© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/04 02. Januar 2004

Die Säulen Spaniens
Die Kerneuropa-Idee ist die Konsequenz aus dem Scheitern des EU-Konvents
Eberhard Straub

Das Wappen Spaniens wird von zwei Säulen eingerahmt: den Säulen, die Herkules am Ausgang der Welt bei Ceuta und Gibraltar errichtete. Jeder war gewarnt, über sie hinauszustreben. Die Spanier verlangten als erste "Plus Ultra", über diese Säulen hinaus. Sie machten aus den vielen Welten eine . Plus Ultra war die Devise Karls V. Seitdem ist sie mit den beiden Säulen verbunden.

Spanien war aber auch die erste europäische Macht, die aus der Welt des 19. Jahrhunderts verdrängt wurde. 1898 verlor es gegen die USA seine letzten amerikanischen und asiatischen Besitzungen. Nur wenige Europäer ahnten damals, daß der Zusammenbruch Spaniens ein gesamteuropäisches Schicksal vorwegnehme, den "Untergang des Abendlandes", eine Prognose, die nach 1918 die Europäer beunruhigte.

Die Spanier sahen sich und ihre Geschichte als gescheitert und mißlungen an, als das Ergebnis eines verhängnisvollen "Sonderweges". Eine "Europäisierung" sollte ihnen, wie sie hofften, dabei helfen, sich insgesamt zu erneuern. Wer immer, auch unter Franco, als Spanien isoliert war, über Franco hinausdachte, strebte auf der Grundlage der kulturellen Übereinstimmung nach einer politisch-ökonomischen Zusammenfassung der europäischen Staaten und Völker.

Die Spanier gehörten zu den leidenschaftlichsten Europäern und bemühten sich, seit 1986 offiziell als solche anerkannt, darum, den Anschluß an die Avantgarde in Europa zu wahren, als die sich Franzosen und Deutschen nicht nur an Festtagen begreifen. Spanien wurde im guten Einvernehmen mit Frankreich und Deutschland zu einer die europäischen Einigung beschleunigenden, unvermeidliche Differenzen ausgleichenden Kraft und Macht. Es hatte in Europa seinen Platz und seine Rolle gefunden und konnte nun auch in der Welt sich wieder als ein "Weltvolk" gemeinsam mit den kulturverwandten Ibero-Amerikanern bemerkbar machen.

Es ist daher für viele Europäer überraschend, wie leichtsinnig sich der spanische Regierungschef José María Aznar im Tauziehen um die im EU-Verfassungsentwurf vorgesehene Stimmengewichtung im Ministerrat in Gegensatz zu den meisten Europäern gebracht hat. Die Sozialisten von der PSOE werfen ihm seither vor, Spanien vereinsamt und wieder an Europas Rand gedrängt zu haben. Sie empfehlen sich nachdrücklich als die europäische Partei in Spanien, die sie immer waren, und werben kurz vor den Parlamentswahlen im März 2004 für eine europäische Verfassung, die an Aznar vorerst scheiterte.

Polen, Spaniens einziger Verbündeter, hat sich mit Allüren, die Sorglosigkeiten aus seiner feudalen Perückenzeit gleichen, innerhalb der EU so lächerlich gemacht, daß es selbst Spaniern, die Aznar verteidigen, peinlich ist, von dort unterstützt worden zu sein. Aznar ist der erste Spanier, dem eine weitere Vertiefung der europäischen Einigung unangenehm ist. Ihm widerstrebt eine Verfassung in Europa, weil sie Spanien in seiner Bewegungsfreiheit, wie er sie versteht, einengen könnte. "Die Union wird auch ohne eine Einigung über die Verfassung funktionieren", ließ sich der Ministerpräsident nach dem gescheiterten EU-Gipfel von Brüssel vernehmen.

Er hängt an einem spanischen Selbstverständnis, das unter Franco ein trotziger Trost sein sollte: Die Spanier sind anders. Sie sind ein atlantisches Volk, in enger Gemeinschaft mit den spanischen Amerikanern. Sie haben als ehemals arabisch beherrschtes Land eine afrikanisch-arabische Sendung und von alters her einen Auftrag im Mittelmeer. Solche Konstruktionen sind "spanische Schlösser", wie die Franzosen sagen, also Fiktionen. Alle Möglichkeiten, die Spanien wiedergewonnen hat, seinen Einfluß geltend zu machen, eröffneten sich ihm über Europa. Kein europäischer Staat vermag mehr für sich alleine, nur auf sich gestellt, zu handeln. Selbst wer wirtschaftlich rein nationale Interessenpolitik in Asien oder Amerika betreibt, findet doch nur bei Chinesen oder Brasilianern Aufmerksamkeit, weil diese immer bedenken, es mit Europäern zu tun zu haben und nie mit vereinzelten Nationen.

Jedes Land gewinnt an Bedeutung und Beachtung, weil es zur Union gehört. Das haben längst auch die Franzosen gelernt, mittlerweile die aufrichtigsten und verständigsten Europäer. Ein Kerneuropa wird unvermeidlich, wenn einzelne Mitglieder damit beginnen, die Zusammenarbeit von eigenwilligen Interpretationen abhängig zu machen. Allein der unbestimmte Begriff Kerneuropa genügt, um für Unruhe zu sorgen. Spanien wußte sich doch schon, bevor es dieses Wort gab, als Bestandteil Kerneuropas. Darauf wird Aznars Nachfolger Rücksicht nehmen müssen.

Kerneuropa ist keine Drohung. Im Gegenteil: Jeder möchte dazugehören. So europäisch sind wir längst geworden. Nicht zuletzt wegen der europäischen Spanier, die sich, wie in den letzten Tagen Francos, mit der Zukunft, der europäischen Zukunft Spaniens beschäftigen.

 

Dr. Eberhard Straub, Jahrgang 1940, ist habilitierter Historiker und Publizist. Er lebt in Berlin und veröffentlichte zuletzt im Siedler Verlag die Bücher "Albert Ballin. Der Reeder des Kaisers" und "Eine kleine Geschichte Preußens".


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