© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/03 19. Dezember 2003 u. 01/04 26. Dezember

Ein Symbol der Hoffnung
Die wiedererrichtete Dresdner Frauenkirche gibt uns ein Beispiel
Thorsten Hinz

Die Wiedererrichtung der Frauenkirche in Dresden ist ein Symbol dessen, was immer noch möglich ist in diesem Land. Der Aufbau war ein ureigenes Anliegen der Dresdner Bürger. Nach 1989 wurde er zum gesamtdeutschen Vorhaben, und sogar das Ausland zeigte Interesse. Dank unzähliger Spenden entsteht an der Elbterrasse eine der schönsten Stadtsilhouetten Europas wieder. Mit großem Aufwand wird in einer keineswegs reichen Gegend ein Bauwerk rekonstruiert, das sich der Kosten-Nutzen-Rechnung entzieht. Das ist um so bemerkenswerter, weil Sachsen nach 40jähriger SED-Herrschaft heute weitgehend atheistisch ist. Doch kein Mensch kann vom Brot alleine leben!

Der Wunsch nach dem Wiederaufbau hatte sich die ganze DDR-Zeit über erhalten und war mit den Jahren immer stärker geworden. Zum Glück wurde mit dem Projekt sofort nach 1989 begonnen. Dadurch blieb keine Zeit mehr, es durch die Mühlen bundesdeutscher Geschichtsdebatten zu drehen wie die Potsdamer Garnisonkirche. Dort blockiert eine linksgewirkte Kirchenleitung im Bündnis mit einschlägigen "gesellschaftlichen Gruppen" die Bemühungen einer Aufbau-Initiative, weil sie durch ein Nagelkreuz à la Coventry und eine "Versöhnungsstätte" aus der preußischen Königskirche ein Symbol deutscher Selbstkasteiung machen will.

Der Dresdner Prachtbau als Kontrastprogramm dazu zeigt, wieviel solche Diskussionen wert sind: gar nichts! Sie sind so lächerlich und überflüssig wie der ganze aktuelle, ideologische Überbau der Bundesrepublik, der weder konkret noch abstrakt irgendwelche Lebensfragen beantworten kann, sondern nur destruktiv wirkt. Er ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für eine falsche, drohnenhafte Elite!

Der Wiederaufbau der Frauenkirche zeigt, daß es echter Eliten bedarf. Wortführer war Ludwig Güttler, ein weltberühmter Trompeter. Güttler war stets dafür eingetreten, nie den Kontext zu vergessen, in dem die Zerstörung Dresdens erfolgte. Er warb auch bei ehemaligen Kriegsgegnern für sein Projekt. Aus Polen etwa beteiligten sich Menschen, die selber unter dem NS-Regime gelitten haben. Trotz der Armut, in der sich viele von ihnen befinden, hielten sie es für wichtig, daß das Gotteshaus wiederentsteht und sie selber einen Beitrag dazu leisten. Ihre Großherzigkeit ist jetzt Teil des Bauwerks und wirkt als Verpflichtung weiter.

Das für die Kuppel bestimmte Kreuz wurde vom Sohn eines englischen Bomberpiloten gefertigt. Der Herzog von Kent, ein Mitglied der Königsfamilie, hat es überbracht, die Queen hat aus ihrer Privatschatulle eine Summe dazu beigesteuert. Gemessen am Treiben deutscher Selbstflagellanten mag das wenig erscheinen. Doch Demut braucht stets den Stolz an ihrer Seite, um aufrichtig und nicht schamlos zu wirken. Wer die Symbolsprache zu deuten weiß, der erkennt, daß in diesen Gesten ein Bedauern über die Vergangenheit mitschwingt. Reue, Vergebung und Trost sind möglich.

