© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/03 12. Dezember 2003

Putins Gegner waren chancenlos
Rußland: Bei den Duma-Wahlen wurde die Präsidenten-Partei stärkste Kraft / KP verliert weiter Anhänger
Tatjana Montik/Jörg Fischer

Letzten Sonntag haben sich die Wähler der Russischen Föderation für die "gelenkte Demokratie" von Präsident Wladimir Putin und klar gegen eine westlich-liberale Ausrichtung ihres 150-Millionen-Landes entschieden. Insgesamt 23 Parteien und Bündnisse hatten sich um die 450 Sitze in der Staatsduma beworben - und der Sieg der Kreml-Partei Einiges Rußland fiel wie erwartet deutlich, aber nicht überwältigend aus: 37,1 Prozent stimmten für die "Partei der Macht", wie sie im Volksmund genannt wird. 1999 erreichten die getrennt angetretenen Listen Einheit und "Vaterland - ganz Rußland" zusammen 36,7 Prozent.

Einen Absturz erlebten die Kommunisten (KPRF), die vor vier Jahren mit 24,3 Prozent stärkste Partei waren. Diesmal stimmten mit 12,7 Prozent nur noch etwas mehr als die Hälfte für die einstige Staatspartei. Die KPRF von Gennadij Sjuganow ist aber immerhin noch zweitstärkste Kraft in der Duma - sie erhielt auch zahlreiche der 225 Direktmandate.

Viele ehemalige KP-Wähler stimmten für den neuen linksnationalen Wählerblock Rodina (Heimat) des abtrünnigen Kommunisten Sergej Glasjew, der mit 9,1 Prozent vierte Kraft wurde. Der Hauptunterschied zwischen Rodina und KPRF besteht darin, daß der 42jährige Ex-Außenhandelsminister Glasjew im Gegensatz zu Sjuganow die Politik Putins in der Duma zumeist unterstützte.

Glasjew und sein 40jähriger Mitstreiter Dimitri Rogosin (bislang Chef des Außenausschusses der Duma und Putins Sonderbeauftragter für den Kaliningrader Oblast/Nordostpreußen) vertraten im Wahlkampf zum Teil sogar radikalere "national-sozialistische" Positionen als die KPRF. 1993 stand Glasjew übrigens auf der Seite der Putschisten gegen den damaligen Präsidenten Boris Jelzin. Nun gilt er als der kommende Mann der russischen Politik - nach dem Wahldebakel der KPRF traut man ihm sogar eine vollständige Entmachtung Sjuganows und die erneute Konsolidierung der Kommunisten zu. Auch als potentieller Präsidentschaftskandidat gegen Putin im Frühjahr 2004 wird Glasjew jetzt schon gehandelt.

Zweiter Überraschungssieger dieser Wahl waren die nationalpopulistischen Liberaldemokraten (LDPR) des im Westen als "Rechtsextremisten" verteufelten Verbalrabauken Wladimir Schirinowskij, die ihren Stimmanteil von knapp sechs auf 11,6 Prozent fast verdoppelten. Unter der Losung "Wir sind für die Armen, wir sind für die Russen" und dem Versprechen, die russische Polizei und das Militär mit mehr Geld für den Kampf gegen Terroristen und "korrupte Oligarchen" auszustatten sowie alle "Magnaten" zu bestrafen, die sich "die Reichtümer Rußlands" angeeignet haben, sprach er gezielt Protestwähler an, die zu den Verlierern der russischen Marktwirtschaft gehören.

Auch der letzten Freitag mutmaßlich von Tschetschenen verübte Selbstmordanschlag auf einen Zug im Nordkaukasus, bei dem mindestens 42 Menschen ums Leben kamen, dürfte nicht nur "Putin-Partei" Einiges Rußland, sondern auch der LDPR "geholfen" haben - speziell Schirinowskij attackierte schon immer aggressiv alle "nichtrussischen Elemente". Daß westliche Korrespondenten Schirinowskijs werbewirksame Verteilung von 100-Rubel-Scheinen im Wahlkampf belächelten, aber kaum einer dessen starkes Abschneiden vorhersah, lag wohl daran, daß nur wenige es wagen, auch mal aus Moskau oder St. Petersburg hinaus in die verarmte Provinz zu fahren und mit dem "einfachen Volk" zu sprechen.

Und entgegen Schirinowskijs beängstigenden Wortattacken hat seine LDPR bislang in der Duma im Zweifel immer treu mit der "Putin-Fraktion" gestimmt - was auch erklären könnte, woher die kleine LDPR die Millionen von Rubel für ihre Wahlkampagne hatte.

