© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 01/05 31. Dezember 2004

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Grenzenlos
Karl Heinzen

Kurz vor der weihnachtlichen Sitzungspause hat sich der Deutsche Bundestag in der öffentlichen Debatte über eine wie auch immer geartete Quote für sogenannte deutsche Musik im Hörfunk zu Wort gemeldet. Die Abgeordneten berieten über zwei ähnlich ausgerichtete Anträge der Regierungsparteien und der Union und entschieden sich, wie das im Parlamentarismus nun einmal üblich ist, für jenen der Mehrheitsfraktionen. Der Bundestag bittet darin nun die Sender, im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung tunlichst 35 Prozent ihres Musikprogramms mit deutschsprachigem oder wenigstens in Deutschland produziertem Rock und Pop zu bestreiten. Zur Hälfte seien dabei die Neuerscheinungen von "Nachwuchsmusikern" zu berücksichtigen.

Daß sich ausgerechnet Berlin dieses Themas annimmt, zeigt, welche Bedeutung ihm wohl beizumessen ist. Üblicherweise ist der Rundfunk nämlich Ländersache. Unklar ist trotz aller Alarmstimmung jedoch weiterhin, was genau eigentlich zu schützen oder zu retten ist. Sollte man beabsichtigen, die sich von Umsatzeinbruch zu Umsatzeinbruch hangelnde Musikbranche zu stützen, dürfte man ihr durch eine derartige Quote einen Bärendienst erweisen. Das Gros des Marktes teilen sich einige wenige international operierende Unternehmen. Ihre globale Aufstellung erlaubt es ihnen in Zeiten der Krise, sich auf jene Künstler zu konzentrieren, die in großen Teilen der Welt erfolgversprechend sind. Diese Chance zur Standardisierung und damit Kostenminimierung darf man ihnen nicht durch ein politisches Beharren auf nationalen Partikularmärkten aus der Hand schlagen. Wenn der Staat es als sein Ziel begreift, daß Rock und Pop auch in der Exotensprache Deutsch ins Werk gesetzt werden, dann muß er dafür im Rahmen der Kulturförderung Geld in die Hand nehmen und darf die Lasten nicht der Musikwirtschaft auferlegen.

Vielleicht geht es dem Deutschen Bundestag aber gar nicht so sehr um die Ökonomie. Vielleicht sorgt er sich ja um die deutsche Kultur und will der Gefahr entgegenwirken, daß sich jungen Talenten nun, da die Euphorie um die großen Casting-shows abgeklungen ist, plötzlich nur noch bescheidene Perspektiven bieten. Hier ist aber, wie auf manch anderem Gebiet auch, zunächst eine Bestimmung unserer wahren nationalen Interessen erforderlich. Können und dürfen wir uns in einem zusammenwachsenden Europa und einer Gestalt annehmenden Weltgemeinschaft auf der Basis universaler Werte tatsächlich noch so definieren, wie es in der Vergangenheit üblich war? Ist es wirklich so wichtig, in welcher Sprache ein Künstler singt? Sollte man sich nicht statt dessen freuen, daß es eine Musik gibt, die alle Menschen verbindet, eine Musik, die, um diesen Anspruch zu untermauern, natürlich auf englische Texte zurückgreift, die weltweit verstanden werden? Auf viel zu vielen Gebieten spielen Grenzen heute immer noch eine Rolle. Man sollte auf jenem der Musik daher nicht künstlich neue errichten.


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