Die Bauarbeiter haben ihr eigenes Gespräch mit der Vergangenheit geführt. Sie äußern sich bewundernd über die Fähigkeiten ihrer Vorfahren, die ohne Computerhilfe vor 250 Jahren einen derart komplizierten Kuppelbau errichteten. So ist neben dem Sinn für Tradition und Ästhetik ein von Ehrfurcht geprägtes, generatives Bewußtsein wiederbelebt worden. Und auch auf kollektiver Ebene brauchen die Menschen Symbole, die von Schönheit und Erhabenheit zeugen. Der Bau der Frauenkirche zeigt, wieviel Energie, Klugheit und Idealismus sich in diesem Land abrufen lassen, wenn man überzeugende Perspektiven aufzeigt.

Energie und Idealismus haben wir nötiger denn je. Denn wir befinden uns nicht nur in einer Krise, sondern - um einen Buchtitel des Historikers Christian Graf von Krockow zu zitieren - mitten in einem "Deutschen Niedergang". Dieser endet entweder in einem harten Aufschlag, oder er wird abgemildert und gemeistert.

Doch das beherrschende Gefühl ist die Zukunftsangst. Eines ihrer Symptome ist der fanatische Furor, mit der technische Neuerungen, politische Reformen oder neue Denkweisen bekämpft werden. Dazu paßt auch die Verrechtlichung des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland, das über die größte Dichte an Gesetzen und Vorschriften verfügt.

Ein Grund für diese Erstarrung ist die fatale Altersstruktur. Ein gealtertes Volk setzt naturgemäß eher auf Bewahrung und Sicherheit als auf Erneuerung, die stets Unwägbarkeiten einschließt. Ein anderer Grund ist der Mangel an Selbstvertrauen, der daher rührt, daß die Arbeitsgesellschaft, aus der sich die kollektive und individuelle Wertbestimmung in der Bundesrepublik jahrzehntelang ableitete - Stichwort: Wirtschaftswunder -, der Vergangenheit angehört. Weil Deutschland mit den Billiglöhnen in Südostasien weder konkurrieren kann noch will, sind alle Hoffnungen, das Land würde sich wieder in eine dynamische Wachstumsregion mit extensivem Arbeitskräftebedarf verwandeln lassen, irrig. Der Wohlstand läßt sich nur verteidigen, wenn in ausgewählten, hochtechnisierten Bereichen Spitzenleistungen hervorgebracht werden. Die gesellschaftspolitische Aufgabe lautet also, Innovation möglich zu machen und andererseits das Zusammenleben zwischen denen, die diesen Prozeß tragen, und denen, die von ihm ganz oder teilweise ausgeschlossen bleiben, neu und human auszutarieren.

Die deutschen Eliten - Industriemanager, Gewerkschafter, Politiker - definieren sich ebenfalls durch ihre Stellung innerhalb der Arbeitsgesellschaft, im übrigen sind sie traditionslos. Wegen dieser schmalen Legitimationsbasis klammern auch sie sich an Bewährtes. Am ehesten ist noch die Wirtschaft zu rationalen Zukunftsentscheidungen fähig. Die intellektuellen Meinungsführer haben das Ethos der Arbeitsgesellschaft, statt es weiterzuentwickeln und zu modernisieren, nach 1968 in Hofnarrenmanier als Fortsetzung nationalsozialistischer Verhaltensmuster delegitimiert. Damit haben sie eine der wenigen Ressourcen, aus denen die Bundesrepublik heute Gelassenheit, Phantasie und Selbstbewußtsein schöpfen könnte, vergiftet. Auf den verlassenen Altären aber, schrieb Ernst Jünger, nehmen die Dämonen Platz. Es sind die Dämonen der Selbstverneinung und des Selbsthasses, der Hysterie und der Furcht.

Von deren Hohepriestern einen Ausweg zu erwarten, ist widersinnig. Um sich für die Zukunft zu wappnen, reicht der armselige Traditionsbestand der Bundesrepublik ohnehin nicht aus. Der Wiederaufbau der Frauenkirche kommt gerade richtig. Er verweist auf eine viel tiefere Vergangenheit und zugleich über ein an sein Ende gekommenes Gesellschaftsmodell hinaus.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen