die die neue Gangart der Arbeitsämter in der sozialen Kontrolle ihrer Kunden als Schikane mißverstanden und sich weigerten, die reichhaltigen Chancen zur Selbstdisziplinierung aus glaubwürdig dokumentierter Überzeugung wahrzunehmen.

Diese Säuberung der Statistik hat bereits eine Reihe von positiven Effekten gezeitigt. Den von Arbeitslosigkeit Betroffenen wurde vor Augen geführt, daß sie lernen müssen, als normal anzusehen, was sie im Sozialstaat von einst wohl als demütigende Gängelung empfunden hätten. Die noch Beschäftigten konnten befriedigt zur Kenntnis nehmen, daß es all jenen, die bereits als Verlierer der Erwerbsgesellschaft ermittelt wurden, auch wirklich schlechter geht. Und nicht zuletzt durften alle, die um die langfristige Stabilität unserer politischen Ordnung in einer immer freieren Marktwirtschaft bangten, aufatmen: Rigide Maßnahmen, die auf schlechtere Lebensbedingungen für sozial Schwache zielen, führen weder zu gesellschaftlicher Solidarisierung mit diesen noch zu einem wahrnehmbaren Protest der Leidtragenden. Alle bleiben stumm und stören auf diese Weise das laute Nachdenken über den Fortgang der unumgänglichen Reformen nicht.

Wären die 1,3 Millionen Verschwundenen in der Statistik verblieben, müßten wir heute mit Zahlen leben, die eine sachliche Wahrnehmung der Lage unseres Landes erschweren könnten. Die Mittel, das Zahlenwerk im Sinne verantwortbarer Ergebnisse zu gestalten, werden aber irgendwann einmal ausgeschöpft sein. Damit es dann kein böses Erwachen gibt, muß die noch zur Verfügung stehende Zeit sinnvoll genutzt werden. Zum Beispiel für ein Umdenken: Man hat sich an die bequeme Vorstellung gewöhnt, daß die Arbeitslosigkeit ein Marktversagen anzeige. Dies ist aber nicht der Fall. Der Arbeitsmarkt ist immer geräumt. Es wird stets so viel Arbeit nachgefragt, wie ihr Preis zuläßt. Wer nicht zum Zuge kommt, ist entweder zu teuer oder zu schlecht - man sollte dieses Phänomen von Händlern, die auf ihrer Ware sitzenbleiben, eigentlich kennen. Alle freuen sich, wenn durch den Wettbewerb und den technischen Fortschritt Produkte wie Digitalkameras, DVD-Player und vieles andere mehr immer billiger werden. Man muß endlich einsehen, daß die Ware Arbeit, auf welche die gleichen Kräfte wirken, hier keinen Sonderstatus beanspruchen kann.


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