© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/03 12. Dezember 2003

Meister Petz als Märchenprinz
Kino II: "Der Kuß des Bären" von Sergei Bodrov vermag das Publikum nicht wirklich zu verführen
Claus-M. Wolfschlag

Ein Nachteil von internationalen Co-Produktionen liegt darin, daß - je mehr Länder sich an einem Film beteiligen - um so mehr Interessengruppen auch bestrebt sind, eigenen Anteil am Gesamtwerk sichtbar werden zu lassen. Jedes Land möchte seine Schauspieler und Crew-Mitglieder unterbringen, ohne darauf zu achten, ob das Gesamtbild noch stimmig bleibt. Auch bei "Der Kuß des Bären" wirkte sich die Förderung durch mehrere europäische Länder (darunter Filmförderung aus Hamburg und Nordrhein-Westfalen) nicht unbedingt vorteilhaft für das Ergebnis aus. Man könnte es auf die einfache Formel bringen: "Zu viele Köche verderben den Brei."

Die Film erzählt von der Liebe eines Menschen zu einem Tier, hinter dessen Maske das menschliche Gegenbild steckt. In "Der Kuß des Bären" ist es, wie der Name bereits andeutet, die Liebe eines jungen Mädchens zu einem zotteligen Gefährten, dessen Mutter in Sibirien von Jägern erschossen wurde. Der kleine Braunbär Micha gerät in die Hände von Tierfängern, bis die 14jährige Lola (Rebecca Liljeberg, bekannt aus Lukas Moodyssons "Raus aus Amal") das Tier in einem Käfig entdeckt und die Eltern überredet, Micha für den kleinen Zirkus zu kaufen, dessen Crew sie angehören. Der Zirkus zieht durch die Lande, und Micha wird schnell groß. Als die Mutter ihren Mann verläßt, weigert sich Lola mitzugehen, da sie Micha nicht alleinlassen möchte.

Eines Tages, nachdem Lola Micha ihre Liebe geäußert hat, findet sie im Käfig einen jungen Mann (der unlängst verstorbene Sergei Bodrov jr.) vor, der behauptet, der Bär zu sein. Lola ist anfänglich skeptisch, glaubt ihm aber schließlich. Von nun an wandelt sich Micha immer öfter in menschliche Gestalt. Die beiden werden ein Liebespaar, das nachts umschlungen durch Wälder und Städte schlendert, sich küßt und schließlich miteinander schläft.

Problematisch ist nur, daß Micha bei gewecktem Beschützerinstinkt keine Kontrolle über seine Bärenkräfte hat. Wer Lola bestiehlt, verhöhnt oder bedroht, wird von ihm gefährlich verletzt. Und so tötet er im Kampf schließlich ein Mitglied der Zirkus-Crew, das Lola aggressiv sexuell bedrängt hatte. Seither liegt ein Fluch auf ihm, denn nach Aussage einer Zigeunerin könne sich ein Bär, der einen Mensch getötet hat, niemals wieder zu einem Mensch wandeln. Lola beschließt, Micha nach Sibirien zu fahren, um ihn dort in der Wildnis auszusetzen.

Geschichten der sinnlichen Liebe zwischen Mensch und Tier finden sich gelegentlich literarisch und filmisch bearbeitet. Man denke an das Märchen "Der Froschkönig" der Gebrüder Grimm, das mehrfach verfilmt wurde. In Juraj Herz' Märchen "Die Schöne und das Ungeheuer" von 1978 wandelt sich ein mörderisches Tier durch die Liebe eines Mädchens zum Prinzen. In Neil Jordans "Die Zeit der Wölfe" von 1984, einer Verarbeitung des "Rotkäppchen"-Stoffes, ist es die pubertierende Sarah, die trotz der Warnungen ihrer Großmutter den Verführungskünsten eines jungen Werwolfes erliegt und ihm schließlich in wölfischer Gestalt in den Wald folgt.

der russische Regisseur Sergei Bodrov hat zu dieser Thematik einen zärtlichen Film geschaffen, dessen phantasievollen, lyrisch-traumhaften Bildkompositionen aus der Zirkuswelt allerdings nicht die schauspielerischen und inszenatorischen Defizite übersehen lassen können. Auch wenn man das Werk als eine Märchenverfilmung einstufen möchte, wirken die Personendarstellungen teils arg überzogen, schlichtweg unglaubwürdig, die Dialoge zu hölzern und klischeebeladen.

Fazit: Durchaus viel an Liebesromantik im Inhalt, aber wenig an glaubwürdiger Übermittlung.


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