Erklärter Lieblingsfeind Schirinowskijs im Wahlkampf waren die beiden pro-westlichen Liberalen - und die russischen Wähler machten seine Forderung, "Drücken wir das demokratische Eiter aus jedem Spalt", diesmal wirklich wahr: die sozialliberale Partei Jabloko von Grigorij Jawlinskij scheiterte mit 4,3 Prozent (1999: 5,9) genauso an der Fünf-Prozent-Hürde wie die wirtschaftsliberale Union der rechten Kräfte (SPS) von Anatolij Tschubajs und Boris Nemzow mit 4,0 Prozent (1999: 8,5). Nur voraussichtlich je drei Direktkandidaten der beiden Parteien werden nun in der vierten Duma seit 1991 vertreten sein.

Doch nicht Schirinowskijs Haßausbrüche vertrieben die erklärten Kreml-Kritiker aus dem Parlament, sondern die gegenseitige Zerstrittenheit und ihre von den Kreml-treuen Medien genüßlich ausgeschlachtete finanzielle Abhängigkeit von "Finanz-Oligarchen" wie Michail Chodorkowskij.

Alle anderen Parteien scheiterten ebenfalls an der Fünf-Prozent-Klausel. Nur die "patriotische" Volkspartei von Gennadij Raikow und dem Ex-Kommandeur der Tschetschenien-Truppen, Gennadij Troschew, brachte unter dem Motto "Wir sind für das Volk, für die Heimat, für den Glauben" immerhin 19 Deputierte direkt in die Duma. Eine ernstzunehmende Größe war die bislang mit 44 Abgeordneten präsente Volkspartei nicht - sie machte vor allem mit Initiativen zur Wiedereinführung der Todesstrafe und oder Attacken gegen Homosexuelle von sich reden.

Sieht man von einigen Dutzend direkt gewählten Kandidaten ab, so sind in der künftigen Duma die Kommunisten die einzige ernstzunehmende Opposition gegen die Politik von Präsident Putin. Doch wie hat es der Kreml geschafft, daß die etwa 110 Millionen Wahlberechtigten ihm eine so "folgsame" Duma "zusammenstellten"?

48 Prozent gingen gar nicht erst zur Wahl - und von denen, die ihr Wahlrecht ausübten, stimmten fast sechs Prozent "gegen alle Kandidaten", was nach russischem Wahlrecht möglich ist. Auch ein paar neue Gesetze haben der designierten "Diktatur des Kremls" den Weg geebnet. Zum einen war es ein Gesetz, durch das die Massenmedien in Wahlkampfzeiten in strenge Schranken gewiesen wurden, indem sie außer in speziellen Sendungen nichts bringen durften, was auch annähernd als Parteiwerbung interpretiert werden konnte.

Zum anderen war es der allen Parteien vorgeschriebene Zwang, ihren Wahlkampf mit einem sehr knappen Budget zu finanzieren. Nutznießerin dieser "Vorbeugemaßnahmen" war eindeutig die "Putin-Partei" Einiges Rußland. Für sie galten die neuen Regelungen scheinbar nicht. Der Wahlkampf dieser Partei (die als einzige in den drei staatlich gelenkten Fernsehkanälen uneingeschränkten Werberaum genoß) richtete sich vor allem gegen ihre größte Rivalin - die KPRF. Zur besten Sendezeit brachten die "Staats-Medien" unverschleierte Diffamierungskampagnen, die aber keine rechtlichen Konsequenzen nach sich zogen. Den letzten entscheidenden Rückenwind bekam die Partei Einiges Rußland, als der pro forma parteilose Putin ihr seine Schirmherrschaft bezeugte und am Freitag vor der Wahl in der Tagesschau des ersten Fernsehkanals seine Mitbürger aufrief, ihre Stimme für diese Partei abzugeben: Rußland brauche ein Parlament, das den Präsidenten bei seiner Arbeit nicht behindere und die Reformen nicht lahmlege, so Putin.

Während sich Rußland nun mit gewaltigen Schritten in Richtung "autoritäre Demokratie" bewegen könnte und seinen postsowjetischen Nachbarn damit ein Exempel präsentiert, ist die Reaktion der westlichen Spitzenpolitiker mehr als erstaunlich. Am 8. Dezember wurde in den Tagesthemen des ersten russischen Fernsehkanals stolz verlautbart, die Regierungschefs Deutschlands, Großbritanniens und der Ukraine hätten dem russischen Präsidenten zur erfolgreichen Parlamentswahl gratuliert. Eine bessere Würdigung hätte sich Wladimir Putin nicht wünschen können. Und daß der Präsident kommendes Jahr wiedergewählt wird - daran zweifelt nun niemand mehr.


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